Albtraum gefällig?

Es gibt wenige Menschen, die man mitten in der Nacht anruft. Und es gibt nur einen Menschen, den ich mitten in der Nacht anrufe, weil ich schlecht geträumt habe. Ich bin zu alt um mich von Träumen schrecken zu lassen und zu wenig ängstlich um nicht wieder einzuschlafen. Und doch rief ich vor einigen Wochen spät nachts  den klügsten meiner Freunde an. Seine Stimme klang verschlafen und er fragte nur leise, ob ich vom Wasser geträumt hätte? Seltsam, dass er nach über zwanzig Jahren noch ahnte, dass mich nur ein Traum von Wasser dazu bringen würde, ihn aus dem Schlaf zu reißen. In dieser Nacht verneinte ich und erzählte ihm, dass meine Wohnung im Traum zu einem Bordell umfunktioniert worden war. Anders waren die vielen nackten Asiatinnen, die im Schneidersitz auf meinem Bett, dem Sofa und dem Küchenboden saßen nicht zu erklären gewesen. Auch die ebenfalls asiatische Puffmutter, die unglaublich dick war und Termine vereinbarte passte zu meiner Vermutung, dass man meine Wohnung in ein Freudenhaus verwandelt hatte. Seltsam war, dass es mich nicht störte, da ich nur telefonieren wollte und mit der Puffmutter stritt, weil sie die Leitung blockierte. Ich hörte ihn leise lachen bevor er mich fragte, wo das Wasser gewesen sei. In diesem Traum gab es kein Wasser, aber auch in ihm kam ich an einem Punkt, in dem ich etwas vergleichsweise einfaches tun möchte und es nicht kann. Von der Puffmutter drohte mir keine Gefahr. Als ich im Traum das Telefon in der Hand hatte, scheiterte ich am wählen der Nummer. Immer wieder verwählte ich mich und nie gelang es mir die wenigen Zahlen in der richtigen Reihenfolge einzutippen. So lange bis ich wütend und verstört aufwachte. Normalerweise stehe ich im Traum im Hüfttiefen Wasser und komm nicht von der Stelle. Eigentlich müsse es leicht gehen, man kann sich im Wasser ja gut fortbewegen. In meinen Träumen nicht. Da ist es unendlich anstrengend und meine Beine gehorchen mir nicht. In diesem Traum versagten meine Finger und ich hatte ihn angerufen um mich zu versichern, dass ich noch wählen konnte. Jeder andere hätte mich für verrückt erklärt. Der klügste meiner Freunde, lachte nur leise und wünschte mir eine gute Nacht. Eine Traumlose fügte er an und legte auf.

Seine ganz persönlichen wiederkehrenden Träume hat jeder und meine sind vergleichsweise harmlos. Zum Albtraum werden sie wenn ich im Wasser stehe, nicht von der Stelle komme und spüre, dass es mich langsam auf ein Wehr zutreibt. So wie als Kind, als wir im Mühlbach mit schwammen und ich die vorletzte Leiter verpasste. Die Strömung war viel zu stark um stehen zu bleiben und hinter der letzten Leiter kam die Krämer-Mühle. Deshalb nahmen wir sicherheitshalber immer schon die vorletzte Leiter. Nur an diesem Nachmittag nicht und meine Freunde begannen zu schreien und zu brüllen, dass ich unbedingt die letzte erwischen musste. Ich habe sie locker erreicht. Trotzdem habe ich minutenlang gezittert, als ich aus dem Wasser stieg. Vor der Mühle war ein Gitter, aber wir erzählten uns, dass der Sog des Wassers dort so stark war, dass es einen direkt nach unten zum Wehr zog. Ausprobiert hat es niemand, aber noch heute läuft es mir kalt den Rücken runter, wenn ich so ein Wehr sehe. Ein paar Kilometer statt einwärts steht eine weitere, viel kleinere Mühle. Ein Überbleibsel alter Zeiten aber heute noch zur Stromgewinnung genutzt. Als Kind warf ich mit meiner Mutter immer Stöckchen hinein und wir sahen zu wie sie verschwanden. Schon damals empfand ich es als gruselig mir den Wassersog vorzustellen und nicht zu wissen was im Wehr geschah. Geschwommen bin ich dort natürlich nie. Wobei es auch dumm war bei der anderen Mühle zu schwimmen. So dumm, dass man es uns gar nicht erst verbot. Wir hätten es eh nicht geglaubt, schließlich gab es Leitern die zum ein- und aussteigen einluden. Überhaupt hat man uns als Kind das Schwimmen nie verboten. Unsere Eltern setzten gesunden Menschenverstand voraus. Den wir allerdings nicht hatten. Wir liebten die kleinen, harmlosen Wasserwalzen in der Isar. Und die großen unterschätzten wir aus Dummheit und Unwissenheit. Noch heute ertrinken immer wieder Menschen an der Stelle an der wir als Kinder am liebsten badeten. An der Floßrutsche bei der Marienklause oder an den  Wasserrutschen unter der Flaucherbrücke, war es am schönsten sich ins Wasser zu stürzen. Die kleinen Stufen im Flussbett sehen harmlos aus und in all den Jahren hat es von uns niemanden erwischt.  Manchmal sehen meine Freundin und ich uns heute an, wenn wir dort spazieren gehen. Glück, frage ich dann und sie zuckt mit den Schultern, weil sie lieber nicht darüber nachdenken möchte.

Ich kann nicht lange in der Nähe von Wasserkraftwerken stehen. Wenn ich zu lange dort hinsehe wo sich Turbinen, Wehre und Fanggitter befinden, dann spüre ich den Sog an meinen Beinen und habe das Gefühl keine Luft mehr zu bekommen. Für meine Albträume brauche ich keinen Traumdeuter. Die Erinnerung an eine ganz normale Kindheit reicht. Eine Kindheit mit viel Glück und die Erinnerung an die starke Strömung an den Beinen – herrlich und gruselig zu gleich. Der klügste meiner Freunde weiß was ich meine. Auch er schwamm als Kind in der Isar an den Stellen, an denen heute Baden-Verboten-Schilder stehen. 

 Nur für diesen Blogartikel bin ich bei der Bäckermühle, bei mir ums Eck stehen geblieben. Und auch nur für das Foto.