Ein Elefant auf dem Schuttberg (Archiv 2016)

In München entstanden nach dem zweiten Weltkrieg zwei Trümmerberge, die meistens der große und der kleine Schuttberg genannt werden.  Obwohl es in München einige Hügel gibt ist der große Schuttberg eine der höchsten Erhebungen in der Stadt. Weil er nicht nur hoch sondern auch hübsch, und seit dem U-Bahn Bau zur Olympiade noch mal zehn Meter höher ist, nennt man ihn jetzt Olympiaberg. Beide Hügel waren nicht weit von der Wohnung meiner Großtante in Schwabing entfernt.
Als Kind stellte ich mir die beiden Schuttberge als etwas ganz besonderes vor. Obwohl man mir erzählte, dass sich darunter die Trümmer der Nachkriegszeit verbargen, dachte ich nie an die zerbombten Überreste der Stadt. Ich stellte mir vielmehr vor, dass sich darunter die Habseligkeiten derer, die nicht mehr waren, befanden. Unzählige Möbel, alltägliche Gebrauchsgestände und viele Erinnerungsstücke vermutete ich zwischen den Mauerresten. In meiner Vorstellung lagen ganze Wohnungen und Häuser unter den grasbewachsenen Hängen des Olympiaberges verborgen. Und nur aus Gründen der Pietät, weil das alles ja einmal anderen Menschen gehört hatte, gruben die neugierigen Nachkommen nicht wieder alles aus. Besonders hübsch fand ich das kleine Gipfelkreuz ganz oben. Es hat mich nie gewundert, dass der Hügel auch einen Gipfel hatte. Durch die Nähe zu den Bergen mit Gipfelkreuzen vertraut, erschien es mir nur schlüssig, dass auch hier ein Kreuz war. Mehr als beschämt, registrierte ich erst mit Anfang zwanzig, dass es sich dabei um eine Gedenkstätte der Opfer des zweiten Weltkrieges handelte. Die eigene Dummheit und Ignoranz lässt mich rückwirkend noch manchmal erschauern, wenn ich abends im Sonnenuntergang dort oben sitze.

In der Abenddämmerung sieht man die vielen, dort lebenden Hasen über die Hänge hoppeln. Sie mögen den großen Schuttberg ebenso gerne wie ich und haben mir die zweite kindliche Illusion geraubt. Der Berg besteht tatsächlich nur aus Trümmern und Schutt. Wenn die Hasen ihre Höhlen graben, befördern sie einiges davon, deutlich sichtbar, an das Tageslicht. An einem Sommerabend erzählte ich, dass ich mich manchmal mit dir wie einer diesen Hasen fühle. Man gräbt sich dort, wo es sich warm und vertraut anfühlt eine kleine Höhle und fühlt sich schnell heimisch. Aber je tiefer man gräbt, umso mehr Schutt und Trümmer kommen zum Vorschein. Man bleibt trotzdem, erzählte ich dir, würde aber mit dem Graben etwas vorsichtiger werden, um sich nicht ständig die Pfoten aufzuschneiden. Du sagtest mir, dass du mich nun wirklich nicht mit einem Hasen vergleichen würdest. Eher mit einem Elefanten im Porzellan Laden, der nicht einmal merkt wie viel durch sein Getrampel in fremden Köpfen zu Bruch gehen würde. Wir wussten beide, dass in deinem Kopf nur das kaputt war, was du selbst zerschlagen hattest und ein Elefant nicht recht zu mir passte. Ein zu großes Tier für einen kleinen Menschen wie ich. Ein Hase auch nicht. Zu klein und flauschig, für einen sturen und zähen Menschen wie mich. Ein Klammeraffe vielleicht, schlugst du schmunzelnd vor und ich nannte dich einen Maulwurf, der sich durch dunkle Gedanken gräbt und blind für das schöne Sonnenlicht ist. Wir einigten uns darauf, dass wir lieber menschlich blieben, weil es sich gerade in der Nähe des großen Kreuzes, anbot diesen Gedanken als Vorsatz zu fassen und daran festzuhalten.

Heute bin ich nicht mehr so gerne auf dem Schuttberg. An den Isarauen mit dem Fluss, der ständig in Bewegung ist, fühle ich mich wohler als auf dem sturen und starren Berg. Als ich vor einiger Zeit eine der drei Buttermilch-Tassen meines Großvaters fallen lies, spielte ich mit dem Gedanken, die Scherben auf dem Schuttberg zu vergraben. Die Trümmer darin sind nicht viel älter als die Tasse und die Vorstellung den Hasen neues Baumaterial zu schenken gefiel mir. Es gefiel mir nur für einen kurzen Moment. Dann erschien es mir albern. Später hielt ich es für eine nicht besonders kluge Idee in den Trümmern vergangener Zeiten zu wühlen. An die Tasse dachte ich dabei nicht mehr. Sie steht jetzt geklebt wieder im Schrank und ist sogar wieder zu benutzen. Das Geschirr meiner Großeltern ist ähnlich hart im Nehmen, wie die ganze Familie meines Vaters mir im Rückblick erscheint. Wahrscheinlich liege ich falsch, weil die meisten viel zu früh gestorben sind, als dass ich mich an Jammern und Beschwerden erinnern könnte.  Ich weiß nicht, wie es wirklich in ihren Köpfen ausgesehen hat. Ziemlich viel Schutt und einiges an Trümmern, vermute ich. Mit meinen eigenen Schuttbergen komme ich gut klar. Notfalls werfe ich einiges davon in die Isar und stelle mir vor, dass die scharfen Kanten durch die Bewegung des Wasser abgeschliffen werden. Mit glatten Steinen in den Taschen, lässt es sich dann ganz gut Leben. Die Schwere der Steine kann ich dann auch verantwortlich machen, wenn ich wie ein Elefant im Porzellan Laden durch anderer Leute Köpfe laute und trötend poltere, dass sie sich nicht so anstellen sollen und wir schon ganz anderes überlebt haben. Wie ein Klammeraffe bleibe ich dann an Kopf und Mensch hängen und helfe still und gar nicht polternd beim zusammen kehren der Scherben. Ich klebe sie auch gerne wieder zusammen, die Teile, die ohne meine Schuld zerbrochen sind. Das kann ich gut. Darin habe ich Übung.

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