Weit, aber schön

Idiot, zische ich, als einer meiner Freunde mich bittet meinen Standort via eines Screenshots von Google Maps zu beweisen. Nach einer siebenstündigen Autofahrt bin ich mir sehr sicher, dass ich Bayern verlassen und Nordrhein-Westfalen erreicht habe. Nur weil ich ab und zu Erlangen mit Erfurt verwechsle und Nürnberg und Bayreuth anhand der dort gesprochenen Dialekte nur schwer Bayern zuordnen kann, ist meine geographische Ignoranz nicht ganz so aus geprägt, wie meine Freunde mir manchmal unterstellen möchten. Auf die Frage, was ich dort denn tun würde, antworte ich erst einmal nicht. Je länger ich nämlich auf das Display meines Handys und meinen aktuellen Standort blicke, umso mehr frage auch ich mich, was zum Henker hier eigentlich gerade mache. Eine recht genaue Vorstellung dessen was ich hier zu tun habe hat dagegen meine Leseagentur. Diese dürfte auch die einzige sein, die sich sehr über meine mangelhaften Geographie Kenntnisse freut. Wahrscheinlich bin ich die einzige Münchner Autorin die für nur eine Lesung 600 km einfache Fahrt freudestrahlend in Kauf nimmt, weil sie wieder einmal keine Ahnung hatte wo sich der Ort eigentlich befindet.

Was zum Teufel ich gerade mache, fragte sich am Sonntag Vormittag vermutlich auch meine Freundin, die mich zu dieser Lesung begleitet. Zu diesem Zeitpunkt saß sie 50 m unter mir und beobachtete wie ich mit völlig unpassenden Schuhwerk und einer sperrigen Handtasche auf einen Felsen kraxelte. Obwohl ich schwindelfrei bin, machte sie einige Fotos um sie, falls es die letzten sein sollten, meiner Familie zur Verfügung zu stellen. Da ich diese Zeilen gerade tippe, wissen Sie, dass ich heil wieder unten ankam und ich kann Ihnen versichern, dass sich dieser Aufstieg mehr als gelohnt hat. Extern Steine…. Dafür wäre ich noch weitere 200 km gefahren. Und das auch völlig ohne Honorar, denn die sind großartig. Vielleicht würde ich mir das nächste Mal Turnschuhe anziehen, aber sonst… Beeindruckend. Ganz sicher würde ich das nächste Mal auch vorher nach sehen, wohin uns eine kleine spontane Wanderung führt. Als Münchnerinnen sind wir was Wanderungen angeht keine unterschriebenen Blätter. Nur manchmal ein wenig dämlich. Scheiß Buche, quittiert meine Freundin den tatsächlich sehr durchschnittlichen Baum zu dem ich sie über eine Stunde lang bergauf gehetzt habe. Auf dem Wegweiser klang der Baum nach etwas besonderem, jetzt als wir davor stehen, ist es eine ganz durchschnittliche Buche. An sich ist nichts falsch daran eine Stunde doch einen schönen Wald zu laufen, aufgrund des Zeitdrucks der Lesung am Abend, sind wir allerdings tatsächlich schnell und mit noch immer unpassenden Schuhen nach oben gehetzt. Doofe Buche, sage auch ich und verspreche es mit einem Kaffee in der wunderschönen Altstadt von Detmold wieder gut zu machen. Die Altstadt ist tatsächlich wunderschön. Nur irgendwie war uns entgangen, dass der Herbst mittlerweile eindeutig begonnen hat und es bei leichtem Wind und Wolken am Himmel mittlerweile Saukalt ist, wenn man in einem Straßencafe gemütlich einen Cappuccino trinkt. Da wir beide unerschütterlich Optimisten sind, blieben wir über eine Stunde sitzen und versicherten uns Zähneklappernd, dass es so ganz kalt ja nun doch noch nicht sei. Ich rechne es meiner Freundin sehr hoch an, dass sie während der kompletten Lesung am Abend trotz ihrer aufkommenden Erkältung noch immer ein Lächeln für mich parat hatte. Ich teilte es, denn die Lesung war wirklich schön – besonders das Publikum war wunderbar. Gelächelt haben wir auf der Heimfahrt dann noch einmal beide. Da nahmen wir uns ausgiebig Zeit um die ehemaliger Benediktinerabtei Corvey anzusehen. In den Räumen der Bibliothek stand ich lange und war mehr als froh, diese Lesereise angetreten zu haben.

600 Kilometer sind eigentlich gar nicht so weit und wenn man berücksichtigt, was man alles zu sehen bekommt, dann lohnt sich jeder Meter. Ich sage es im Auto auf der Heimfahrt und meine Freundin bittet mich den Mund zu halten. Zu diesem Zeitpunkt standen wir nach 23 (kein Witz) Baustellen seit geraumer Zeit auf der, wegen eines SEK Einsatzes vollständig gesperrten Autobahn. Sie ahnen wer die ganze Strecke gefahren ist? Ich hab ihr die letzten drei Gummibärchen überlassen, damit sie durchhält. Im November muss ich nach Torgau. Keine Ahnung wo das ist, aber ich frag sie ob sie mitkommen möchte. Mit Entourage macht das alles nämlich gleich noch mal mehr Spaß.

Foto Maria Schultz

Das letzte Foto ist aus Neufahrn – die Lesung mit dem vollgeschmierten Manuskript. Dort war die Anreise nah und die Begleitung von Petra Lewi so wunderbar, dass ich am liebsten nur noch mit ihr aus „Nix mit Amore“ lesen würde. Danke, Petra.

27 Gedanken zu “Weit, aber schön

  1. „Im November muss ich nach Torgau. Keine Ahnung wo das ist, aber ich frag sie ob sie mitkommen möchte.“ lange nicht mehr so herzlich gelacht. biete mich als entourage an, habe auch eine ungefähre vorstellung, wo torgau ist. ich war da, glaube ich, sogar schon mal. 😉

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      1. Liebe Mitzi, es war kein guter Tag mit der Beerdigung eines lieben Theaterfreundes, aber Deine Geschichte hat mich so was von zum Lachen gebracht. Schön von Dir zu hören/lesen, danke, es hat unendlich gut getan. Liebe Grüße Traudl

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      2. Liebe Traudl, das tut mir sehr leid zu hören. Das ist wirklich kein guter Tag. Umso mehr freut es mich, dass ich ein bisschen zum Lächeln beigetragen habe. Auf hoffentlich ganz bald liebe Grüße

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  2. ❤ ich bin mir sicher sie kommt mir! und ja, auf diese steine muss man klettern wenn man da ist – so will es das gesetz 😉 (als mensch der irgendwo in der nähe von bergen aufgewachsen ist kann man hoffentlich einschätzen, wie groß das risiko ist, das man eingeht, wenn man mit falschem schuhwerkwo rumwuselt ^.^)

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    1. Das dachte ich mir auch. Die sind so wunderschön und so etwas besonderes, dass ich mir die Gelegenheit nicht entgehen lassen wollte. Und obwohl ich nun wirklich die falschen Schuhe anhatte, ging es am Ende natürlich doch. Sonst wäre ich da auch nicht hoch oder wäre vielleicht einfach barfuß hoch gelaufen. Liebe Grüße

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  3. Mitzi, in Bezug auf die Geographiekenntnisse haben wir sehr viel Ähnlichkeiten miteinander – nur ich bin nicht ganz so schwindelfrei in der Höhe wie du – ist aber schon besser geworden.
    Aber ich weiß wo Torgau ist – falls es davon nicht mehrere gibt. Denn dort hat mein Ex seine Bausoldatenzeit verbracht – also eine ganz schöne Strecke von dir weg.
    Aber deine Freundin fährt offensichtlich gern und gut Auto.
    Liebe Grüße

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    1. Zum Glück fährt sie wirklich gerne. Bei der Entfernung hätte ich sie nicht gefragt ob sie mitkommen möchte 😉
      Langsam kenne ich mich in Deutschland besser aus. Hat ja nur 40 Jahre gedauert. 🙈

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  4. Die Externsteine – nicht weit weg davon im Weserbergland war 38 Jahre meine Heimat. Ja, ist eine weite Reise auch von hier. Egal ob mit Auto oder Bahn. Aber es lohnt sich doch, dort sind zwar nicht wirkliche Berge, aber dennoch eine schöne Natur. Und nette Menschen gibt es überall… 😉

    Liebe Grüße,
    Syntaxia

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  5. Baustelle an Baustelle, das war auch mein (ich schrieb schon: Nordsee. Auch eine Geschichte ist wieder draus geworden, eine mit Sturm und Meer und ohne Autobahn) Erlebnis. Zwar war bekannt, das ist weit, aber dass die Autobahnen in derart desolatem Zustand sind… Doch, Herr Schäuble, das mit dem Sparen hat trotz versenktem Bahnhof, Philharmonie zu nah am Wasser und nicht zuletzt diesem besonderen Flughafen funktioniert! Und der schöne Nebeneffekt: es gibt trotz Geschwindigkeitsampel längst eine Geschwindigkeitsbeschränkung. Die der Ölindustrie keinen Liter Benzin kostet, denn im Stau und bei den unbedingt erforderlichen Zwischenspurts (hihi, da vorne treffen wir uns wieder) ist der wirtschaftsförderliche CO2 – Ausstoß jedenfalls gewährleistet. Aber vielleicht ist das ja auch nur Absicht, weil man mit der halbprivaten (das Übliche: Kosten für den Steuerzahler, Einnahmen, na, mal sehen) Bahn auch nur ruckweise dem Ziel näher-, aber eh nie ganz hinkommt?
    Aber die Lesung, die ist doch viel Wichtiger! Als Kulturbotschafter aus Baiern (nicht nur Bayern, denn da, wissen wir, gehören die Frangen (das K hat sich nur in die Schriftsprache eingeschlichen) dazu. Übrigens eine Gegend, die ich ernstlich für gesundheitsschädlich halte. Überall riecht es danach und ich muß, wenn ich durch so ein Frankenstädtchen schlendere, öfter als einmal einkehren, Sauerkraut und Schweiners überall. Na gut, Bamberger Rauchbier nicht unbedingt, wer’s mag.
    Offenbar kann ich, jetzt wieder im Süden, nicht der ganzen Reisestrecke folgen. Schön war’s dort ganz im Norden schon auch, aber so schnell werde ich nicht mehr dorthin fahren, auch hieß es intern bereits: dann fahren wir wieder in den Süden (d.i.: südlich der Alpen)!

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    1. Da warst du noch ein ganzes Stück weiter als ich. Und klar, die Lesung war auch viel wichtiger und doch bin ich immer froh, wenn ich auch etwas (wie diesmal) die Gegend kennen lernen kann. Mit Sauerkraut, Schweinerm und Rauchbier lockst du mich auch nicht. Bamberg ist wunderschön, aber das Bier lasse ich aus.

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      1. Rauchbier ist schon sehr speziell, aber man kann sich ja auch mit der Betrachtung des nach wie vor etwas geheimnisvollen Reiters vor dem Dom begnügen. – Die fränkische (und auch die tradierte oberbairische) Küche sind auch mit sehr viel Zuspruch gewiß nicht mediterran zu nennen! Aber immerhin, die Franken haben (einen ebenfalls sehr speziellen im – Nomen est Omen – Bocksbeutel) Wein und auch der Kren kommt von dort.

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      2. einst – also noch vor meiner Zeit, das habe ich aus zweiter, aus Elternhand bzw. -mund, gingen die Krenweiberl, meist aus Franken, durch München, und verkauften ihr Gewächs. Sie trugen eine zunächst vollbeladene Kraxe auf dem Buckel, fuhren (in neuerer Zeit) mit dem Zug in die große Stadt und verhökerten ihre Waren, hofften, leichter, aber mit etwas Geld im Beutel, heimzukehren.

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      3. Ich erinnere mich, dass in München vor dem Kaufhof, immer eine Uralte Frau saß die Kräuter, Tees und Ähnliches verkaufte. Wahrscheinlich war es eine Münchnerin, aber die sah genauso aus und hatte auch statt einem Stand eine Kraxen aus der sie verkauftE. Vielleicht war es ja eine

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