Rilassati, sagt eine Freundin, als ich versuche sie am Telefon abzuwürgen. Rilassati…entspann dich, ist leicht gesagt. Leichter bestimmt, wenn man nicht in 90 Minuten am Bahnhof sein muss und noch knöcheltief zwischen Kleidern, Bikinis und Dingen die man einpacken, aber sicher nicht brauchen wird, steht. Rilassati, denke ich mir selbst 30 Minuten später und werfe wahllos ungebügelte Kleidungsstücke in den Koffer.
Rilassati denke ich mir, als ich mir eine Taxifahrt für 50 Euro gönne, weil die Alternative ein Hitzschlag wäre. Und denke es solange weiter, bis ich es mir nicht mehr sagen muss, weil ich es fühle. Entspannung pur. Oder – wie eine mir nahestehende Person es beschreibt – meine Eigenart bei der Überschreitung der Grenze am Brenner eine erstaunliche, ihr nicht ganz geheure, Gelassenheit an den Tag zu legen. Es handelt sich hierbei übrigens um keine Eigenart. Ganz im Gegenteil, es ist eine hart antrainierte Fähigkeit, absolut nichts zu erwarten, nichts zu planen und mit allem was geschieht zurecht zu kommen.
Mit dem obligatorischen Streik letzten Donnerstag in Italien zum Beispiel. Man könnte versuchen mit dem Bus ans Ziel zu gelangen oder man macht einfach gar nichts, bucht sich im schönsten Strandbad ein und sieht ein, dass die über 80 % Luftfeuchtigkeit gepaart mit Gluthitze eh keine Alternative zugelassen hätten. Ich bin im „Rilassati Modus“ und freue mich, dass es meiner Freundin, die zum ersten Mal bei mir in Italien ist, genauso geht. Wir versumpfen beim Aperitiv und sagen den Tisch im Restaurant ab. Lassen uns treiben und genießen planlos all das was sich gerade gut anfühlt. Ich soll mich schön weiter entspannen, gibt sie mir noch mit auf den Weg, als ich sie am Bahnhof in Genua in ihren Zug setze.
Ja, hatte ich vor. Blöderweise bin ich nur bis Genova Pra gekommen und muss fünf Stationen weiter. Der Zug steht. Eine Stunde, bis die ersten aufgeben und sich Alternativen suchen. Streik ist es diesmal nicht, dafür irgendein Weichenproblem. Die nächsten Stunden geht hier nichts. Rilassati, ist mein Mantra, das mich gerade nervt. 12:00 Uhr mittags, bullenheiß und mit den Bussen hier kenne ich mich nicht aus. An der Haltestelle informiert man mich, das mein Ziel etwas ungünstig liegt. Das merke ich auch und gehe erst mal eine dreiviertel Stunde am Meer entlang. Blöde Idee (Mittag, Sonne, Sommer – in diesem Fall keine gute Kombi). Aber ich bin entspannt. Total. Zwei Stunden später habe ich die richtige App auf dem Handy und bin nach drei Mal umsteigen zu Hause.
Entspannt bin ich wirklich. So entspannt, dass ich mir zum Aperitiv im Garten mit drei guten Freunden das leichteste (ungebügelte, farblich fragliche, eigentlich scheußlich und nur im engsten Kreis getragene) Lieblingskleid überwerfe und mich zehn Minuten später in einer Runde von ca. 12 gutaussehenden Menschen wiederfinde, die alle zu höflich sind um sich laut zu fragen, wer bzw. was da vor ihnen steht. Gut das sie mich nicht kennen, den wenig später hält es der mutigste meiner Freunde für eine gute Idee, mir den Schlauch der Bewässerungsanlage ins Gesicht zu halten. Ich bin jetzt grell, nass und habe verschmierte Wimperntusche. So kann ich mir dann aber auch die Weinflasche schnappen, die zwei Männer nicht aufbekommen und sie problemlos öffen. Ich bin jetzt Hulk im Kleid und ich glaube, ich mache ihnen Angst. Männliche Egos sind empfindlich.
Streik, Zugausfall, peinlicher Auftritt – egal! Mi rilasso. Eventuell ist das gramatikalisch falsch, aber die Stimmung ist es nicht. Genau die richtige um mit den Jungs, von denen zwei der drei, die sechzig schon deutlich überschritten haben eine Bootstour zu machen.
Also nächsten Sommer mache ich einen Bootsführerschein. Nicht weil ich Lust habe, sondern weil ich den Kerlen misstraue. Der erste ist beim Versuch sich die Füße zu waschen noch vor der Abfahrt ins Hafenbecken gefallen, der zweite bei der Ankunft, als er sich etwas zu weit verrenkte um seine Badehose zu holen. Beide nüchtern, beide zum Glück nur leicht angeschrammt. Rilassata schön und gut – aber im Zweifel macht es wohl Sinn das Boot selbst steuern zu können. Notfalls von ihnen weg.
Mi sono rilassato tantissimo. Zurück ging es mit dem Flugzeug. Total rilassata hab ich nicht mal gemerkt, dass der Pilot anstatt zu landen Kreise flog. Auch nicht wirklich, dass wir nachdem wir schon recht weit unten waren, wieder hoch flogen. Mit soviel Entspannung im Nacken merkt man das nicht. Was man dann aber schon merkt ist, der Momen, wenn kurz vor dem Aufsetzten durchgestartet wird. Das fühlt sich interessant an und ist nicht so rillasi. Wenn man dann eine Stunde später in Linz statt in München landet ist es mit dem rilasso ganz vorbei. Kurzzeitig.
Aktuell habe ich muckelige 29 Grad in der Wohnung und mir ist so heiß, dass ich nicht denken kann. Bei solchem Wetter habe ich den Entspannungsmodus auch nördlich der Alpen an. Vielleicht ist er wirklich etwas grenzwertig. Eine Freundin rief vorhin heulend an, weil ihr zwei von drei Küchenschränken von der Wand gekracht sind und so ziemlich jeder Teller, jedes Glas und alle Tassen kaputt sind. Ich sagte ihr, sie soll sich entspannten, den ganzen Scherbenhaufen liegen lassen und auf ein Glas Wein vorbei kommen. Ob ich spinne wollte sie schniefend wissen. Ne, sag ich, rilassati. Die Scherben laufen nicht weg, aber wer weiß ob der morgige Abend so schön ist wie der heutigt.
Sie kommt. Ich stecke an. Also…entspannen Sie sich.