Etwa alle drei Jahre stelle ich mich auf die Zehenspitzen und hole meine ältesten Italienisch-Lehrbücher aus dem Regal. Über die Jahre haben sich einige angesammelt. Verben und Zeiten, Grammatik Trainer, L’Italiano per gli affari (Geschäftsitalienisch), Verbentabellen, Grammatica di livello avanzato (Grammatik für Fortgeschritte und viele Übungsbücher, die ich ab und an nutze. Am liebsten ist mir aber Linea diretta – vier Bücher mit denen ich glaubte mir die Sprache selbst beibringen zu können. Ein halbes Jahr vor meinem Umzug kaufte ich sie und bis heute sind sie mir die liebsten. Die Grammatik ist gut, anschaulich und vor allem vollständig erklärt und die Übungen so umfangreich, dass ich die Lösungen auch nach all den Jahren noch nicht auswenig kann. Bis heute kann ich mich genau erinnern, wo ich welche Lektionen gelernt habe.
Kapitel 1 – 3 in München, kurz nachdem der mutigste meiner Freunde – und mein Freund – München für immer Richtung Italien verlassen hat. Sein und haben, schöne einfache Verben, die man herrlich auf dem Weg in die Uni vor sich her murmeln konnte. Ho – hai – ha – abbiamo – avete – hanno…wenn man das mit einem Lied im Kopf vor sich her spricht, klingt es wirklich sehr schön. Wenn Ihnen langweilig ist, probieren Sie es ruhig mal aus. Ordnungszahlen, Artikel bestimmt und unbestimmt. All das verbinde ich mit den ersten Versuchen mich an die Sprache zu gewöhnen und überspringe diese Kapitel, wenn ich mich ans wiederholen der Grammatik mache. Aber ehrlicherweise muss ich zugeben, dass ich manchmal noch esco – esci – esce vor mich hin plappere. Einfach so.
Kapitel 4 – 6 habe ich überwiegend auf Elba gelernt. Auch wenn meine Verschmelzung der Präpositionen recht eigenwillig war, begann man mich zu verstehen. Und wann immer mir das Verb occorrere begegnet denke ich dabei bis heute an ein Lied von Adriano Celentano. Ich hörte es als ich vor mich hin konjungierte. Der Unterschied von questo und quello und quale (dieser, jener) habe ich mir in einer Bar von einem Kindermädchen beibringen lassen. Wahrscheinlich habe ich es deshalb auch so lange immer verwechselt – auch sie war Deutsche und auf Elba kamen wir sogar mit unserem eigenwilligem Italienisch durch. Wiederhole ich diese Kapitel, dann riecht es nach Elba, Hochsommer und Cola.Den Inhalt der Kapitel 7 – 13 musste ich nicht alleine lernen. Alles war dort steht, wurde mir in meinem ersten richtigen Sprachkurs in Mailand beigebracht. Bruno, der arme Kursleiter musste mir zuerst die deutsche Grammmatik beibringen. Dort – so würde ich heute behaupten – habe ich überhaupt erst begonnen in der Sprache zu sprechen und mehr als zwei Zeiten zu nutzen. Objektpronomen und reflixive Verben schmecken nach Brioche und Kaffee und das Gerundium klingt nach dem Rattern der Mailänder Trambahn. Vielleicht auch nach dem Trippeln der Ratten auf der Straße beim nächtlichen Heimkommen. Ich wohnte in einem sehr….eigenwilligem Viertel. Kapitel 14 – 15 und der zweite Band erinnern mich an meine Jahre in Verona. Außer den Mailänder Monaten habe ich keinen weiteren Sprachkurs besucht und die Buchhalterin meiner damaligen Firma kümmerte sich um meine Grammatik (und mein Vokabular, das etwas arg umgangssprachlich wurde). Raffa war großartig und alle paar Jahre fällt mir ein Zettel mit ihrer Handschrift in die Hände. Daneben meine Anmerkungen. Konjunktiv imperfekt = Begingung – condizionale presente = Folge. Se vincessi alla lotteria, per prima cosa comprerei una macchina. Der Beispielsatz steht da nicht, aber ich werde ihn vermutlich für den Rest meines Lebens nicht aus dem Kopf bekommen. Leider kann ich Bedingungssätze bis heute nicht in jedem Fall richtig sagen. Immer kommt mir die blöde Lotterie in den Kopf und während ich über die nachdenke, ist das Gespräch schon zu weit fortgeschritten. Conjunktivo und Condizionale werden daher gemäß Bauchgefühl verwendet. Eine wunderschöne Zeitreise ist das jedes Mal, wenn ich mich daran mache etwas Grammatik zu wiederholen. Und jedesmal stolpere ich über einen kleinen Text der in dem Übungsbuch abgedruckt ist. Mit jedem Jahr ist er seltsamer zu lesen. Hier:
„Vielleicht ist Eitelkeit ein Makel, aber was ist falsch daran, sich um sein Äußeres zu kümmern und zu versuchen, die Farben dessen, was man trägt, geschmackvoll zu kombinieren? Nicht alle von uns sind von Natur aus schön, manche sind geradezu hässlich. Warum also nicht versuchen, die Fehler von Mutter Natur zu korrigieren oder zumindest nicht zur Schau zu stellen? Warum sollte eine etwas kräftigere Frau Weiß tragen, wenn Schwarz sie dünner aussehen lässt? Warum sollte man die Makel zeigen, die sich so leicht verbergen lassen? Niemand will hässlich sein.*“
Manche Menschen sind geradezu hässlich….herrlich. Und befremdlich. Eigentlich nur befremdlich. Fehler der Mutter Natur, die man doch bitte nicht zur Schau stellen solle und bitte unbedingt mit angemessener Kleidung zu verbergen hat. Ai, ai, ai… zum Glück war ich damals rank und schlank. Sonst hätte mich mein Italienisch Kurs in eine Essstörung katapultiert. Das Foto der „kräftigen“ Frau zeigt nämlich max. eine Größe 38. Aber der Grammatikteil ist nach wie vor großartig.*im Original
Forse la vanita è un difetto, ma che c`e di male a curare il proprio aspetto, a cercare die combinare con gusto i colori di quello che si porta? Non tutti siamo belli per natura, anzi, alcuni sono decisamente brutti. Allora perchè non cercare di correggere o comunque di non ostenare gli errori di Madre Natura? Per quale motivo una donna un po´ robusta deve vestire di bianco, quando il nero la fa sembrare piu magra? Per quale ragione si devono mostrare quei difetti che è invece cosi facile nascondere? Nessuno vuole essere brutto.
Das Tolle an dem Text ist, dass ich alles verstehe, obgleich ich nicht Italienisch spreche. Vanitas, Defekt, male, curare, Aspekt, combinare, gusto….. alles ist aus den mir bekannten Sprachen bekannt. Wie anders ging es mir in Griechenland, wo ich nicht mal die Schrift lesen konnte….. und Information nicht informatione sondern πληροφορία heißt … Doch was bleibt einem übrig? Man lernt es. 😉
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Das ist ein schöner Effekt, der mit jeder Sprache die man spricht, größer wird. Ich freue mich auch immer wenn ich Latein, einen Brocken Französisch oder einiges vom Spanischen verstehe. Bei Griechisch allerdings…da hilt mir keine meiner Sprachen. Da kann ich nur auf den winzigen Wortschatz aus meiner Kindheit zurück greifen. Es mögen 15 Worte sein. Aber ich kann darum bitten die Tür zu schließen (das riefen mir die griechischen Freunde meiner Eltern als Kind immer zu) und langsam kann ich sagen. Vermutlich weil ich damal zu viel rannte….schade, dass nicht mehr hängen geblieben ist. 🙂 Kompliment für das Erlernen dieser schweren Sprache.
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siga siga (langsam)! Klise ti porta (mach die Tür zu) Ist ja nicht schlecht für den Anfang. Kalimera kannst du sicher auch,
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Stimmt. 🙂 Und Kalinichta. Siga siga haben mir meine Eltern übrigens gestern noch erzählt, kenne ich wohl wegen eines Liedes, dass die Männer abends oft gesungen haben.
Klise….siehst du, das hab ich ganz falsch in Erinnerung. Klista steckte in meinem Kopf, aber jetzt kann ich es korrigieren. Danke 🙂
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Linea diretta … das sagt mir was. Vermutlich hatte ich auch solch ein Lehrbuch, als ich 2000/2001 in Leipzig an der VHS einen Anfängerkurs besuchte. Schade, dass ich es nicht mehr habe, sonst würde ich gleich nachschlagen, ob es da noch mehr solcher zeitgeistigen Texte gab. Aiuto! 🙈
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Hier sind ja zwei Fachfrauen unter sich – könnte es sein, dass du dir durch Ehe und Wohnsitzverlegung einen mittelgroßen Vorteil gegenüber Mitzi erarbeitet hast???
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Vor allem durch die Arbeit mit italienischen Kolleg*innen. Das mit der Ehe bin ich ja erst später angegangen, als sprachlich bedingte Missverständnisse bereits auszuschließen waren.😉
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Du meinst, als nicht mehr die Gefahr bestand, „ja“ und „nein“ zu verwechseln??? 😉
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Das und weitere Kleinigkeiten, ja. 😉
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Vermutlich reicht es, eine beliebige Frauenzeitschrift aufzuschlagen, das dürfte immer noch 90% des Inhalts ausmachen. Auf Italienisch klingt es zunächst nur besser: „più magra“ sieht in meiner Fantasie nach zehn Kilo weniger aus als „dünner“… 😉
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Da sagst du was, liebe Eva! Ich habe hier in Italien eigentlich nie Frauenzeitschriften gelesen, aber in letzter Zeit höre ich einmal die Woche im Radio ein Interview mit einer Chefredakteurin zu aktuellen Themen, und das klingt gar nicht so blöd. Ich will mir mal diese Zeitschrift holen. Wenn es darin neue Erkenntnisse gibt, kann ich ja auf dem Blog berichten. 🧐
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Von mir aus gerne, liebe Anke, sofern die Bloginhaberin einverstanden ist. Ich fürchte, ich quassle schon mehr in den Kommentaren als Mitzis Texte lang sind, und möchte lieber kein Besuchsverbot riskieren. 🫣🫢
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Auf meinem natürlich. 😅
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Ah ja, ich Schussel! Merkt man ein bisschen, dass ich keinen hab. 🤣
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Kommt noch … 😉
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Hm, na ja, vielleicht… Chissà!
Hab ich jetzt übrigens offiziell die Erlaubnis zum Quasseln? Dann noch eine Gemme aus meinem Erfahrungsschatz: Die meisten fahren ganz gut mit einem Mix aus grammatikalischen Basics (in der Ausgangssprache erklärt) und sanft ansteigendem Sprachbad. Italienisch musste ich von jetzt auf gleich lernen, und Madonna mia, war das grässlich, ein permanentes Absaufen und Wassertreten. Klar hatte ich relativ schnell einen gewissen Sprachschatz zusammen, aber eigentlich keinen Plan, wie die Sprache funktioniert und mich daher lange Zeit extrem unsicher gefühlt. Das legte sich erst, als ich anfing zu unterrichten. Sagt einem vorher ja auch keiner. Und massentauglich ist die Methode wohl eher nicht.
Und nun gehe ich mein pseudogüldenes Haar kämmen – ich wurde gestern eine halbe Stunde lang für eine Blondine gehalten, vielleicht weil ich meinen grauen Schopf lang trage. Einer Umfrage in Grossbritannien zufolge ist ja für Frauen ab 40 nur noch Kurzhaarfrisur i.O., und ab 61 soll man keinen Badeanzug mehr tragen (Kommentare dazu: Also nackt schwimmen oder im Taucheranzug?)
Die bescheuerte Schönheitsfrage ist offenbar nicht totzukriegen!
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Wie bescheuert. Wenn jemand schöne Haare hat, dann soll er sie tragen wie er will! Und lange graue Haare finde ich richtig schön. Meine sind noch blond und mittellang. Ich bin über 40 aber mit ganz kurzen sehe ich aus, als hätte ich einen Wasserkopf – ich werde mich also auch nicht daran halten 😉
Dein Erfahrungsschatz bezüglich einer fremden Sprache, deckt sich mit meinem Und ja auch…Mamma mia und gleich noch oh dio und dann…. va be`:)
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Keine Sorge – ich lese eure Kommentare gerne und verscheuche euch sicher nicht. Manchmal ist es unter dem Text interessanter als darin 😉
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Im Grunde ist das heute nicht anders in den Zeitschriften. Nur etwas subtiler ausgedrückt. Magra….ist bei mir in Gedanken immer mit dem deutschen Wort mager verbunden. Obwohl ich die Bedeutung weiß.
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Das ist genau die Zeit, in der ich es mir auch kaufte 🙂
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Als „ragazza robusta“ habe ich in jungen Jahren durchaus Weiß getragen, und ich möchte einmal behaupten, es stand mir nicht schlecht zu meinen dunklen Haaren und Augen…
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Ohne dich vor Augen zu haben, bin ich mir sicher, dass das so ist. Und was heißt schon ragazza robusta….es kommt doch auf das Gesamtbild an. Das Lehrbuch ist in der Beziehung einfach blöd.
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Die Deutsche Grammatik habe ich auch erst Dank Nachhilfe in Latein verstanden …
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Schön, dass es nicht nur mir so ging. Wahrscheinlich versteht man sie wirklich erst so richtig, wenn man eine fremde Sprache lernt und es nicht mehr reicht, sie „aus dem Bauch raus“ anzuwenden.
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Buongiorno!
Mit Blick auf die Uhrzeit nicht korrekt, aber das war der Titel meines Lehrbuchs (also mit dem ich unterrichtet habe, als Schülerin hatte ich ein langweiliges graues Teil), und ich habe es geliebt und nach Möglichkeit kein anderes benutzt. Mein Ex-Lehrerinnenherz hüpft bei dem Gedanken an so ausdauernde Sprachschüler:innen wie dich. Wegen der Liebe begonnen, aus Liebe weitergemacht. Schön!
Mein gefühlt erstes Wort nach Pizza und Pasta war übrigens „cuoricino“. Ich sass als 15-jährige im „trenino“, mir gegenüber eine Gleichaltrige, die auf mich deutete und dieses fremde Wort sagte. Ich verstand natürlich nicht. Da malte sie ein Herz auf die beschlagene Scheibe und erklärte: „Un piccolo cuore“. So eins trug ich als goldenen Anhänger um den Hals. Noch heute denke ich gerne an diese erste Begegnung mit Paola und der neuen Sprache zurück. Die Kette gibt’s noch, die Freundschaft hat leider nicht gehalten.
Paola war übrigens eine „bella per natura“ und hat vermutlich, im Gegensatz zu mir, obige Regeln nie eingehalten. Ich bin lange Jahre fast nur in Dunkelschwarz herumgerannt. Denn es ist schon was Wahres dran: Im Grunde möchten wir lieber schön sein, weil Schönheit so positiv konnotiert ist.
Übrigens soll die Verteilung von Schönheit ungefähr 10 -80 -10 betragen: an den Extremen die sehr Schönen oder sehr Hässlichen, dazwischen der grosse Rest. Zum Glück ist Schönheit letztlich keine objektive Grösse. Ich finde, was oder wen ich mit Liebe betrachte, wird recht schnell schön. Sei d’accordo?
Cari saluti da
Eva
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Oh…Buongiorno avevo anch´’io. Das muss verschüttet gegangen sein. Ich freue mich, wenn dein Lehrerinnenherz ein bisschen hüpft, weil ich auch ein bisschen stolz bin, dass ich das ab und an mache. Leider neige ich dazu „unten“ so schnell zu reden (es sind ja auch immer so viele Leute da), dass ich selbst merke, wie schnell ich unsauber werde.
In einem Gespräch zu zweit geht mir das nicht so. Naja…seit ich nicht mehr in Italien lebe, spreche ich es zu selten um eine wirklich gute Grammatik zu haben. Andereseits bin ich meinen Freunden auch dankbar, dass sie mich nicht immer verbessern und nachsicht haben. Nur bei groben Schnitzern.
An der 10 – 80 -10 Regel mag etwas dran sein. Und ….ja….sehr einverstanden 🙂
Cari saluti
Mitzi
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Ich würde eine Sprache ganz anders lernen: learning by doing. Ich könnte dir noch nicht mal die deutsche Grammatik richtig erklären, aber irgendwie scheine ich sie einigermaßen zu beherrschen. Ist man erstmal in einem fremden Land, so kommt die Artikulation automatisch, speziell wenn man schon andere romanische Sprachen kennt. Natürlich bist du erstmal ins kalte Wasser geworfen, aber schneller als man denkt, läuft die Sache…so ging es zumindest mir. 🙂
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Es kommt wahrscheinlich an, was für ein Typ man ist. Manche lernen schneller, wenn sie die Struktur begreifen.
Ich habe beides versucht. Frustrierender war learning by doing. Wenn man die Grundlagen versteht, funktioniert learning by doing besser.
In Zukunft werden wohl alle mithilfe künstlicher Intelligenz Sprachen lernen. Das ist dann vergleichbar mit Einzelunterricht, nur besser auf die Fähigkeiten abgepasst.
Liebe Grüße, B.
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Ich denke auch, dass es eine Typfrage ist. Mehr Grundlagen hätten mir sicher nicht geschadet, aber die Freude sich recht schnell verständlich zu machen hat überwogen.
Die KI sind ja jetzt schon in den gängigen Apps enthalten. Wahrscheinlich werden sie nur immer besser werden.
Liebe Grüße
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❤
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💚
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…also. Kein echter Kommentar mehr, sondern ein Hinweis. Ich habs getan. Wie ja mit Spannung erwartet, laut Ansage. Ich hab die Geschichte, es ist ein nettes, harmloses Märchen geworden, geschrieben. Und hoffe jetzt, dass dir das Märchen gefällt!
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