Sonntag (glaube ich)

„Schatten!“, brüllt Frau Obst neben mir und ich zucke zusammen. Die letzten halbe Stunde hat sie nicht ein einziges Wort gesagt und ich fragte mich bereits ob ihre halb geschlossenen Augen womöglich auf einen Kreislaufkollaps zurück zu führen sind. Gewundert hätte es mich nicht. 33 Grad bereits am Vormittag und absolute Windstille. München erlebt gerade die ersten heißesten Tage des Jahres und meine Nachbarin Frau Obst ist nicht mehr die Jüngste. Unser Haus hat sich in den letzten Tagen in einen Glutofen verwandelt und besorgt um meine Nachbarin habe ich ihr vorgeschlagen sich mit mir ein wenig in den noch kühlen Laubengang zu setzten. Unter uns…ich habe nicht damit gerechnet, dass sie wirklich kommt. Aber jetzt ist sie da und die kühle Luft tut ihr gut. Ein bisschen wacklig auf den Beinen, aber erstaunlich schnell, springt sie auf und beugt sich über die Brüstung des Laubengangs. „Schatten, du bläda Hirsch! Fahr hoid in Schatten nüba bevor´s di von deim deppadn Woong obi haud.“ Mit einem Seufzen lässt sie sich wieder neben mich fallen, streckt die Beine von sich und hält mir ihre offen Hand hin. Ich lege zwei Himbeeren und eine Brommbeere hinein und Frau Obst schnauft. Das heißt wohl danke. Auch wenn die alte Dame mittlerweile ruhige und stiller geworden ist, höfflich ist sie deswegen noch lange nicht. Und kommandieren kann sie noch immer. Unser Hausmeister, den sie gerade liebevoll als „blöden Hirschen“ bezeichnet hat, ignoriert sie. Leider, denn ausnahmsweise hat sie Recht. Er sollte sich wirklich in den Schatten begeben – seine Gesichtsfarbe lässt nichts gutes erahnen. München ist in den Fängen eines extrem warmen Juniwochenendes und ich in denen von Frau Obst.

Ich stecke mir selbst eine Himbeere in den Mund und frage meine Nachbarin, warum unser Hausmeister auf dem Aufsitzrasenmäher eigentlich am Sonntag seine Runden dreht. Falsche Frage, denn bisher schien ihr die Tatsache dass wir Sonntag haben, noch gar nicht bewusst gewesen zu sein. Erneut springt sie auf, und zitiert brüllend die Hausordnung. Ebenfalls brüllend erhält sie aus dem Hinterhaus von einem der Balkon eine Antwort. Allerdings nicht auf die Frage was der Depp da unten macht, sondern dass sie doch bitte ihren Mund halten soll. Verständlich, denn an einem Sonntag braucht man so ein Gebrülle nicht. Allerdings steigen in München Giesing bei zwei Brüllenden gerne noch weitere Personen in den Streit mit ein und es wird laut. Ich selbst bin still, weil ich erstens selten brülle und sich zweitens herausstellt, dass nicht Sonntag sondern Samstag ist. Frau Obst beschimpft nun auch mich als Deppen und verzieht sich mit meinen Himbeeren in ihrer Wohnung.

Ich überlege ob es eine weibliche Form von Depp gibt und nasche die Brombeeren, die Frau Obst mir netterweise übrig gelassen hat. Auf die Frage des weiblichen Deppen finde ich keine Antwort, wohl aber auf die wie ich jetzt wieder an Himbeeren komme. Da wir Samstag und nicht Sonntag haben, werde ich mir welche kaufen. Theoretisch. Praktisch kann ich die Tür zum Laubengang nicht öffnen, weil einer der Nachbarn zwischenzeitlich seinen Wäscheständer im Treppenhaus aufgebaut hat. Zum Glück steht er im Telefonbuch und ich kann ihm erklären dass es zwar toll ist, dass er mit feuchter Wäsche das Treppenhaus kühlen möchte, sich die Türklinke meiner Laubengangtür aber im Gestell verhakt hat. Man befreit mich und jetzt wo ich einkaufen gehen kann, will ich nicht mehr. Mittlerweile hat irgendjemand im Hinterhaus das Fenster geöffnet und beschallt den Hof mit Musik von Buena Vista Social Club. Den habe ich ewig nicht mehr gehört und ganz vergessen wie schön und passend zum Sommer die Lieder sind. Ich bleibe sitzen bis der Rasenmäher wieder anspringt. Da man einem anderen Menschen keinen Sonnenstich wünschen darf, hoffe ich dass die Musik noch läuft wenn unser Hausmeister seine Runden fertig gedreht hat. Das ist gelogen, ich wünsche dem Hausmeister ehrlich gesagt doch einen Sonnenstich, da ich mich in Sonntags und nicht in Samstags Laune befinde. Komisch.

Der, der ab und zu mit einer Flasche Wein vor meiner Tür steht, schiebt sich jetzt mit zwei Bechern Eiscafe am Wäscheständer vorbei durch die Tür. Das ist schön. Nicht nur wegen des Eiscafes, sondern auch weil ich nicht mit ihm rechnete. Das sage ich ihm und weil er mich verwundert anschaut, ergänze ich das ich glaubte er müsse am Samstag arbeiten. Heute sei Sonntag, sagte er und fragt ob unser Hausmeister auf dem Rasenmäher noch alle Tassen im Schrank hat. Eine Antwort erwartet er nicht, da er gerade, wie er erzählt, einen Mann in der Unterhose auf den Treppenstufen sitzend getroffen hat. Ich erkläre, dass das Herr Iwanov und keine Unter- sondern eine Badehose war. In der habe ich ihn schon am Freitag im Treppenhaus die Zeitung lesen gesehen, da ist es am Vormittag kühler als in seiner nach Süd-Osten gelegenen Wohnung.

Irrenhaus, murmelt mein Freund und kommt Eiscafe schlürfen zu dem Schluss, dass es wahrscheinlich gar nicht mal so dumm ist, alle Idioten aus dem Viertel in ein Haus zu stecken. Da hätte man sie im Griff. Ich schnappe mir meine Handtasche und rausche angesichts der unglaublichen Beleidigung ab, um mir nun doch noch Himbeeren zu kaufen. Mein Ärger verfliegt als ich vor dem geschlossenen Supermarkt stehe, obwohl man mir eben erst sagte, dass heute Sonntag ist. Deppin ist übrigens die weibliche Form. Idiotin passt heute leider auch.

19 Gedanken zu “Sonntag (glaube ich)

  1. Es gibt doch so zahlreiche Beleidigungen auf gut boarisch, gerade auch für Frauen, man höre beispielsweise Polt als Tennis – Papa. Und wieso ist es dumm, am Sonntag in die Himbeeren gehen zu wollen, die es halt in der Stadt nur dort, im Laden gibt? Nebenan, in der Eisdiele, haben sie welche: heiß und mit Vanilleeis! Wo doch jener schon, wenn ich das richtig las, zwei Eiskaffee intus hat!
    Aber das mit der Sammlung der .. in einem Haus, das ist doch nicht dumm. Widerspricht aber der im Moment in Mode geratenen Inklusion, die an die alte, gerechte Prüfungsaufgabe erinnert (eine Aufgabe für alle, wegen der Fairness; wer klettert am schnellsten auf den Baum! Teilnehmer u.a. Krokodil, Elefant, Affe…). Fühlt sich der Eiskaffeebecherbringer als inkludiert? Oder nach dem Abrauschen doch nicht mehr?

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    1. Ha! Heiße Himbern und Eis…das hole ich mir heute! Und Inklusion haben wir hier nun wirklich. Mein Freund hat da einen zu oberflächlichen Blick ;). Ihn selbst haben wir schon lange aufgenommen. Ob er will oder nicht.

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  2. Du: „München ist in den Fängen eines extrem warmen Juniwochenendes und ich in denen von Frau Obst.“ Ich frage mich, was ist schlimmer? *grins*
    Die Hitze, denn von Frau Obst kann man sich entfernen.
    Gruß zu dir

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  3. Diese hitzebedingte Samstag-Sonntag Verwirrung ist für mich sehr erheiternd, liebe Mitzi, desgleichen, dass du die grantige Nachbarin mit Himbeeren und Brombeeren fütterst, die passend Frau Obst heißt. Überhaupt das ganze in der HItze toll gewordene Personal deines Hauses zeigst du mal wieder höchst vergnüglich. Ich hoffe, die Temperaturen habe sich inzwischen wieder normalisiert.

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    1. Stimmt – der Name passt hier ganz wunderbar. Die Temperaturen passen wieder. Ich mag es ja und die letzten Tage war ich so herrlich faul, dass ich sie auch genießen konnte. Liebe Grüße

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