Tante Mitzi

Wenn ich meine Eltern besuche stehen seit einigen Jahren am Klingelschild zwei Namen. Der Name meiner Eltern und der Name der Tante meines Vaters. Das ist ungewöhnlich, weil diese schon seit vielen Jahren nicht mehr lebt. Dass er nun deutlich sichtbar am Briefkasten, der Klingel und der Tür steht, ist meine Schuld und ich freue mich jedes einzelne Mal, wenn ich ihn sehe. Sie müssen wissen, dass meine Großtante eine der wundervollsten Frauen war, die unser Familie zustande brachte und seit ich mir ihren Namen geklaut habe, ist ein Teil von ihr noch immer bei mir. Besonders dann, wenn man mich fragt, wie eine echte Münchnerin wie ich, zu diesem Namen gekommen ist. Dann erzähle ich nicht meine, sondern ihre Geschichte. Mitzi ist die Abkürzung für Maria – in Bayern eher ungewöhnlich, im Sudentenland aber ganz normal und von da stammt dieser Teil meiner Familie. Irsaj freilich hieß Tante Mitzi nicht immer. Den Namen hat sie erst bekommen, als sie sich nach dem Krieg unsterblich in Mischko oder Michl (in unserer Familie neigen wir dazu jeden Vornamen gewaltig zu verhunzen) einen Serben verliebte und diesen geheiratet hat. Er war nach dem Krieg in München geblieben und dorthin hatte es, nach einem Zwischenstopp in einem Lager für Vertriebene, auch Mitzi verschlagen. Ein großes Glück, den wenn ich mich richtig erinnere, mochte ich Mischko unheimlich gerne. So ganz genau weiß ich das nicht mehr, weil er viel zu früh starb, aber auf dem Foto von mir und ihm, grinse ich als Baby recht zufrieden. Das erzähle ich meistens nicht, nur, dass ich am Grab meiner Tante Mitzi plötzlich wusste, dass mir ihr Name viel besser gefällt als mein eigener und ihn mir kurzerhand  zu eigen machte. Mittlerweile gehört er so sehr zu mir, dass er offiziell (auf der Rückseite) in meinem Ausweis steht, im Impressum angegeben werden darf und ich ein Konto mit ihm eröffnen konnte. Viel wichtiger als die damit verbundene Anonymität und der schöne Klang ist aber, dass ich Tante Mitzi immer bei mir habe. Weiterlesen