Stade Zeit

Es schneit. Als ich vorgestern morgen aus dem Fenster sah, war die ganze Stadt fein mit Schnee bestäubt. Das ist schön. Mit dem Kaffeebecher in der Hand habe ich mich aufs Fensterbrett im Schlafzimmer gesetzt und fünfzig Minuten nach draußen geschaut. Ich kam zu spät ins Büro, aber ich bin sicher, dass meine Kollegen gerne mein Meeting übernommen haben. Wer mich kennt, weiß, dass ich den ersten Schnee liebe und sehnsüchtig erwarte. Sie hatten Verständnis und ihr Gemotze war sicher nicht ernst gemeint. Wer kann bei Schnee schon schlechte Laune haben. Die weiße Pracht läutet den Advent ein und der ist mir eine meiner sechs liebsten Jahreszeiten. Jedes Jahr, kurz nach dem Oktoberfest, behaupte ich deshalb an kühlen Tagen schon, dass es bereits nach Schnee riechen würde und stimme mein Umfeld auf den anstehenden Advent ein. Wenn meine Kolleginnen die Halloween Kostüme für ihre Kinder nähen, lege ich in der Büroküche die ersten Lebkuchen aus und setzte im Wasserkocher den Punsch an. Obwohl das ganze Stockwerk über den penetranten Geruch motzt, bin ich sicher, dass sie ihn eigentlich mögen. An Allerheiligen überprüfe ich heimlich, ob die Lichterkette, die zwölf Monate unbeachtet im Schrank meiner Kollegin lag, noch funktioniert und stelle eine Schachtel Christbaumkugeln dazu. Die ist etwas sperrig, aber die Kollegin kann ihre Ordner ja auch auf den Tisch stellen. Ich kontrolliere den Urlaubsplan der Abteilung, suche passende Tage für einen Glühweinumtrunk heraus und überlege mir ein Motto für das diesjährige Wichteln. Beides mit Hilfe diverser Doodle Umfragen, mit denen ich die E-Mail Accounts der Abteilung zuspame. Ich mache das alles nicht, weil ich schon in Weihnachtsstimmung bin – im Oktober, Gott bewahre. Selbst im November empfinde ich den Geruch von Lebkuchen und Stollen als Zumutung. Ich mache all das, weil ich eine ausgesprochen fürsorgliche und vorausschauende Kollegin bin. Ich mache es, damit die Leute nicht wieder vom Advent überrollt werden. Weiterlesen