Synchron in die falsche Richtung

„Eigentlich ist es ziemlich bescheuert, dass ich Ihnen hier auf einem Schiff am Staffelsee etwas über Münchner Freibäder erzählen möchte….“ sage ich und denke dabei weder an das Schiff auf dem ich gerade stehe, noch an die Münchner Freibäder von denen meine erste Erzählung handelt. Ich denke, was für ein unglaubliches Glück es doch ist, dass genau jetzt, in dem Moment in dem das Schiff ablegt, die Sonne rauskommt. Die Sonne, mit der ich nach all den schlechten Wetterprognosen, gar nicht mehr rechnete, spiegelt sich wunderbar auf dem Wasser. Das sehe ich und weiß, dass ich es nicht sehen sollte, weil ich gerade zwar frei spreche, gleich aber zu lesen beginne. Es wundert mich, dass ich tatsächlich spreche und dabei an etwas anderes denke. So etwas kann nicht funktionieren und deshalb konzentriere ich mich jetzt wieder ganz auf das wunderbare Publikum und das was ich gerade erzähle. Das heißt, ich nehme es mir gedanklich vor und alleine der Vorsatz ist ja schon wieder ein neuer Gedanke –  verrückt, dass ich noch immer rede und gleichzeitig nicht das denke, was ich sage. Wenigstens sind die Gäste genauso fasziniert vom Wasser und der Sonne wie ich. Obwohl…der beste meiner Freunde schaut gerade ernst. Ok, ich habe noch nicht wirklich etwas lustiges gesagt, aber vielleicht….nein, ich habe nichts zwischen den Zähnen, weil ich nichts gegessen habe. Vielleicht schaut er deswegen ernst, weil er weiß, dass ich einen leeren Magen habe und mir – aus gerade nicht mehr nachvollziehbaren Gründen – statt einem Wasser einen Aperol Spritz zur Lesung bestellt habe. Ach gut, jetzt lächelt er. Ich auch…ist ja auch eine amüsante Stelle in meiner Erzählung…alles wieder gut. Nur mit dem Aperol muss ich vorsichtig sein. Ich lese stehend und ganz leicht spürt man die Bewegung des Schiffes. Oder des Aperols? Nein, ich hab bis jetzt nur genippt, alles gut. Jetzt ist erst mal Moses dran und ich frage mich wie ich die erste Erzählung lesen konnte und dabei an einen solchen Mist gedacht habe. Diese Art von Multitasking ist mehr als verstörend. Woran wohl Moses denkt, wenn er liest? Ich frag ihn lieber nicht. Erstens, weil er ja gerade spricht und zweitens habe ich das Gefühl, dass er nur an das denkt, was er gerade liest….faszinierend. Überhaupt ist der Mann großartig. Jetzt macht der Aperol auch Sinn. Einem so begnadetem Sprecher hört man wahnsinnig gern zu und ein Aperitif beim Sonnenuntergang rundet das ganze noch ab. 

Ich bin wieder dran und ich denke nur an das was ich lese. Zumindest versuche ich es. Aber irgendwie passt das grad nicht. Die Erzählung über die Sonntagsliebe schon – die mag ich und ich glaube sie passt ganz gut. Aber ich hab das falsche T-Shirt angezogen. Weil ich gerade lese, kann ich nicht an mir runter schauen, aber ich bin mir sicher, dass ich mich daheim noch umziehen wollte und es nicht getan habe. Außerdem….aber das ist jetzt egal. Gerade geht es ja um die Sonntagsliebe. Also nächstes Mal setzte ich mich doch wieder hin oder lese aus dem Buch und nicht aus den Notizen. Die sind etwas zu bunt geraten und so langsam brauch ich vielleicht doch eine Lesebrille. Aber schön ist es schon auf einem Schiff zu lesen. So richtig schön, weil auch alle da sind, die ich gern um mich habe. Im Münchner Umland gibt es ab und zu Lesungen, wo richtig viele kommen, die ich gern hab. Auch der, dem ich in der Pause erzählt habe, dass mir beim Lesen immer so viel durch den Kopf schießt. Konnte er nicht glauben. Ich auch nicht und deshalb jetzt endgültig Schluss! Ich lese, erzähle und denke an nichts anderes. 

Aber es geht nicht…scrollen Sie nach unten zu den Fotos….wie zum Henker soll man sich denn da auf seinen Text konzentrieren, wenn man so was schönes sieht?!? Vielleicht in dem man sich bewusst macht, dass jeder der mit mir hier auf dem Schiff ist Eintritt bezahlt hat. Ja, das ist ein gutes Argument und Hirn und Mund laufen endlich synchron. „Papa, nimmst du mir bitte einen Aperol Spritz mit?“ rufe ich meinem Vater zu der sich anschickt unauffällig ein Glas Wasser zu holen.  Mist, das war die falsche Richtung Synchronität und so ein Mikrofon kann wirklich laut sein, wenn man einen spontanen Gedanken ungeplant und durstig ausspricht. 

 

15 Gedanken zu “Synchron in die falsche Richtung

  1. Um denken und reden besser zu synchronisieren, abschweifende Gedanken im Zaum zu halten, versuche ich folgendes:
    Ich schaue mit meinem „geistigen Auge“ auf eine Person. Stelle mir vor, diese Person sitzt entspannt in einem Sessel oder befindet sich dort, wo ich sie zuletzt gesehen habe. Dieser Person erzähle ich das, was ich zu sagen habe und beobachte sie dabei.
    Das ist dann für mich Konzentration und genügend Multitasking, um abschweifende Gedanken weitgehend zu verhindern.

    Liebe Mitzi,
    da Frauen aber wesentlich mehr Multitaskingkapazität als Männer haben, könnte das für Sie noch nicht genügen. Sie müssten sich vermutlich außerdem auf ein Trimmrad setzten oder auf einem Laufband parallel die Geschwindigkeitzanzeige im Auge behalten und die Schritte zählen …….. 😉
    Gruß Heinrich

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    1. Lieber Heinrich, wahrscheinlich verrate ich Ihnen kein Geheimnis, wenn ich nun behaupte dass Frauen gar nicht Multitasking fähig sind. Zumindest hoffe ich das, sonst wäre ich eine Ausnahme.😉🤣
      Vielen Dank für den schönen Tipp, einer Person etwas zu erzählen. Der ist genau richtig und das versuche ich immer dann, wenn ich frei spreche. Wenn man sich einmal überwunden hat, dann ist es nämlich viel schöner weil die Gäste auch zu erzählen beginnen. Manchmal mit Worten aber fast immer in dem was sich in ihren Gesichtern widerspiegelt. Zum Glück kein völliges Entsetzen, das lässt mich hoffen dass mein Gedankenkarussell vielleicht doch nicht so schlimm ist wie ich manchmal befürchte.
      Herzliche Grüße 🙂

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      1. Na prima!
        Dann können Sie auch das Laufband weglassen. Darüber würden sich sicher auch ein paar Zuhörer:innen wundern, und es erspart Erklärungen. 😉

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  2. Liebe Mitzi, es war eine Riesenfreude, gemeinsam mit Dir auf dem Staffelsee lesen zu dürfen, noch dazu vor solch nettem Publikum. Es stimmt übrigens, ich denke beim Vorlesen stets nur an den vorzutragenden Text, da ich als Mann nur über wenige Multitask-Eigenschaften verfüge. 🤫😎

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  3. Wie sagt die bayerische Kabarettistin? „Ja, soi i so a Ingwerwassi saufa?“ Alleine schon die Gelegenheit – auf einem Schiffchen zu lesen, wie schön! Genau, Gelegenheit macht quasi Diebe, Nutznießer – Genießer.
    Auf einem Schiff! Mit Zuhörern! Jetzt stelle man sich das Gleiche im schreibefüllten Freibad vor… Wie schrecklich, nein, unmöglich!

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    1. Der Aperitif musste einfach sein. Den ganzen Tag hatte es geschüttet und Unwetterwarnung gegeben und dann war es ein so traumhafter Sonnenuntergang. Bis jetzt der mit Abstand schönste Ort an dem ich lesen durfte. Ich hoffe im Sommer noch mal auf dieses Schiff zu kommen, diesmal aber nur um die Fahrt zu genießen.

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