In meiner Wohnung steht ein Schweißgerät. Oder ähnliches. Irgendetwas, das unglaublich dreckig ist, zu dem ein Helm gehört und dessen dickes Kabel an Starkstrom angeschlossen werden muss. Das Ding gehört zu jenen Gegenständen, die mir völlig fremd sind und die in meiner Wohnung kaum deplazierter herumstehen könnten. Trotzdem steht es hier gut. Es blockiert die Türe zu meinem Flur, weil sich Tage zuvor zwei unterschiedliche Menschen an meinem Wohnzimmertisch getroffen haben und feststellten, dass einer etwas braucht, was der andere hat. Zwei Menschen die ich beide sehr, sehr gern habe und die sich zuvor nicht kannten. Der eine mein Neffe, der andere ein Freund, in dessen kleinen Theater ich vor vielen Jahren und unzähligen Zufällen geschuldet das allererste Mal meine Erzählungen lesen konnte. Schön war dieser Abend an dem ich wahllos ein knappes Duzend meiner Lieben einlud um mit ihnen anzustoßen. Ich mache mir nie Gedanken, ob Gäste zusammen passen. Meistens ist das einzige was sie verbindet die Tatsache, dass ich sie mag. Erstaunlich dass das fast immer reicht, um einen schönen Abend zu haben. Eine Woche vor meinem Geburstag stelle ich eine WhatsApp Gruppe zusammen, nenne Ort und Zeit und lasse mich überraschen wer kommt. Die Eingeladenen mögen wahllos erscheinen, aber ich vertraue darauf, dass mein Bauch meinen Fingern schon die richtigen Namen zuflüssert. In manchen Jahren sind es gute vierzig, in anderen nur vier. Dieses Jahr ein halbes Duzend und es passte. Mein Neffe passt immer, das wusste ich. Seine Freundin auch und der Rest eh. Alles passte und deshalb kann jetzt einer ein Schweißgerät abholen, weil es ein anderer hatte und gerade nicht brauchte. Nur dieser dumme, winzig kleine Schatten, der war lästig.
Lästig und dieses Jahr erstaunlich hartnäckig. Ich kenne ihn. Er und ich schlittern seit vielen Jahren gemeinsam durchs Leben und während ich ihm wahrscheinlich egal bin, habe ich mich längst an ihn gewöhnt. Er kam, als einer der mir wichtig war ging. So konsequent, dauerhaft und unwiderbringlich, dass die Sonne für lange Zeit nicht mehr wirklich zu sehen war. Später verschwand er ab und an und mittlerweile taucht er nur noch selten auf. Leider meist genau dann, wenn ich ihn am wenigsten brauchen kann. Sein Timing ist gemein. In schönen Momenten, wenn alles gerade wunderbar passt, dann ändert er das Licht in einem Raum und erinnert mich daran, dass es einen gibt, der all das Schöne und Gute nicht mehr sieht. Dass einer fehlt, der eigentich da sein sollte. Dann schiebt er sich vor die Sonne und rechnet mir vor, dass ich schon wieder ein Jahr älter geworden bin, während der, der fehlt, für immer jung bleiben wird. Seltsam oder, fragt er dann und macht es mir schwer, den Gesprächen am Tisch zu folgen. Seltsam auch, dass ich den Tag an dem er endgültig ging in diesem Jahr vergessen habe, oder? Er sorgt dafür, dass der Wein bitter schmeckt und ich mich frage, wie ich diesen Tag vergessen konnte und ob es in Ordnung ist, darüber froh zu sein. Froh, weil es gut ist, dass die Welt sich weiterdreht und erleichtert, dass sie es tut, obwohl mich das an manchen Tagen noch immer wundert.
Gläser müssen gespült und neue Eiswürfel geholt werden. Am Tisch unterhalten sich zwei über die Handhabung von Schweißgeräten während ich fröstelnd bemerke, dass beide dich nie kennengelernt haben. Zu lange schon bist du weg und hast so viel verpasst. Würden wir uns heute treffen, ich müsste dir so viel erzählen und erklären. All das Schöne und Spannende der letzen Jahre, all die Begegnungen, Auf- und Abs – so viel mehr auf, als ab – hast du ja gar nicht mehr mitbekommen. Es würde dir gefallen. Heute, an diesem Abend. Ich bin mir sicher. Es hätte dir gefallen, wenn dich dein eigener Schatten an diesem Abend in Ruhe gelassen hätte. Der meine erinnert mich, dass nicht nur du, sondern auch ein zweiter fehlt. Einer der gehen musste und einer der ihm gefolgt ist. Zwei, die so vieles nicht mehr sehen und erleben konnten, wollten, durfen. Oder mussten. Von hinten umarmt mich einer. Das hilft gegen Schatten. Fast immer. Dann wird er lichter, weil es eben ist, wie es ist. Ein schöner Abend. Ich sage es mir selbst, weil ich es dir nicht mehr sagen kann.
Unzählige schöne Momente gab es und wird es geben. Und doch bleibt der kleine Schatten, der vermutlich nie verschwinden wird. Ein bisschen wie an einem strahlend schönen Sommertag am See, wenn sich genau in dem Moment, in dem man nass aus dem Wasser kommt, eine Wolke vor die Sonne schiebt. Dann fröstelt es einen, obwohl es ein wunderschöner Tag ist. An Schattentagen wie heute, hoffe ich sehr, dass du die richtige Entscheidung getroffen hast. Hoffentlich war es für dich das Richtige. Sonst würde ich dir gerne kräftig gegen das Schienbein treten und dich daran erinnern, dass man sich nicht einfach aus dem Leben rausnehmen darf. Man kann seine Schatten nämlich nicht mitnehmen. Die bleiben denen erhalten, die man zurück lässt und sind ähnlich sperrig wie Schweißgeräte.
Schweiß und Schatten – wie anders sich diese Wörter hier im heißen Sommersüden deuten! Das Leben braucht auch Schatten, wie sonst würde das Licht uns so lieb sein, liebe Mitzi?Aber das weißt du ja selbst.
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Ich weiß liebe Gerda. Und ich hab ihn lieb gewonnen, diesen Schatten. Wahrscheinlich weil er auch an schönes erinnert. Man muss sich nur an ihn gewöhnen und Zeit vergehen lassen.
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Traurig-schön. Man merkt, dass deine Zeilen direkt aus dem Herzen kommen. Ich weiß nicht, ob ich es schon einmal hier kommentiert habe, aber meine Schwester flüsterte mir zwei Sätze an der Beerdigung unseres Großvaters zu: „Jetzt muss man keine Angst mehr vorm Sterben haben. Schließlich wartet der Opa da oben schon auf uns und macht uns sicher einen Milchreis mit 4 Lebkuchenherzen darin.“
Ich hoffe, in ferner, ferner Zukunft, wartet jemand mit einem wohlschmeckenden Wein auf dich und stößt mit dir an – auf‘s Wiedersehen!
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Liebe Eva, danke dir. Eine schöne Vorstellung und sie ist mir nicht fremd. Meine Oma glaubte fest daran, ihren Mann und ihre Lieben alle wieder zu sehen. Omas haben meist recht, oder? Und Schwestern auch. Ganz liebe Grüße
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Liebe Mitzi,
ganz selbstverständlich können Omas und Schwestern sich nicht täuschen bei dieser Vorstellung.
Ganz liebe Grüße nach München, Eva
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😊
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Der zweite Schatten ist der deines anderen Ichs, das du gewesen wärst, wenn dieser Mensch noch lebte?
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Eine schöne Interpretation. Vielleicht passt das sogar ganz gut. Für mich geistern zwei Schatten durch mein Leben, die beide für Menschen standen die fast zeitgleich gestorben sind. Wahrscheinlich ist mein eigener Schatten da auch irgendwo dazwischen.
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Ach so, das wusste ich nicht. Vielleicht fehlt mir das ein oder andere Erzählstück, da ich erst später dazugestoßen bin.
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Eine Zeit lang war es recht präsent und hat gut getan sich damit zu beschäftigen ohne im privaten Umfeld darüber zu sprechen. Wenn Menschen sterben ist es immer hässlich und traurig, mir hat es damals gut getan anhand der Kommentare vor Augen gehalten zu bekommen, dass Tod (leider) ein Thema ist, dem keiner entkommen kann. Er gehört dazu, ob man will oder nicht.
Zu viel Raum wollte ich dem dann dauerhaft aber auch nicht mehr geben. Es gibt zum Glück ja auch so viel schönes, skurilles und dem alltäglichen Wahnsinn geschuldetes über das man schreiben kann. 🙂
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Liebes Fräulein Mitzi,
Wir danken sehr für die Aufbewahrung des Schweißgeräts. Wider erwarten ist das ganze auch trotz unserer hochgradigen Laienhaftigkeit völlig unfallfrei über die Bühne gegangen und auf der Bühne wird nächste Woche das Bühnenbild von Woyzeck endlich komplett stehen wie eine eins – dank einer kleinen Schweißnaht.
Hoffentlich bleibt der Schatten nicht allzulange und wenn dann nur, um an diesen unerbittlichen Sonnentagen eine willkommene Zuflucht zu bieten… ich weiß der Vergleich hinkt ein bisschen fußlahm um die Metapher herum… liebste Grüße, Simone
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Liebste Simone, ich sah Bilder der Requisite und bin unendlich erleichert, dass nichts brannte und keiner sich verbrannte. Wobei ich nicht von mir auf andere schließen sollte und ich euch so viel mehr Geschick als mir zutraue. Ich werde bei der Woyzeck Aufführung beides beklatschen können. Ensamle und Bühnenbild.
Danke dir für Deine lieben Worte und – unter uns, hier liest ja keiner mit – am Abend der Schweißgerätsverhandlungen war von Schatten nichts zu sehen. Da war nur nächtlicher Sonnenschein. Den einen kennst du ja 🙂
Liebe Grüße Mitzi
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Was für ein fein geschriebener Text, herzberührend und hirnschmeichelnd…
Herrlich.
Herzliche Abendgrüße vom Lu
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Danke, lieber Lu.
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de nada, liebe Mitzi 🙂
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Meine liebe Mitzi, ich weiß ja, dass das mit deinem Schatten und deinen Erinnerungen an die beiden, von denen einer gehen musste und dem ein anderer gefolgt ist, ganz andere sind als bei mir – dennoch kann ich viele Ähnlichkeiten feststellen – u.a. das mit dem Tag vergessen. Oder das:
„… dass ich schon wieder ein Jahr älter geworden bin, während der, der fehlt, für immer jung bleiben wird.“ Ich war damals noch fast ein junger Hüpfer mit meinen gerade mal 50 Lenzen – und Heiko hatte noch nicht die 54 erreicht – so bleibt er in der Erinnerung – immer Ideen im Kopf, immer ein wenig hibbelig, selten zu müde für etwas, worauf wir beide Lust hatten … — …. und jetzt würde er in ca. zwei Wochen 80 Jahre werden. Irgendwie denke ich, dass ich ihn mir lieber mit 53 vorstelle als mit 80.
Ganz FETTEN Gruß zu dir
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Anders und doch gleich ist das bei uns beiden wahrscheinlich. Es scheint normal zu sein, dass die Zeit stehen bleibt. Zumindest in der Erinnerung bleiben die, die gehen, eben so alt wie sie zuletzt waren. Und unter uns gesagt….ich möchte mir D auch lieber genau so vorstellen wie er war. Es reicht ja, dass ich alt werde und mich jung fühle, wenn ich an uns beide denke. FETTEN Gruß zurück.
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Ich erinnere mich, dass dein Liebster, der so einfach gegangen ist, früher viel öfter noch in deinen Texten präsent war, liebe Mitzi. Es ist gut loszulassen, glaube ich. Denn obwohl es dir vielleicht unwahrscheinlich vorkommt, man selbst erschafft den Schatten. Er entsteht aus dem Unwillen, eine Tatsache zu akzeptieren. Der Vergleich mit dem Schweißgerät gefällt mir gut, auch dass du die Klammer um deinen Text damit geschlossen hast..
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Lieber Jules, wie schön wieder daran erinnert zu werden, dass du hier bei mir fast von Anfang an dabei warst. Und immer noch bist! Es stimmt – das Thema nimmt längst nicht mehr so viel Raum ein. Gut so, dann funktioniert das „von der Seele schreiben“ also doch. Dass man den Schatten selbst erschafft….daran beteiligt ist man sicher.
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Das ist nur ein Test. Irgendwie kann ich grad keine Kommentare mehr einstellen…
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Das gerade scheint zu klappen.
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irgendwie denke ich grade an harry potter und die thestrale, die nur die sehen können, die den tod gesehen haben. manchmal glaube ich, die schatten sind das, was das erwachsenwerden und -sein irgendwie ausmacht.
ich habe heuer anfang juni dran gedacht, als ich an den vielen rosensträuchen bei uns in der umgebung vorbei gegangen bin, dass ich gar nichts über deinen mai und den rosengarten gelesen habe… aber ich denke, dass das durchaus ein gutes zeichen ist über das man sich freuen darf.
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Ja, das kann gut sein, dass Schatten zum Erwachsenenleben dazu gehören. Ein paar sind ok. Zu viele sollten/dürfen es nicht werden. Schön wäre es natürlich, wenn wir die einfach verschwinden lassen könnten.
Stimmt in diesem Mai habe ich nichts darüber geschrieben. Es steht schon so vieles da und es wird besser. Die Zeit…bla, bla, bla 😉 Aber irgendwie stimmt es dann doch.
Ganz liebe Grüße
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Was für ein wunderschöner, trauriger, toller Text!
Die anderen Kommentare hier lassen darauf schließen, dass mir sicherlich einiges an Kontext fehlt, aber dieser Text war einfach schön!
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Danke Christine. Im besten Fall kann man ihn hoffentlich auch ohne Kontext lesen. Schatten haben wir alle ja irgendwann einmal im Leben. Hoffentlich aber mehr lichte Tage.
Herzliche Grüße
Mitzi
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Ein Schweißgerät ist gut. Es schweißt Dinge zusammen, auch ganz verschiedene Dinge. Eine Einladung ist gut, sie kann Menschen zusammenbringen, auch ganz verschiedene. Und, wer weiß, Liebe kann Menschen zusammenschweißen. Wenn die Schweißnaht gut ist, hält so etwas. Bombenfest.
Aber der Rost… Irgendwann fallen Dinge auseinander. Irgendwann fällt ein Teil ab, kaputt. Irgendwann geht alles zu Ende. Manchmal kann man’s noch reparieren, manchmal flicken, nochmals schweißen, aber irgendwann…
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Ein schönes Bild. Im Moment noch keine Spur von Rost…das ist doch mal beruhigend.
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Wir können froh sein, dass wir (zumindest von Natur aus) wenig Metall in uns tragen
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In Japan haben sie ein Schweißgerät erfunden, das es erlaubt, Menschen und Schatten zusammenzuschweißen. Freilich ist das Ding noch in der Erprobungsphase und macht Fehler.
Doch neulich treten Stimmen auf, die uns vor diesem Unsinn warnen…
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Wenn Testpersonen benötigt werden….ich würde glatt in der Nachbarschaft ein bisschen rumfragen 🙂
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