Randnotiz #3

Ich war gerade volljährig geworden und arbeitete in einer Bank. An diesem letzten Oktobertag fielen bereits die ersten Schneeflocken. Kalter Wind und rutschiges Laub waren nichts für den wackligen, über achtzigjährigen Kunden, den ich gerade bediente.

Ob er wirklich unbedingt morgen, an Allerheiligen, auf das Grab seiner Frau müsse, fragte ich ihn und deutete auf den Stock, der nur notdürftig für einen sicheren Schritt sorgte. Er lächelte und nickte. Freilich, sagte er. Stell dir vor, sie (seine Frau) sitzt da oben, wartet und keiner kommt.

Ich habe den Satz nie vergessen. Allerheiligen (und immer wenn mir dieser Satz durch den Kopf schießt) muss ich an das Grab meiner Großeltern, meiner Urgroßeltern und meiner Großtante Mitzi. Ich weiß nicht ob ich daran glaube, aber…stell dir vor, sie sitzen da oben, warten und keiner kommt. Ich muss hin. Ich will hin. Ich bin gerne dort.

30 Gedanken zu “Randnotiz #3

      1. Mir ist Geburtstag oder Todestag wichtiger als Allerheiligen – aber ich begnüge mich auch meist mit dem Denken, denn die Anreise ist nicht gerade um die Ecke.
        Aber der Mann ist trotzdem knuddelwürdig!
        Mit Gruß von mir

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      1. yo … und trotzdem werfe ich mir dauernd vor … nicht an die Gräber zu gehen …

        eigentlich total überflüssig … bei meiner Einstellung … die ich doch für die richtige halte … *grübel*

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      2. mit meinem Vater war geklärt … wie blöd es wäre … wenn wir uns nach seinem Tod öfter „sehen“ würden … als zu seinen Lebzeiten …

        meine Kids wissen auch … dass ich nach meinem Ableben mehr Wert auf einen Platz in ihren Gedanken lege … als auf irgendwelchen kitschigen Grabschmuck … oder regelmäßiges Unkrautzupfen …

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      3. Beides kann ich gut verstehen. Die Gedanken sind viel wichtiger. Nur wenn der, der gerne an einen Verstorbenen denkt, sich an seinem Grab noch etwas näher fühlt und dort mit einem Lächeln und nicht aus Verpflichtung steht, dann ist es ein schöner Brauch.

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      4. yo … wenn es erlaubt wäre … würde die Urne meines Vaters jetzt neben der meines DRAGO in der Trophäen-Vitrine stehen …

        so wäre er mir dann genau so nah …

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  1. Schlechtes Gewissen, Ungeduld, Erwartungen und noch viele andere Gefühle und Eigenschaften werden unwichtig, wenn man erst einmal dort oben ist – denke ich. Aber man tut es ja auch für sich.
    Wie Herr Ösi schon sagt, das Denken an die Lieben ist nicht ortsgebunden.

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    1. Sie haben Recht, Heinrich. All diese Gefühle bleiben bei uns, die wir zurück geblieben sind. Man tut es nicht für die, die womöglich warten. Zu 99,99%. Das 0,01% Stückchen möchte ich nicht ausschließen und zünde deswegen eine Kerze an. Einerseits. Andererseits – und das ist der Hauptgrund – weil ich beim Anzünden intensiver an meine Lieben denke und mich ihnen auf eine sehr schöne Weise nahe fühle.
      Die Allerheiligen-Verpflichtung ist Blödsinn. Wenn es ein schöner Spaziergang ist, dann und nur dann ist es etwas sehr schönes.
      Herzliche Grüße

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  2. solche Gedanken finde ich schön für die Leute, die daran glauben, wenn ich auch persönlich nichts damit anfangen kann.
    In den Gräbern ist für mich nur so etwas wie ein Mantel, den die Toten getragen haben für ihr irdisches Leben, der Mantel hat für mich nichts mit der Seele zu tun.
    Für mich sind die Toten immer bei mir, egal wo ich bin.
    Und ich glaube, sie merken, wenn ich an sie denke.

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  3. Mitzi, was habe ich es als Kind „gehasst“, Sonntag für Sonntag an das Grab meines Vaters zu gehen, den ich ja noch nicht mal kannte. Irgendwann habe ich mal aufbegehrt und gesagt: „Was soll ich denn am Grab dieses fremden Mannes.“ Mein Vater ist tödlich verunglückt, als ich 8 Monate jung war.

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    1. Wenn so gar keine eigenen Erinnerungen mit einem Menschen verbunden sind, dann stelle ich mir das auch als reine Pflicht vor, jeden Sonntag an das Grab zu gehen.
      Ach je…so jung schon verunglückt. Das ist für eine Familie auch schwer zu stemmen.

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      1. Meine Mutter ist mit 30 Witwe geworden und danach gab es keinen mehr – ich hätte so gern einen Vater gehabt, wie fast alle in der Klasse. In meiner Generation sind ja viele Väter im Krieg gefallen. Meiner hatte Krieg und russische Gefangenschaft überstanden und lässt sich dann auf dem Fahrrad vom LKW überfahren.

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      2. Liebe Clara,
        es ist zwar traurig, dass Sie sich einen Vater wünschten und ihn nicht bekamen. Aber auch ohne Vater – oder vielleicht sogar deswegen, ist aus Ihnen so ein „Prachtweib“ geworden. Sie mussten sicher sehr viele Dinge lernen und tun, die sonst die Väter übernehmen.
        Gruß Heinrich

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  4. Man sollte immer das tun, von dem man weiß oder fühlt, daß es dass Richtige ist, völlig unabhängig davon, was andere davon halten mögen. Das ist die richtige Einstellung.

    Du hattest also gerade Geburtstag? Ganz herzlichen Glückwunsch! Wieder ein Jahr weiser.:-)

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    1. Mein Geburtstag ist schon im Juni. Aber wenn so viel Zeit seit der Volljährigkeit vergangen ist, dann ist es rückwirkend auch Monate nach dem 18ten wohl noch „als ich gerade volljährig wurde“.
      Weiser bin ich immer noch nicht. Nur älter 😉

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