Obacht – Rauhnacht!

„Mei, geh hoid waida, dumm’s Tritschal.“, fordert mich Herr Meier auf. Er hat Recht. Ich stehe gerade wirklich saudumm vor der Türe zum Keller und versperre ihm den Weg. An mir vorbei kommt er nicht, weil auf meiner Hüfte ein Wäschekorb sitzt und ich damit doppelt so breit wie gewöhnlich bin. Die Wäsche müsste in die Maschine. Sie und zwei weitere, die noch oben im Flur stehen. Eigentlich müsste ich dringend waschen und gerade jetzt zwischen den Jahren, wo ich Zeit habe, viele Hausbewohner im Urlaub und die Maschinen frei verfügbar sind, ist der Zeitpunkt ideal. Herr Meier schaut mich an. Erst mich, dann den Wäschekorb, dann noch einmal mich. Wieder hat er Recht. Die Wäsche wird warten müssen. Vielleicht nicht die ganze Wäsche, aber ganz sicher die Leintücher. Ich trete zurück und Meier nickt zufrieden. „Ganz sauber bist ned, ha?“ Fragt er noch mit einem Blick auf meine Bettwäsche und schiebt sich dann an mir vorbei. Er weiß es auch, wer in den Rauhnächten ein Leintuch wäscht, der läuft Gefahr, dass es im nächsten Jahr zum Leichentuch wird. So blöd, das zu riskieren bin ich dann doch nicht. Danke, sag ich noch, weil mein Nachbar mir vielleicht das Leben gerettet hat. 

Auf mein Glück kann ich mich nicht verlassen. Das habe ich schon überstrapaziert, als ich mich in den Rauhnächten in den Stall geschlichen habe, weil man sich erzählt, dass Tiere – besonders Pferde und Ochsen – in jenen Nächten der menschlichen Sprache mächtig sind. Dummerweise stirbt man meist, wenn man sie sprechen hörte und es war ein großes Glück, dass bei uns im Stall nur Kühe standen, die den nächtlichen Besuch gleichgültig und stumm betrachteten. Überhaupt sind diese Nächte gefährlich. Zwar bieten sie unverheirateten Frauen die Möglichkeit um Mitternacht an einem Kreuzweg ihren künftigen Bräutigam zu sehen, bringen sie aber auch in größte Gefahr. Wenn der Zukünftige erscheint, muss man ihn schweigend vorübergehen lassen und darf ihm keinesfalls nachsehen, weil das den Tod bedeutet. Ob den seinen oder den ihren weiß ich nicht. Ich habe um Mitternacht zwischen den Jahren nur einmal einen am Kreuzweg gesehen. Meinen damaligen Freund, der ziemlich angetrunken nach Hause gegangen ist. Angesprochen habe ich ihn nicht, geheiratet aber auch nicht. Meine Nachbarin Frau Obst reißt mich aus den Gedanken. Weit unfreundlicher als Herr Meier, fragt sie mich was ich so blöd im Weg rumstehe und verstummt, als sie meinen Wäschekorb sieht. Für so dumm hätte sie mich nicht gehalten, sagt sie noch und schüttelt dann langsam und bedeutungsvoll den Kopf. Ich beruhige sie und verspreche, weder zu waschen noch in den Stall zu gehen. Das reicht ihr nicht. Putzen, das sollte ich machen. Vorhin als sie zufällig an meinem Küchenfenster vorbei ging (wie ihr das zufällig gelungen ist, bleibt ihr Geheimnis), sah sie wie es bei mir aussieht. Kriminell und verlottert. In jenen Tagen hätte man sich darum zu kümmern, dass alles ordentlich und sauber ist, aber so was weiß ein junges Dinge wie ich ja nicht. Nur weil sie mich ein junges Ding genannt hat, sehe ich ihr den ruppigen Tonfall nach. Und nur weil ich mich um meine Nachbarn sorge, hänge ich einen Zettel mit den wichtigsten Hinweisen am weißen Brett unten vor dem Lift aus:

Rauhnächte!

Nicht waschen.
Keine Türen zuschlagen.
Verliehene Dinge zurück holen.
Nüsse nicht vom Boden aufheben.
Keinesfalls die Haare oder Nägel schneiden.
Bettwäsche nicht unter freiem Himmel auslüften.

Sonst: Plötzlicher Tod, schwere Krankheit oder Beschwörung von Unheil.
P.S. Und nicht um Mitternacht mit Tieren sprechen, sofern diese mit Ihnen sprechen. Ich weiß nicht ob das auch außerhalb eines Stalles gilt, aber sicher ist sicher.

Vielleicht halten Sie mich jetzt für ebenso verrückt wie meine Nachbarn, die meinen Zettel mit netten Anmerkungen versehen haben. Pauls Handschrift kenne ich. Er schrieb: „Nicht besoffen Zettel ans Brett heften ;)“ Im Waschkeller stehen dennoch die Maschinen still. Keine würde zugeben, dass er an die Rauhnächte glaubt, riskieren würden sie es aber auch nicht. Zugern würde ich wissen, wer draußen unter dem Hollerbusch eine Schale Milchreis hingestellt hat und wer der Meinung ist, dass man auch Füße nicht waschen sollte. Der Hinweis von Frau Obst, dass auf Ordnung zu achten sei, wurde von Frau Angermeier kommentiert. Sie weißt ausdrücklich darauf hin, dass vor den Rauhnächten geputzt werden muss, während ihnen aber auf keinen Fall. Ob man streiten darf, weiß ich nicht. Die beiden Alten tun es aber schon den ganzen Tag. Man hört sie im Treppenhaus. Schaden tut es sicher nicht. Dank meines Aushangs ist endlich auch Frau Lummer aus dem Hinterhaus integriert. Ihre Aushänge im Sommer, auf denen sie Kurs für feministisches Yoga (fragen Sie mich nicht, ich war nicht dabei) und schamanisches Trommeln für nur 125 Euro die Stunde anbot, kamen nicht so gut an. Dass sie jetzt aber mit glimmenden Büscheln aus Salbei und Johaniskraut durch das Treppenhaus rennt, finden wir gut. Das soll die bösen Geister vertreiben und wir hoffen, dass es auch gegen Frau Obst und Frau Angermeier hilft. Außerdem riecht es gut und jeder weiß, dass Johaniskraut beruhigend wirkt. Nur nicht auf unseren Hausmeister. Der tobt, weil nach der dritten Runde von Frau Lummer, die Rauchmelder angeschlagen haben. 

Passen Sie gut auf sich auf!

P.S. Falls Ihnen obiges bekannt vorkommt. Es ist aus 2018. Da Frau Lummer aber noch immer bei uns wohnt und seit fünf Jahren jedes Jahr das Haus ausräuchert (wir schätzen das mittlerweile sehr) hat der Text noch Gültigkeit. Also..Finger weg von der Wäsche.

37 Gedanken zu “Obacht – Rauhnacht!

  1. Liebe Mizzi,
    ich habe einmal gehört, man soll niemals aus dem Krankenhaus etwas mitnehmen,
    denn das bringt Unglück.
    Zumindest soll es bei Blumen so sein,
    ob es auch für Neugeborene gilt, ist nicht bekannt…

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    1. Lo watt’n Glück, dass ich das vor über 50 Jahren nicht gewusst habe – wer weiß, was aus den beiden für Medizingenies geworden wären, wären sie dort geblieben. So sind sie immer von Mutter und Vater bei ihren Höhenflügen gebremst worden.

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  2. Liebe Mitzi, ich hatte tatsächlich ein Déjà vu oder vielmehr lu, und beim ersten Mal konnte ich dir nicht mitteilen, wie herzig und lustig ich den Text fand. Bis heute finde, darum nun auch endlich die entsprechende Mitteilung.

    All diese Rauhnachtbräuche und Aberglauben habe ich vor Jahren mal akribisch recherchiert und einiges noch präsent. In meinem städtischen Milieu pflegten die Leute eher fragend zu schauen, wenn ich ihnen davon erzählt habe. Oder sie erwiderten lachend, dass sie solchen Unsinn schon mal gehört hätten. Also waschen wir hier unbeeindruckt auch zu den Rauhnächten (manche sogar an Feiertagen, was regelmässig die Mieterin direkt über der Waschküche auf die Palme bringt) und niemand räuchert das Haus ausser gelegentlich mit Bier- und Zigarettendünsten, was nun wirklich keine Freude macht.

    Aktuell herrscht hier gerade weihnächtliche Stille bis in die Waschküche, und da ich so klug war, vor meiner etwa stündigen Radtour alle Fenster im Treppenhaus zu öffnen und tatsächlich mal niemand sie inzwischen geschlossen hatte, auch sowas wie angenehme Atemluft. Allerdings arbeitet irgendwer mit eher seltsam anmutenden Zwiebelgerüchen bereits kräftig dagegen an. Nun, Zwiebeln sind ja gesund, und vielleicht vertreiben sie auch Dämonen…

    Herzliche Weihnachtsgrüsse nach Lummerland und noch schöne Feiertage 2023!
    Eva

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    1. Liebe Eva,
      die Zwiebelgerüche müssen etwas mit der Zeit zwischen den Jahren zu tun haben, denn auch hier sind sie ungewöhnlich stark vertreten. Zwiebel….ätherische Öle….ich übersehe hier bestimmt etwas, wenn ich nur an Essen denken. Dämonenaustreibung….das könnte die Intensität erklären.

      Meine Nachbarin hat übrigens gestern gewaschen und sich jeden Kommentar darüber verboten. Ich drücke nun die Daumen und hoffe, dass manches schlicht nicht stimmt. Sehr mutig die Frau.

      Noch schöne Feiertage und ein Treppenhaus ohne Bier- und Zigarettendünste. Die kann man sich tatsächlich nur schwer schönreden.

      Viele Grüße
      Mitzi

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      1. Hmm, ja, bei den Zwiebeln könnten wir etwas ganz Grossem auf der Spur sein. Mit Zwiebelwickeln soll man ja Halsschmerzdämonen austreiben können, und ein paar Zwiebeln zu kauen mag helfen, wenn man von jemandem lieber nicht geküsst werden will. Über diese bekannten Anwendungen hinaus müssten wir forschen – vielleicht, während die Wäsche im Trockner ist? Das scheint mir – wie in den Kommis erwähnt – wirklich der beste Schutz gegen hängengebliebene Geister zu sein. Und wenn doch mal einer dazwischen gerät, wird dem hoffentlich so übel bei der Dreherei, dass er freiwillig das Weite sucht. Oder ob getrockneter Geist im Flusensieb hängenbleibt?
        Vielleicht weiss es die mutige Nachbarin.

        Ich wasche übrigens am 30. Dezember – falls der Trockner ausgerechnet da kaputt sein sollte: Arrivederci! Es war schön, dich kennengelernt zu haben.
        👋🏼👋🏼👋🏼

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      2. Also wäscht du heute, du mutige. Bitte benutze im Falle eines Trocknerausfalls den Föhn oder läute bei den Nachbarn. Ich würde ungerne auf dich verzichten, solange wir das mit den Zwiebeln noch nicht final geklärt haben.

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      3. Der Trockner hat zum Glück nicht schlappgemacht, doch von der Anstrengung, mir vorzustellen, wie ich die komplette Wäsche mit dem Haartrockner bearbeiten muss, erhole ich mich immer noch…
        Was mir Kraft gibt ist einzig deine Behauptung, nicht auf mich verzichten zu wollen, auch wenn’s nur wegen der bislang unerforschten Nebenwirkung von Zwiebeln ist.
        😄

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  3. Waschen in den Raunächten ist weniger das Problem. Aber das Aufhängen der Wäsche, da sich zwischen den Laken, Handtüchern etc. umher ziehenden Geister verirren, verheddern und hängen bleiben, ein Jahr lang für alle möglichen Dinge verantwortlich sind, die niemand wirklich erleben will.
    Also: Waschen und ab damit in dem Trockner.
    Problem gelöst.
    Und ich geh dann mal den Ständer mit der frischen Wäsche reinholen.
    Sicher ist sicher.

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    1. Danke – die Variante kannte ich nicht. Besser du holst die Wäsche wirklich rein. Man weiß ja nie. Ich hörte, dass der Tod beim Wäsche waschen vorhergesagt wurde, da früher wirklich nur die Leute zwischen den Jahren waschen musste, die einen Kranken zu hause hatten und daher mehr als sonst Bettwäsche und Laken waschen mussten. Aber wer weiß…

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  4. Ich verweise natürlich erst auf Deinen Kommentar zu meinem Raunacht – Text und meinem Kommentar zu Deinem Kommentar…
    ja, ja, usw.
    Socken darf man schon? Waschen mein ich. Und andere Unterziehsachen, die man gerade im Winter viel braucht.
    Was das womöglich ayurvedische Rauchzeugs angeht, es wirkt natürlich nur, „wann’s gweicht is!“ Sonst halten das die von der anderen Seite für eine Einladung zum Salbeiteekränzchen. Was auch ganz nett sein kann, nur muß man da aufpassen, dass man nicht irgendwelche immateriellen Güter leichtfertig veräußert, ein Seelchen etwa.

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    1. Socken müssten ok sein. Die Lacken und die Bettwäsche, die sind gefährlich (heißt es).
      Beim Rauchzeugs kenn ich mich nicht aus und vertraue auf die Räucherfrau aus dem Hinterhaus. Veräußerte Seelchen beunruhigen mich aber tatsächlich etwas. Es gibt so viel zu beachten scheint mir.

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      1. Einfach nix mit Blut unterschreiben! Das sollte schon mal die halbe Miete sein, um dableiben zu dürfen. Und den durchaus reizvollen Typ mit der Hahnenfeder am eleganten Hut und dem Huf,* den attraktiven Kerl mit dem Schwefelparfüm, den nicht reinlassen und schon gar keinen Handel mit ihm eingehen.
        (*Vgl. Frauenkirche)

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  5. Ist schon witzig, was der Mensch sich so alles ausdenkt.
    Da ich aber in einer völlig „unchristlichen“ und nicht
    abergläubigen Familie in der Großstadt aufwuchs,
    kam ich mit derlei Gebräuchen und Regeln nie in
    Kontakt: habe sicher allerlei davon gebrochen,
    und lebe doch immer noch fidel… 😉
    „Was man nicht weiß, macht einen nicht heiß“

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    1. Nicht wissen ist in dem Fall bestimmt ein wunderbarer Schutz 🙂
      Ich kenn die ganzen Geschichten, aber zum Glück wurden sie mir immer mit einem Augenzwinkern erzählt und wirkten daher eher spannend als fruchteinflösend. Nur Waschen…das mach ich tatsächlich erst wieder im neuen Jahr. (Könnte auch an meiner Faulheit liegen 😉 )

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  6. Bei uns ist das größte Problem, dass in den Rauhnächten die wilde Jagd unterwegs ist. Tiere, die nicht im Stall eingesperrt sind, werden von ihr mitgerissen, Menschen auch mal ganz gerne, und Wäsche, die draußen getrocknet wird, sowieso. Waschen soll man in der Zeit auch nicht, aber immer wenn uns die Socken ausgingen, hab ich es trotzdem gemacht. Gestorben ist keiner, aber vielleicht waren die Fünf in Bio, der verlorene Schlüssel oder der angeknackste Zeh ja darauf zurück zu führen.

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  7. Immerhin habe ich mir nicht die Füße gewaschen. Das lag zwar nur daran, dass die Antirutschmatte in der Dusche so rutschig war und ich mich nicht gut bücken kann, aber davon wissen hoffentlich die Geister nichts!

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    1. Ich glaube die Geister bekommen insgesamt nicht viel mit.
      Gefährlicher dürfte die rutschende Antirutschmatte sein. Von der Sorte habe ich auch eine und hoffe wir rutschen in diesem Fall nicht ins neue Jahr.

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  8. Da ich schon die Hälfte der Fehler gemacht habe, kommt es auf die andere Hälfte auch nicht mehr an. Pfui Teufel, gerade heute 2 Trommeln gewaschen – aber nicht für die Geister draußen aufgehängt.
    Was ich immer noch bedaure, dass ich deine nette Nachbarin nicht in Augenschein genommen habe.
    Paar verliehene Sachen muss ich noch eintreiben.
    Gut’s Nächtle!

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  9. Gute Wünsche, liebe Mitzi,
    für die kommenden Tage und Nächte und insbesondere für ein glückliches, gesundes und friedliches neues Jahr.
    Danke für Deine Geschichten – erzähl‘ uns weiter!
    Herzliche Grüße nach Giesing aus Wöhrd
    Bernd

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  10. Liebe Mitzi,
    für meine Fingernägel ist es zu spät. Ich habe sie geschnitten. Aber! Geputzt habe ich nicht. Nicht vor und nicht während den Rauhnächten. Und selbst danach werde ich es aus Sicherheitsgründen bleiben lassen… 😉
    Ich wünsche Dir ein gutes Neues

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  11. da die jahre, in denen ich auf das wäschewaschen im sinne des raunachtsbrauches verzichtet haben, mitunter die schlimmsten waren, sehe ich das zuweilen entspannt. beim jahr reflektieren und räuchern bin ich aber dabei. mach dir deine welt so wie sie dir gefällt und so (ich find es immer erstaunlich, wie viele todesdrohungen bei diesen bräuchen immer dabei ist. schicksal à la Kettenbrief gabs halt schon im mittelalter und weit davor wie es scheint)

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    1. Völlig richtig. Wir machen es wie Pippi Langstrumpf und picken uns das raus, was uns gut tut!
      Würden all die Todesdrohungen aus Kettenbriefen oder alten Sagen eintreten, würden wir uns hier auch gar nicht mehr schreiben können ;).

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