Saublöde Idee

Eine Scheißidee sei es gewesen, brülle ich in mein Handy, als es das vierte Mal binnen einer halben Stunde klingelt. Eine richtige Scheißidee – Ausrufezeichen, schieße ich verbal hinterher, bevor ich das Telefon in meine Handtasche werfe und auf allen Vieren versuche eines der vier Räder meines Trollys aus der Ritze des Gullis zu befreien. Die Sprache wechselnd, aber mit identischem Tonfall, brülle ich Sekunden später in Richtung eines Autos, dass ich die Straßenmitte sehr gerne verlassen würde – aber nicht ohne meinen Koffer. Fünf Minuten später entschuldige ich mich bei dem Autofahrer für meinen Tonfall und rechne ihm hoch an, dass dieser ihn lachend ignoriert hat, ausgestiegen war und das Rad meines Koffers aus der mistigen Gulliritze gezogen hat. Eine weitere Entschuldigung erfolgt fernmündlich, bei jenem Anrufer, der das Pech hatte mich kurz vor einem Hitzschlag zu fragen, ob er sich gelohnt hat – mein 36 Stunden Italienbesuch. Ja, hat es. Nur die letzte Stunde war scheiße. Aber da war ich selbst Schuld.

Als ich noch in der Stadt wohnte, hätte ich jedem meiner Besucher erklärt, dass es eine absolut bescheuerte Idee ist, im August, mittags bei 35 Grad zu Fuß zum Bahnhof zu laufen. Kommentarlos hätte ich meinen Freunden ihre Koffer abgenommen, sie an die Bushaltestelle gestellt und dort mit ihnen gewartet. Die Strecke ist zwar nicht weit, aber im August, mittags bei 35 Grad, eindeutig zu weit. Zumal die Bodenfliesen italienischer Gehwege zwar glatt, fast schon rutschig wirken, sich für Rollkoffer aber dennoch als ungeeignet erweisen. Wie ungeeignet stellte ich letzten Sonntag fest. Nach den ersten hundert Metern hatte ich einen hochroten Kopf, war durchgeschwitzt und kurz davor vorbei eilende Passanten um ein Sauerstoffzelt, wahlweise um einen Kopfschuss, zu bitten. Wenn Sie denken, dass ich übertreibe…das tue ich nicht. Verona im August ist ein einziger Glutofen. Wunderschön, aber gnadenlos für alle Idioten, die ihn unterschätzen. Idioten wie mich. Dabei war ich anfangs noch wirklich gut und erinnerte mich an alles, was mich damals drei Jahre, inklusive Jahrhundertsommer in der Stadt überleben ließ. Das meiste wusste ich noch, als ich am Freitag morgen mit einer Kollegin für 36 Stunden nach Verona fuhr. Zum Beispiel, dass sie sich bei der Anfahrt zum Hotel unbedingt entspannen muss. Es lag nur 50 Meter von der Arena entfernt und war umgeben von Straßen die für den Autoverkehr gesperrt sind. Ruhig atmen, bat ich sie als ich sie durch die Gassen lotste und ihr versicherte, dass ich mich besser als das Navi auskennen würde. Ab und zu überquerten wir die Fußgängerzone und ich erklärte, dass das ok sei. Es ist auch ok, aber ich war trotzdem froh, dass sie nicht verstand was uns einige Italiener hinterher riefen. Es hätte sie nur irritiert und das wäre nicht gut gewesen, da sie sich darauf konzentrieren musste in den engen Gassen der Altstadt keine Mülltonnen, Tauben oder Klappstühle umzufahren. Das Hotel war die Anfahrt wert – mehr als das, es war das perfekte Hotel für meine 36 Stunden Verona und für ihren ersten Urlaubstag, dem zwei weitere Wochen im Süden Italiens folgen sollten.

Wirklich alles war perfekt. Der erste Aperitif, den wir in der Gasse tranken, von der ich weiß, dass dort immer ein leichter Wind weht. Der Bummel durch die Läden, nach deren Betreten ich wusste, dass ich kein Fieber hatte und auch die gefühlten 500 Stufen hinauf auf den Hügel über dem Theatro Romano. Der Blick ist so schön, dass es meine Kollegin nicht störte, dass ich für eine halbe Stunde keine Zeit für sie hatte. Fragen Sie mich nicht warum ich mich dort oben so lange mit einem mir unbekannten Mann über das deutsche Gesundheitswesen unterhalten habe. Ich stolperte (die Treppen hatten mich etwas ausgelaugt) über seinen Hund und wir kamen ins Gespräch. Auch wenn ich mir ein schöneres Thema hätte vorstellen können…es war herrlich wieder italienisch zu sprechen. Genauso herrlich wie später auf der Piazza delle Erbe bei einem Glas Weißwein den Abend zu beginnen und mindestens so herrlich wie ihn noch später bei einem Essen ausklingen zu lassen. Also fast, denn wenn man nur so kurz in der Stadt ist, dann geht man natürlich nicht um zehn ins Bett. Ob ich glücklich sei, fragte meine Kollegin und ich heulte kurz, weil man, wenn man so glücklich ist, wieder nach Hause zu kommen, nur schlecht mit Worten antworten kann. Am nächsten Morgen stand ich ganz früh auf und lief alleine zu meiner alten Wohnung. Vor vielen Jahren habe ich dort eine Freundin verloren und immer wenn ich in der Stadt bin schaue ich nach, ob sie vielleicht zurück gekommen ist. Leider nicht. Aber ich werde es weiter versuchen. Eine Freundin wie Roza gibt man nicht einfach so auf. Bei Gelegenheit erzähle ich Ihnen von ihr.

Nein, es war keine Scheißidee. Es war ein wunderbare Idee, spontan für 36 Stunden nach Verona zu fahren. Warum ich aber nicht mit dem Bus zum Bahnhof gefahren bin, das erschließt sich mir auch heute noch nicht. Oder doch. Ich wollte gehen. Ich wollte jeden Schritt ausnutzen und so lange wie möglich noch mit beiden Beinen in der Stadt sein. In meiner Stadt. Der Stadt in der alles angefangen hat.

12 Gedanken zu “Saublöde Idee

  1. „Ich wollte jeden Schritt ausnutzen und so lange wie möglich noch mit beiden Beinen in der Stadt sein. In meiner Stadt. Der Stadt in der alles angefangen hat.“

    Liebe Mitzi,
    und da wundern Sie sich, dass Ihr Koffer, der Sie sicher besser kennt als Leute aus dem Hinterhaus, sich mit aller Kraft am Gulli festklammert? Der wollte auch noch nicht weg!
    Gruß Heinrich

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  2. Ich weiss nicht, was schlimmer ist. Bei 35° in Verona ein verklemmtes Kofferrad aus dem Gully zu zerren oder in Basel bei 35° auf dem Zahnarztstuhl zu hocken und den sirrenden Bohrer zu hören. 😥 … und anbrüllen geht mit den ganzen Instrumentarium im Mund nicht – in keiner Sprache.
    Ich war nass geschwitzt, ob vor Angst oder Hitze – keine Ahnung, unappetitlich jedenfalls
    Dein Blog hat mich auf eine fantastische Idee gebracht – wieso bin ich nicht selbst darauf gekommen? Ich werde mir ein Glas Wein gönnen.
    Salute – Emma

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  3. Liebe Mitzi,
    verstehe, der Abschied von einem schönen Ausflugs-Wochenende hat seine Tücken.
    Wenn am Sonntag kein Bus fährt. Die 30 Grad überschritten. Mit dem Gepäck nehme ich ein Taxi. Lustiger Taxi-Fahrer. Wenn der Zug eine Dreiviertelstunde später kommt, gibt es Erfrischungen im Bahnhofs-Laden.
    Gute Sommertage
    Bernd

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  4. gänsehaut und magenkribbeln bei deinen texten über italien.
    „und ich heulte kurz, weil man, wenn man so glücklich ist, wieder nach Hause zu kommen, nur schlecht mit Worten antworten kann.“ JA! ❤

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