12.02.2022. Ein schönes Datum für den Frühjahrsanfang, finden Sie nicht? Und kommen Sie mir bitte nicht mit Erklärungen, dass der Frühling nicht heute beginnt. Heute, am 12.02.2022 hat er begonnen. Vielleicht nicht bei Ihnen, aber ganz sicher bei mir. Also in München. Präzise, nach dem Überqueren der Isar und dem betreten der Viertel, die sich der Durchschnittsmünchner leider kaum noch leisten kann, da ist seit heute Frühling. Und weil das ganz München schon vor dem ersten Kaffee gespürt hat, trifft es sich auch genau dort – in der Innenstadt. Wenn eine ganze Stadt in ihr Zentrum pilgert, kann es freilich schnell ein wenig eng werden. Das stört uns aber nicht. Die Pandemie ist beendet – das ist sie ja jedes Jahr wenn es warm wird. Fünf Grad bei strahlendem Sonnenschein sind grad recht, für einen Münchner, den es nach dem Winter nach draußen treibt. Wir rutschen einfach ein wenig zusammen und sehen die Aufkleber, die um den nötigen Abstand zwischen Stühlen und Tischen bitten, eh nicht, weil die unter Unmengen von Decken verschwinden. Decken, die von Wirten, Cafés und Bars hastig vom Speicher geholt und auf die unglaublich kalten Metallstühle geworfen wurden. Der Münchner sitzt seit heute nämlich wieder draußen und blinzelt unter der Mütze in die Sonne, während er in den behandschuhten Händen den ersten Aperol Spritz des Jahres trinkt. Den ersten unter freiem Himmel und mit einem leicht arroganten Grinsen auf den Lippen, wenn sich italienische Touristen in den Innenräumen der Bars aufwärmen. Keine Ahnung vom Frühling haben die, denkt sich der Münchner und dreht seinen Stuhl in die genau gleiche Richtung wie die restliche Stadt – mit dem Gesicht in Richtung Sonne. Sonst lohnt sich die zuvor neu gekaufte Sonnenbrille ja nicht. In der Innenstadt ist die so unverschämt teuer, dass man sie ab jetzt am besten gar nicht mehr absetzt. Warum auch? Es ist ja Frühling.
Das muss man sich freilich immer vor Augen halten, sonst spürt man die herannahende Blasenentzündung überdeutlich und fragt sich am Ende noch, wie man so blöd sein konnte, sich ein Getränk mit Eiswürfeln zu bestellen. Weg mit den Wintergedanken und ein paar Bilder nach Italien zu den Freuden geschickt. Schon so warm, fragen Sie und wir schwindeln – warm ist schließlich ein nicht genau definierter Begriff – so hemmungslos, dass uns vor Scham gleich ein bisschen wärmer wird. Aber schön ist er schon, der erste Frühlingstag. Leute schauen, das ist schön, nach all den Monaten die man drinnen verbracht hat. Und wichtig. Vor lauter Homeoffice weiß man sonst ja gar nicht mehr, was man im Moment so trägt. Schick, schick. Ich auch. Glaube ich zumindest, den in der Spiegelung der Schaufenster sehe ich mich bei den vielen Leuten natürlich nicht. Heut ist wirklich die ganze Stadt auf den Beinen. Schön ist das! Vielleicht nicht überall, aber in München ist es herrlich. Heut, am ersten Frühlingstag. So schön zu sehen, dass es uns alle noch gibt. Da darf man schon ein bisschen sentimental werden, beim zweiten Spritz, der schon nicht mehr ganz so kalt wie der erste ist. Der Kellner hat die Eiswürfel vergessen, was angesichts des Windes der um die Ecke pfeift auch völlig ok ist. Außerdem rennt er sich die Hacken ab, weil er nicht nur die Sitzenden, sondern auch all die am Rand stehenden bedienen muss. Es ist ja wirklich die ganze Stadt hier. Oder zumindest ein Großteil. Die Haidhauser sind wahrscheinlich in ihrem Viertel geblieben. Das ist so gentrifiziert und hat zugleich noch so hübsche alte Häuser, dass man den Berg eigentlich wirklich nicht runter muss. Und an der Isar werden wahrscheinlich auch recht viele sein. Aber der Rest, der ist hier und blinzelt in die Sonne. Selbst wenn er im Schatten sitzt. Das muss so sein. Wenn man den Frühling Anfang Februar einläutet, dann muss man sich ein bisschen selbst anschwindeln und einreden, dass es auch an der zugigen Ecken schon so warm, wie an den sonnigen und windgeschützten Hauswänden ist. Der durchschnittliche Münchner kann das gut.
Der Nachbarsjung, schiebt die Mütze nach oben, grinst mich an und sagt, dass ich spinne. Ich zucke mit den Schultern, schaue ob mein Schal noch richtig über seinen Schultern liegt und erkundige mich ob die heiße Schokolade und die warme Suppe gut sind. Er nickt und sieht nicht verfroren aus. Ein echter Münchner. Die spinnen alle sagt er und meint die ganze Stadt. Ja, sage ich. Endlich wieder. Pünktlich zum Frühlingsanfang.