Saustall

Ob das noch passt, steht im Betreff und in der Mail ein paar Sätze, die ich in- und auswendig kenne. Klar, passt, tippe ich ohne sie wirklich zu lesen und drücke auf senden. Ich bin ich – noch immer und meine Vita hat sich in den letzten Jahren nicht wesentlich verändert, schreibe ich einer Buchhändlerin, die sich – angesichts der Pandemie – ungewöhnlich hartnäckig nach Autoren erkundigt. Ich tippe es salopp und schnell, weil wir uns seit langem kennen, duzen und ab und an auf einen Kaffee treffen. Kurz darauf ruft sie mich an. Im Ernst, beginnt sie, bitte eine Vita und nicht zwei belanglose Sätze. Und – weil wir uns seit langem kennen – google dich bitte mal selbst, das ist ein einziger Saustall. Mein Stirnrunzeln äußert sich telefonisch durch ein undefinierbares, aber mit eindeutig hörbar beleidigtem Unterton, Atemgeräusch. Für google fühle ich mich nicht verantwortlich. Ich solle nicht google aufräumen, sondern meine Vita, wird erklärend hinterhergeschoben und die Ausrede, dass mich schließlich keine Sau kennt, wird ersatzlos gestrichen. Das würde zwar stimmen, aber wenn man ein so unverschämtes Glück hat, dennoch öffentlich lesen zu dürfen, dann bitte richtig. Neues Foto, neue Vita und aufräumen. Podcast rein, Blog raus. Was auch immer, aber so bitte nicht. Nach fünf Jahren sollte es doch möglich sein, etwas vernünftiges über sich selbst sagen zu können und seine eigenen Daten ein wenig zu pflegen. Danke und schönen Sonntag. Aufgelegt. Ja, danke auch und ebenfalls einen schönen Sonntag.

Und weil sie – die sich ihren Optimismus auch in Pandemiezeiten nicht nehmen lässt, viel flotter als ich ist, kommt eine halbe Stunde später eine Mail.

  • Podcast? Seit wann hast du einen Podcast?!?
    Hab ich nicht. Ist aber interessanter Weise tatsächlich der zweite Eintrag bei Google. Sollten Sie je, einem Impuls folgend, an mehreren Tagen hintereinander mit dem Handy aufgezeichnete Sprachnachrichten bei WordPress hochladen, dann haben Sie einen Podcast. Fein, nicht wahr? Oder erschreckend.
  • Im Impressum steht ein Name, der da nicht stehen sollte.
    Ui, das ist wirklich dämlich von mir. Um den da rauszunehmen zu dürfen habe ich mir ein Bein ausgerissen. Und ein Kreisverwaltungsreferat in den Wahnsinn getrieben. Künstler – mit Namen

Die Liste enthält weitere 18 (!?!?) Punkte. Ich hätte Ihnen hier heute so viel schönes erzählen können, aber ich muss aufräumen. Wirklich, das ist keine Ausrede. Vorhin nämlich habe ich in meinen bisher noch ganz leeren Wandkalender sieben – das ist mehr als eine Handvoll – Lesungen eingetragen. Für jemanden, den keine Sau kennt, ist das sehr, sehr fantastisch. Und bevor mich versehentlich tatsächlich jemand googelt und einen Podcast findet, nehme ich den mal lieber ganz schnell raus. Viel wichtiger aber ist das Impressum. Ich habe mir den Spaß gemacht den Namen dort verbunden mit einigen Schlagwörtern gesucht und bin auf das Hobby eines meiner ältesten Freunde gestoßen – der bloggt mit Leidenschaft über seine Jugend. Feine Sache. Blöd nur, dass zu der eine Handvoll mittlerweile mittelalte Menschen gehören, die drei Kreuze schlagen, dass es vor zwanzig Jahren kein Instagram und kein Twitter gab, und die sich jetzt – namentlich erwähnt – auf seinem Blog wieder finden. So ein Saustall! Und nur fürs Protokoll…ich habe noch nie geraucht, Pfefferminzlikör getrunken oder an einer Landstraße übernachtet. Auch habe ich nicht in einem Wald gezeltet in dem es Wildschweine gibt, Haschkekse gebacken eh nicht, habe nie versehentlich mein Auto beim Abbiegen auf Trambahngleise gefahren und bin nun wirklich nicht zu blöd zum Einparken. Letzteres vielleicht doch – da ist ein Link zu meinem eigenen Blog.

Eine Woche später habe ich mein Impressum geändert und mir vorgenommen, die Audio Einträge vom Dezember irgendwann im Frühjahr zu löschen. Der Link zu meinem Blog ist raus – das ist aber auch das einzige um das ich bat. Was ich nicht tun werde ist, einen meiner ältesten Freunde bitten, all die Fotos auf denen ich zu sehen bin zu löschen. Auch die Geschichten von mir und allen anderen dürfen bleiben – das haben wir gemeinsam beschlossen. Wir, die darin vor- und nicht immer gut wegkommen. Besonders ich, die so viel von sich und ihren engstem Umfeld schreibt, sollte niemanden bitten, irgendwas zu löschen. Mein Impressum passt jetzt und damit ist es ok. Es stimmt ja auch und eigentlich ist es schön, wenn einer die alten Geschichten aufschreibt und uns daran erinnert, was für ein Saustall unsere Jugend war. Einer an den wir gerne zurück denken und einer, der zu unseren erwachsenen Ich´s passt. Eine stinknormale Jugend eben und wenn sich daran einer gerne auch schriftlich zurück erinnert – bitte. Einer muss ja die Chronik aufschreiben, wenn der Rest zu vergessen beginnt. Meine Vita habe ich um einen Halbsatz ergänzt. Das muss reichen. Die Buchhändlerin verdreht die Augen – ich höre es genau – und meint, ich könne wirklich froh sein, dass mich niemand kennt. Und wissen Sie was – das bin ich wirklich. Solange das der Fall ist muss ich mich nicht ganz so viel mit mir selbst beschäftigen. Ich fände es arg irritierend wissen zu müssen, wer ich eigentlich bin. Am Ende müsste ich noch immer die gleiche sein. Eine unangenehme Vorstellung.

24 Gedanken zu “Saustall

  1. Na so einer hartnäckigen Dame die auf 0815 Standardformulierungen pocht und will, dass man es macht wie man es macht, der würde ich die kalte Schulter zeigen. Warum sich diesen Richtlinien beugen? Mit Podcast wird man auch nicht „berühmter“. 🙂 Ich bin ich trifft es sehr gut. Der Intuition folgen und es so machen, wie man es für richtig hält!
    Aber einen Saustall ein wenig aufräumen kann natürlich nichts schaden 🙂 Grunz

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  2. Das Ding mit der Eigen- und Fremdwahrnehmung kommt mir da auch in den Sinn, Du Liebe. Ich mag Dein Understatement ❤ . Ist aus eigener Erfahrung wirklich seltsam diese ganze Berühmtsache. Ich sende ja seit nur nem halben Jahr auf ner anderen Plattform und war vor Weihnachten mit einem wirklich unbekannten Begleiter auf einem "Abend-Seminar". Hab ihm vorher erklärt, dass ich so 5-6 Leute kenne und mit denen auch mal quatschen werde. Dass mich da um die 30 Leutchen sehr lautstark meinen Namen und Nick brüllend begrüßen würden, war ein Schock. Auch für meinen Begleiter, der natürlich von oben bis unten von all den Augenpaaren gemustert wurde. Das hätte ich ihm gern erspart. Also, Du weisst besser vorher, wie bekannt Du wirklich bist 😉 . Weisste Bescheid …und ich mag noch nicht dran denken, wen ich nächstes Jahr zum Seminar mitnehme 😉 . Und jetzt google ich Dich, Herzensgrüsse nach München ❤ ❤ ❤

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    1. Ich hoffe du hast nicht allzu viel gefunden ;). Und wenn….im Zweifel muss es sich um eine Verwechslung handeln ;).
      Das Impressum hab ich ja noch schnell gesäubert.
      Ich glaub ich fände das witzig, wenn der oder die neben mir so begeistert begrüßt wird. Meinen Namen hab ich nur einmal schreien gehört…da hab ich die Skriptseiten zu nah an eine Kerze gehalten.
      Und ich schau jetzt auch nach dir, weil mich „Abend-Seminar“ neugierig gemacht hat.
      Ganz liebe Grüße

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  3. Vielleicht muß man ja die frei erfundene Wildsau rauslassen? Einfach nehmen, was man so als weltmännisch – aufrührerische Abenteuer gehabt zu haben hat? Abstruse und erbauliche Gelegenheiten basteln? Und so die gewünschte Öffentlichkeitsperformance erlangen.
    Oder den Koben von innen zuschließen und das gewünschte, gewählte ich bin ich und das muß genügen nach draußen grunzen, schreien oder auch nur flüstern?

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