Endlich Mistwetter

Es regnet. Nein, es schüttet. Es gießt aus Kübeln. Kalter Regen gepaart mit kräftigen Windböen. Herrlich. Und falls Sie zwischen diesen Worten Ironie suchen…machen Sie sich keine Mühe. Ich genieße dieses Wetter in vollen Zügen. Erstens, weil alles andere dem bayerischen November nicht gerecht werden würde und zweitens, weil ich endlich nicht mehr den Drang verspüre, den Frühling, Sommer und goldenen Oktober ausnutzen zu müssen. Endlich kann ich mich ohne selbstauferlegtes, schlechtes Gewissen in meiner Wohnung eingraben und mir selbst versichern, dass ich „draußen“ absolut nichts versäume. Die nächsten Monate werde ich Regen, Kälte und Matsch herzlich willlkommen heißen und erst gegen Mitte Februar, das Wetter verfluchen und mich nach den ersten warmen Sonnenstrahlen sehnen. Und glauben Sie nicht, dass in der Wohnung eingraben mit Untätigkeit gleichzusetzen ist. Ganz im Gegenteil.

In den letzen 48 Stunden zum Beispiel habe ich mich neben der meinen auch in zwei anderen Wohnungen eingegraben. Bei dem Sauwetter stellte sich nicht die Frage „was man macht“ und wir machten recht wenig und gleichzeit doch sehr viel. Wir haben uns unterhalten. Saßen am Tisch, hatten Katzen auf dem Schoß und redeten. Natürlich machen wir das auch im Sommer. Aber wenn die Tage kürzer und der Wind rauer wird, werden die Gespräche tiefer. Das ist schön. Kurz waren wir auch draußen. Eigentlich nur, weil das Reinkommen so viel schöner ist, wenn das Rausgehen Überwindung kostet. Leicht verfroren ist eine Tasse warmer Tee ein Geschenk und mit Tee und Katze spricht es doppelt gut. Eine Katze auf dem Bauch zu haben ist auch gut, wenn man alleine auf Sätzen kaut, die man gelesen hat. Zum Beispiel „Kind sein ist wie einen Ball hochwerfen, Erwachsen werden ist, wenn er wieder herunter fällt.“ Er gefiel mir bei ersten Lesen schon. Aber erst nach einer Stunde in der ich nur am Fenster saß, in den Regen geschaut habe und dem leisen Schnurren gelauscht habe, wusste ich warum er mir so gut gefällt. Ich habe es der Katze erzählt und nachdem wir eine Weile diskutieren und ihn uns lange vorsagten, fanden wir, dass er für uns noch besser passt, wenn wir „Kind“ mit „jung sein“ ersetzen.

Jung sein ist wie ein hochfliegender Ball. Alles geht rasend schnell, verändert sich und man kommt mit dem Fühlen und Begreifen gar nicht hinter her. Jung fliegt es sich auch leichter. In die Luft und auf die Nase. Man fliegt einer Zukunft entgegen und auch wenn man keine Ahnung hat, wie sie aussehen wird, vor einem liegt die Zunkunft und es dauert viele Jahre bis man irgendwann bemerkt, dass bei realistischer Betrachtung nun vermutlich mehr Jahre hinter, als noch vor einem liegen. Für uns – Katze und mich – ist das der Moment in dem man spürt, dass der Ball jetzt fällt. Im ersten Moment ein erschreckendes Gefühl. Es geht abwärts und das obwohl man eben doch noch gerade einmal zwanzig war. Es dauert ein bisschen, bis man sich an die neue Richtung gewöhnt hat und sie nicht als Fall oder Rückweg, sondern als weitere Reise sehen kann. Eine Reise die noch einiges bereit hält und auf der man erfreut bemerkt, dass jung sein und den Ball immer weiter voran zu treiben, manchmal doch recht anstrengend war. Ganz leicht bemerkt man eine feine Gelassenheit und ermahnt sich, sie nicht mit Gleichgültigkeit zu verwechseln.

Die Katze schnurrt ausgiebig und ich gebe ihr recht. So ganz passt das Bild für uns nicht, aber wir haben noch viele Herbsttage um ausführlich darüber nachzudenken. Das Buch aus dem der Satz stammt (Hard Land – Benedict Wells) hatte ich in wenigen Stunden ausgelesen. Ich werde es gleich noch mal lesen, weil es zu schön und zu gut war, um es so zu verschlingen. Der Regen und der Wind bleiben die ganze Woche, ich habe also reichlich Zeit. Außerdem fällt mein Ball ja schon. Das heißt ich habe vor vielen Jahren schon so viel Kraf aufgewendet und ihn hoch genug geworfen, um es jetzt manchmal etwas gemütlicher angehen zu lassen. Die Katze gähnt und schüttelt die Ohren. Sie hat recht, ich klinge gerade sehr alt, finde aber trotzdem, dass ich mir etwas mehr Ruhe, wenn mir danach ist, verdient habe.

Herbstfaul. Das hier nach vielen Monaten Blog-Sommerpause zu schreiben ist frech. Ich glaube, dass ich faul auch mehr schreiben werde. Und mehr lesen. Mehr nachdenken. Mehr Gespräche führen. Herbstfaul bedeutet vielleicht eher, weniger zu erleben und sich das genauer anzusehen, was nahe bei einem selbst passiert.

Die Katze auf meinem Schoß tippt mich mit der Pfote an und rät, diese wirren Herbstgedanken besser nicht zu veröffentlichen. Katzen sind schlau. Da ich aber keine Katze bin, ahnen wir beide, dass ich es doch tun werde.

28 Gedanken zu “Endlich Mistwetter

  1. Liebe Mitzi, statt herbstfaul könntest du den Zustand auch herbstreif nennen – das klingt zwar noch mehr nach Grossmütterchen Mitzi mit ihrer Katze, aber dafür auch intelleller oder wie das heisst… 😉
    Ich hatte auch einen sehr entspannten Sommer und hätte absolut nichts gegen einen entspannten Herbst einzuwenden; das scheint mir kein Fehler zu sein, wenn einem doch jederzeit ein Ball auf den Kopf knallen könnte.
    Ich hoffe, dies passiert weder dir noch mir so rasch und dass wir notfalls noch fit genug sind, den Fall zu verzögern. Und sag bitte der Katze, sie mag ja schlau sein, aber in diesem letzten Punkt war Mitzi schlauer. Was wäre irgendeine Jahreszeit ohne deine Gedanken? Und wir mussten doch schon im Sommer darben, nicht wahr?

    Eine gemütliche, trockene und schlechtesgewissenfreie Herbstwoche!
    Eva

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    1. Ich wünsche dir einen entspannten Herbst, der in nichts dem Sommer nachsteht. Selbstverständlich mit Ball hoch in der Luft und wenn möglich auch mit Katze.
      Die meine war leider eine Leihgabe. Bzw. war mein Schoß von ihr nur kurz auserwählt worden. Trotzdem vielen Dank, fürs Lesen der Gedanken und ganz besonders, dass du nach dem Sommer noch mitliest. Das freut mich sehr.

      Herbstreife und herbstfaule Grüße
      Mitzi

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      1. Lieben Dank! Leider wird es nix werden mit dem entspannten Herbst; ich kann wohl froh sein, wenn und falls Mitte Januar die Aufgabenliste hübsch klein geworden ist.
        Geliehene Katzen oder geborgte Hunde sind auch nicht in Sicht, daher behaupte ich einfach, mein Rad braucht Bewegung und Kaffeewärme ist auch was Schönes…
        Und natürlich lese ich, lesen wir hier getreulich mit! Nach der unfreiwilligen Sommerdiät umso hungriger. 😉

        Herbstnasse und herbstwindige, heute leicht angesonnte Grüsse
        Eva

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      2. Ja so Aufgabenlisten machen es schwierig mit dem Müsiggang. Dann wünsche ich dir kurze gemütliche Auszeiten, die sich vielleicht doch ergeben.
        Dein Rad braucht übrigens sicher Bewegung (meines ruft auch schon ganz verzweifelt). 😉
        Liebe Grüße (ebenso nass und windig)
        Mitzi

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  2. Zum Glück hast Du das getan und ich fühle mich so verstanden mit meinem Behagen, gemütlich im Haus zu bleiben, wenn es draußen stürmt und regnet. Und ja, mit dem Ball-Bild kann ich etwas anfangen. Er fliegt zwar noch, aber ist schon in Sichtweite. Ich kann mir schon ganz gut vorstellen, wie es sein wird, wenn ich ihn in der Hand halte, bevor er für immer fällt. Also genieße ich die kleinen Höhenflüge, die ich mir noch mit Genuss leisten kann. Liebe Grüße und weiterhin: Schönen Herbst! Regine

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    1. Hallo Regine, ja so in etwa sehe ich das Bild mit dem Ball auch. Und ganz richtig…solange er noch in der Luft ist, sind Höhenflüge immer willkommen.
      Auch dir einen schönen und gemütlichen Herbst.
      Viele Grüße
      Mitzi

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  3. Hallo Mitzi, da ich mich an den aufsteigenden Ball gar nicht mehr so richtig erinnern kann, nehme ich jetzt lieber das Thema mit dem Wetter auf – mir geht es nämlich ganz genau so. Vielleicht liegt es tatsächlich am Alter, dass ich der Meinung bin, ein absoluter Herbst-Typ zu sein. Du schreibst „… „Ich genieße dieses Wetter in vollen Zügen.“ Sei froh, dass du es stattdessen zu Hause machst, denn in Zügen, vor allen in vollen, müffelt es immer so.
    Liebste Grüße zu dir

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    1. Liebe Clara, das stimmt. In Zügen riecht es im Herbst immer feucht muffig. Das mag ich auch nicht. Ich mag den Geruch in Zügen aber eigentlich nie ;).
      Den von Bahnhöfen aber immer.

      Liebe Grüße

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  4. Ich bin für den Ursprungstext, Kind. Weil jung sein impliziert, dass man um diese Gnade weiß, während das Kind einfach ist, naiv jung ist und Bälle wirft, hoch in die Luft und ins Leben und in Nachbars Fensterscheibe. Und nicht weiß, dass der Ball fällt, dass er immer fällt, bereits am Fallen ist, noch bevor der Wurf gelang. Für dieses Wissen muß es älter werden, das Kind, reifen und schon manchen Balles Parabel gesehen haben. – Dass die Katze nicht gerne und lang vor die Türe will versteht sich, das ist hier anders. Hundewetter heißt deshalb so, weil die Läufer bei kühleren Temperaturen nicht müde werden und ihnen Nässe und Wind herzlich egal sind. Zum Glück mag ich das auch, wenn auch nicht im Übermaß, allmählich reicht es vom Regen und dem lästigen, zum Glück hier noch nicht gefährlichen Wind. Gehe ich auf die Wiese, so denke ich, ich steh im Moor, so quatscht das! Demnächst brauche ich ein Boot um die Vögel zu füttern…

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    1. Hm…ja, mit deiner Erklärung erscheint mir Kind richtiger und korrekter zu sein. Mir erschien es nur etwas unfair dem Kind alleine die Aufgabe aufzubürden den Ball ordentlich hoch zu werfen und glaube, dass viele Weichen für das restliche Leben in Kindheit und Jugend gestellt werden.
      Wobei man wahrscheinlich nie aufhört Weichen zu stellen. Wenn auch für immer weniger bleibende Jahre. Aber gestellt werden sie.
      Ach, ich mag den Satz wirklich sehr. Man kann ihn wunderbar hin und her überlegen. Danke dir!
      Regnet es immer noch bei dir? Hier wird es gerade besser. Hätte ich einen Hund, dann würde ich vermutlich über die Freude des Rausmüssens und des Zurückkommens schreiben. Ohne Hund quäle ich mich aus reinen Vernunftgründen ins Sauwetter (der Mensch braucht schließlich Luft und Bewegung). Mit hätte ich einen angenehmeren Grund.

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      1. Oh ja, das ist der Gesundheitseffekt jener Vierbeiner. Ich glaube nicht, dass es dem im besten Sinne naiven Kind eine Zumutung ist, eine zu erfüllende Aufgabe, den Ball zu werfen (außer es hat all zu ehrgeizige Hubschrauber als Eltern). Vielmehr wirft es aus Freude, aus Drang, Bedürfnis und wo der Ball hinfliegt, was die Schicksalsmächte vorhaben, das weiß es nicht und das ist auch gut so – später weiß mans auch nicht, glaubt aber immer vorausdenken und -ahnen zu müssen.

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  5. ich fühle diesen text so sehr! und schön, dass wir das teilen, ich werde sonst oft sehr schräg angeschaut für diese empfindungen. bei mir endet die liebe dafür aber meist schon ende jänner, wenn es das erste mal wieder wärmer geworden ist und ich weiß, dass es bis zum richtigen frühlnig noch ein langer weg werden wird. aber wer weiß, vielleicht hab ich da 2024 einen längeren atem, nachdem mir der september und oktober ja vom sommer geklaut wurden.

    danke übrigens für die empfehlung. ich habe ein buch von benedict wells gelesen, das ich sehr mochte und hab dieses gleich mal auf audible geladen, weil ich mehr zum hören als zum lesen komme. wobei, wer weiß, wenn jetzt endlich das mistwetter kommt… 😉

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    1. Ich kann mir gut vorstellen, dass du diese Empfindungen teilst. Überhaupt kein Grund schräg angeschaut zu werden. Ich glaube sogar , dass es gar nicht wenigen so geht. Aber es klingt halt besser vom Frühling oder Sommer zu schwärmen, weil man da die „schicken“ und „tollen“ Sachen machen kann. Stimmt ja auch, aber eingraben und einkuscheln ist mindestens genauso schön. Fies, dass dir dieses Jahr der Herbst geklaut wurde!

      Welches Buch von Benedict Wells hast du denn gelesen? Ich will mir noch eines holen und freu mich über einen Tipp. Für Herbststürme brauche ich Nachschub 😉

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      1. Da hast du bestimmt recht. Obwohl ich glaube dass es viele Menschen gibt die gar nicht gut damit zurechtkommen sich daheim einzukuscheln und nicht ständig in Bewegung zu sein und Lärm von draußen zu haben. Macht den Lärm von innen zu laut 😉

        Das Buch das ich von ihm gelesen hab war vom Ende der Einsamkeit. Kann ich sehr empfehlen!

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      2. Danke dir. 🙂
        Stimmt auch wieder. Ablenkung ist für viele Menschen aus genau dem von dir geschriebenen Gründen wichtig. Und zuhause kann es dann in der Stille richtig laut werden.

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