Leuchttürme

An einem Augusttag vor fast zwanzig Jahren nahm meine Großmutter meine Hand und bat mich, um einen Gefallen. Mir, dem jüngsten ihrer vielen Enkelkinder, erteilte sie nur selten Ratschläge und beobachtete über viele Jahre mit nachsichtigem Schmunzeln wie ich fröhlich durch das Leben schlitterte, versuchte mit dem Kopf durch die Wand zu rennen und mir als junge Erwachsene reichlich Schrammen im echten und im übertragenen Sinn zuzog. Bei mir fühlte sie sich nicht genötigt Ihre Meinung kundzutun. Im Großen und Ganzen schien es zu passen. Ein Abitur auf Umwegen, warum nicht, wenn es mir so leichter fiel. Ein Studium von dem sie selbst vermutlich schon lange ahnte, dass es zu mir nicht passte und Beziehungen, die – ganz im Gegensatz zu denen ihrer anderen Enkelkinder – nicht in einer Ehe mündeten. Für sie waren das alles meine Entscheidungen, die keiner Kommentierung bedurften. Vielleicht sah sie bei mir alles entspannter, weil ich die Jüngste war. Die Älteren gingen gerade Wege, da konnte die Jüngste ruhig ein paar Haken schlagen. Alles in allem lief es ja doch in die richtige Richtung. Nach ein paar Jahren in Italien war ich wieder zu Hause in Bayern, in einer festen Beziehung und auf dem Sprung in ein Leben, wie es die restlichen ihrer Enkel führten. Ein Leben, wie auch sie es kannte. Sie, die alte Bäurin, die am Ende doch so viel mehr erlebt hat, als man von einer Frau, die ihr Geburtshaus nie verlassen hat, meinen möchte. An diesem Augusttag auf der Hausbank überraschte sie mich, als sie meine Hände beide fest drückte und mich bat ihr nicht böse zu sein, wenn sie mir jetzt zum ersten Mal um etwas bitten würde. Böse war ich ihr nicht, ich habe sie damals nämlich schlicht nicht verstanden.

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