Von Stiften, dem Kugeln und Hund

Ich krame, sage ich einem der mich eben anrief und sich erkundigte, was ich gerade mache. Kramen ist ein seltsames Wort. K R A M E N…kennt man es überhaupt oder ist es eines jener Worte, das ich nutze, sonst aber kaum jemand? Google kennt es und erklärt: „In einer Ansammlung mehr oder weniger ungeordneter Dinge herumwühle“. Das trifft es ganz gut, unterschlägt aber die große Freude mit der man in seinen eigenen Dingen, die man kennen sollte, doch immer wieder auf so altes stößt, das man einen Weile nachdenken muss, bevor einem einfällt woher man es hat.

Auf einem Bleistift steht zum Beispiel „Kloster Seeon“ Ich kann mich nicht erinnern, dort schon einmal gewesen zu sein. Es dauert einen Moment, bis mir einfällt, dass die ehemalige Benediktiner Abtei im Chiemgau längst zu einem Tagungshotel geworden ist und ich dort vor nun bald zwanzig Jahren eine Schulung besuchte. Die Erinnerung ist mit den Jahren verblasst, der Bleistift mit dem Aufdruck „Kloster Seeon“, liegt aber noch immer in der Schublade meines Schreibtisches. Vorhin habe ich ihn angespitzt und neben den Rechner gelegt. Zwei Jahrzehnte lag er in der Kiste, jetzt ist seine Zeit gekommen. Seine und die der Bleistifte aus den unzähligen Hotels, Meetingräumen und diversen Arbeitgebern, die neben ihm lagen. Für die nächsten Jahre werde ich keine Bleisstifte brauchen und mich wöchentlich an einem neuen Stift und einer alten Erinnerung freuen. An den Urlaub in Side. Den auf Usedom. Die vielen Abende, die ich an einem fremden Schreibtisch verbrachte und anscheinend jedesmal einen Bleistift einsteckte. Und an meinen Vater, der nach jedem gebohrten Loch in meine Wände, den Stift, mit dem er den Punkt anzeichnete, bei mir vergaß. Diese Bleistifte sind übrigenst die interessantesten. Sie kamen noch nie mit einem Spitzer in Berührung und wurden alle mit einem Teppichmesser angespitzt. Das muss man können. Ich würde beim Versuch vermutlich entweder die Miene abbrechen oder mir ein Stück Finger abschneiden. Schön, all diese Stifte rausgekramt zu haben. Nicht nur, weil mir gerade die Bleistifte ausgehen, sondern vor allem, weil es dumm wäre, sie nicht langsam aufzubrauchen. Ich bin noch nicht alt. Aber nicht mehr jung genug um Dinge jahrzehnte lang für irgendwann aufzuheben. Mitteljung würde ich sagen. Außer morgens direkt nach dem Aufstehen, da bin ich mittlerweile…egal, schummriges Licht im Bad und mitteljung passst noch.

Das alles erzähle ich übrigens nicht nur Ihnen. Wärend ich die Worte tippe, spreche ich sie laut und informiere den Hund unter dem Tisch ebenfalls über die Geschichte meiner Bleistiffte. Ob es ihn interessierte weiß ich nicht, vermute aber, dass es ihm doch recht gleichgültig ist. Der Hund ist platt. So platt wie ich, weil wir eine ausgedehnte Runde an der Isar hinter uns haben und unsere Köpfe vollgestopft mit Eindrücken des nahenden Frühlings sind. Wir mochten unseren Spatziergang und ich glaube wir mögen uns. Bei den letzten Sätzen die ich tippte und ihm erzählte legte er seinen Kopf auf mein Bein und ließ mich wissen, dass ich für eine mitteljunge Frau doch noch zu recht guten Stunts fähig bin. Zumindest glaube ich, dass Hund das meinte, denn er schleckt mir über die Stelle, an der morgen ein blauer Fleck aufflammen wird. Außerdem grinst er. Können Hunde grinsen? Der unter dem Tisch kann es und ich grinse mit, denn es war in der Tat ein bemerkenswerter Stunt. Herrchen und Frauchen baten mich ihn an der Isar nicht von der Leine zu lassen. Und weil er und ich uns noch nicht gut kennen, habe ich mich daran gehalten. Vielleicht etwas zu sehr. Man sollte ein Leine spätestens dann loslassen, wenn ein Kalbgroßer Hund freudig aufspring und ansetzte, die Böschung, an der man selbst mit einem Glas Cappuccino (ja, Glas. München ist nachhaltig und es gibt wunderbare Coffeebikes am Hochufer) etwas wacklig steht, runter zu rasen. Der Hund springt auf und sprintet nach unten, weil er ein Hund ist und dort unten etwas verlockendes zu sehen war. Und ich lasse die Leine nicht los, weil mein Handgelenk in der Schlaufe der Leine steckt und ich die Hand tief in der Hosentasche vergraben habe. Ich glaube als ich das letzte Mal so ungebremst eine Böschung herunter gekugelt bin, war ich fünf oder sechs Jahre alt. Geht noch immer, meint meint Hund und stupst gegen mein anderes Bein. Richtig, da wird es auch einen blauen Fleck geben. Aber das is ok. Solange ich noch so kugeln und gleichzeitig lachen kann, bin ich wohl wirklich noch mitteljung. Das Glas ist übrigens nicht zerbrochen. Auch nicht mein Selbstbewusstsein. Können Sie sich vorstellen wir dämlich Sonntagsspatziergänger schauen können, wenn eine mitteljunge Frau die Böschung runterkugelt und sich dabei über sich selbst kaputt lacht? Noch dämlicher schauen si, wenn man dann kurz mit einem kalbgroßen Hund auf der Brust liegen bleibt und sich von ihm über das Gesicht schlecken lässt. Letzteres war ungewollt. Aber ich brauchte einen kurzen Moment um mich zu sortieren. Als mitteljunge Frau kugelt man ja nur noch selten einen Hang herunter.

P.S. Dem Hund geht es übrigens gut. Irgendwann im Kugeln habe ich die Leine dann anscheinend doch von der Hand bekommt,

16 Gedanken zu “Von Stiften, dem Kugeln und Hund

  1. Man sollte als mitteljunger Mensch viel öfter Abhänge runterkugeln und sich daran erfreuen. Ob ich das in meinem Alter mit „Rücken“ noch so gut überstehen würde, steht auf einem anderen Blatt. Aber eigentlich ist man für nichts zu alt, solange es Spass macht, auch wenn es blaue Flecken gibt. Hauptsache, der Rücken bleibt heil.

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    1. Genau so ist es. Solange alles heil bleibt, ist ein kleiner Abgang am Hang erfrischend. Wenn der Rücken nicht mehr mitspielt, dann lieber einen Schritt zurück treten und über etwas anderes lachen. Das hält ja auch jung.

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  2. Mich erinnert das an „Oma, lauf runter!“ Darauf war meine Oma so stolz, dass sie es immer wieder gern erzählte: wie wir sie oben an einem Abhang angeschubst hätten mit der o.a. Aufforderung, und sie es tatsächlich heil nach unten schaffte. Sie muss damals um die 68 gewesen sein – kein Alter, natürlich, von heute aus gesehen. Sie aber war eine ehrwürdige weißhaarige Dame mit Korsett. (Sie wurde fast hundert).

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  3. Der freie Wille wird überschätzt, manchmal will Mensch zu seinem Glück gezwungen werden. Jenen auf 4 Beinen kann er das (das unverdiente, unfreiwillige Glück, ganz recht. Und die blauen Flecken!) leichter verzeihen denn seinesgleichen.
    Ich gratuliere zur Artistik. Das keineswegs zerstörte Glas habe ich noch gar nicht in meiner Vorstellung unterbringen können. Es ist schon schwierig genug, wenn man eine Tasse in der Hand hält, sinniert, faulenzt, und mit einem Mal kommt die wohlwollende und durchaus kraftvoll – autoritär geführte Schnauze von unten…

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    1. Das Glas war zwar heil, aber natürlich nicht mehr voll. Das hätte ich nicht geschafft.
      Diese Schnauzen darf man nicht unterschätzen. Da schafft man es auch im sitzen das Handgelenk nicht mehr unter Kontrolle zu haben.

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  4. Mitzi, diese HundePREMIUMgeschichte wäre mir beinahe aus Zeitmangel entgangen – aber mein Urinstinkt hat mich dann doch noch dahin geführt.
    Du bist ja in diesem Falle wirklich noch unerfahrener gekugelt bzw. gewesen, als ich in den Jahren von Lennys Sturm- und Drangzeit. Zum Glück haben wir hier keine Isar mit abfallendem Ufer – so konnte Lenny nur erfolglos versuchen, mich vor ein fahrendes Motorrad zu ziehen.
    Nach Anraten meines Sohnes, des Lennybesitzers, hatte ich die große Leinenschlaufe um den Bauch gelegt, da KONNTE ich nichts loslassen, wie du es gekonnt hättest – aber vielleicht hätte ich einen „fremden“ Hund auch nicht losgelassen.
    Dieser Spaziergang mit Lenny war mein letzter, denn er war wirklich stärker als ich.
    Die Geschichte ist einfach nur KÖSTLICH!!!

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    1. Hihi…Hunde Premium Geschichte…das gefällt mir. Und ich bevorzuge die Böschung eindeutig. Motorräder ist um einiges fieser. Und die Leine um den Bauch auch. Das klingt praktisch, aber eben auch richtig gefährlich, wenn ein Hund wie Lenny stärker als eine Clara ist (oder ich) ;). Gut, dass wir es überstanden haben.

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  5. Aber nein, fällt mir noch ein.
    Kramen ist doch ganz normal. Der Kramer kramt in seinen und in seinem Kramladen. Hier, wo man eher kruschteln sagt, gibt es sogar eine bekannte Firma, die Traktoren und Baufahrzeuge baute, Kramer. Man holt den Kram heraus und will zwecks zielgerichteterem Kramen etwas wegwerfen, was dann oft mühselig wird, da einem der eine oder andere Kram ans Herz gewachsen ist und man nicht loslassen kann, so dass sich die Kramschubladen und -kisten immer mehr füllen.

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