Koryphäe mit Bügeleisen

Wikipedia definiert eine Koryphäe als eine Person, die durch außergewöhnliche Leistung hervortritt. Eine Autorität auf ihrem Gebiet. Einen Experten, eine Kapazität. Einen Sachkundigen eben. Wenn ich es auch sonst nirgends bin – beim Packen einer Tasche oder eines Koffers bin ich es. Eine echte Koryphäe. Da können Sie jeden fragen, der schon einmal mit mir verreist ist. Ich bin außerdem – auch das können meine Freunde bestätigen –  auch den Inhalte von Handtaschen und Rucksäcken betreffend bestens ausgestattet. Was auch immer passiert, mit mir an Ihrer Seite ist für jede Eventualität gesorgt. Mückenspray, Pflaster, Tampons, Tempos, Stift, Makeup, Kleingeld und Kreditkarte verstehen sich von selbst. Mit mir können Sie aber auch jederzeit spontan in die Isar springen. Wenn Sie triefend nass ans Ufer klettern, halte ich ein Mikrofaser Handtuch bereit. Und wenn Sie mit mir auf einen Berg steigen, dann habe ich neben ausreichend Wasser und einer Brotzeit natürlich auch für Sie noch ein trockenes T-Shirt und ein zweites Paar Socken im Rucksack. Bevor Sie fragen – ja, auch etwas warmes zum Überziehen. Kurz, auf diesem Gebiet bin ich MacGyver und Chuck Norris in Personalunion. Ich bin großartig. Man sollte annehmen, dass mein Freundeskreis das zu schätzen weiß. Tut er nicht. Seit bald zwanzig Jahren werden von diesem innig geliebten, aber undankbarem Pack Witze auf meine Kosten gemacht. 

Sie hätte den Luftdruck in den Reifen noch etwas erhöht – für meine Gepäck, durfte ich mir letztes Jahr anhören. Was als Witz gemeint war, halte ich für dringend nötig. Schließlich waren wir zehn Tage lang in einer Ferienwohnung und es ist hinlänglich bekannt, dass in Ferienwohnung nie große Schneidbretter, scharfe Messer, eine ordentliche Pfanne und nur selten eine Moka für Espresso zu finden sind. Wir dagegen hatten sie, dank mir, dabei. Warum auch nicht? Wenn man schon nur zu zweit mit dem Auto fährt, dann kann man es doch auch vollpacken. Seit Anhalter selten geworden sind, spricht in meinen Augen nichts gegen die Nutzung der Rückbank für eine Tasche mit Schuhen, die man zwar nicht brauchen wird, aber auch mitnehmen kann, wenn der Platz schon mal da ist. Warum soll ich mich für eine Handvoll Kleider entscheiden, wenn es hinten über den Fenstern doch extra Halterungen für Kleiderbügel gibt und man dort auch einfach zwanzig hinhängen kann. Ok, vermutlich sind diese Handgriffe ursprünglich für etwas anderes gedacht, aber wenn hinten keiner sitzt….. Ich gebe zu, dass die XXL Kühltasche für zwei Personen nicht unbedingt nötig oder vielleicht einfach nicht ganz gefüllt hätte werden müssen. Aber, das muss meine Freundin zugeben, sie hat noch nie so gut an einer Autobahnraststätte gegessen. Lästig war, dass wir dann auch in Italien angekommen noch drei Tage die Reste essen mussten, da hatte meine Freundin Recht. Eine andere Freundin, die mich ebenfalls oft nach Italien fahren darf, hat sich längst an mein Gepäck gewöhnt. Als sie sich im Frühjahr ein neues, sportliches Auto kaufte, versicherte sie mir noch vor Vertragsunterzeichnung, dass der Kofferraum nicht kleiner als der des alten sei. Das war lieb, denn ich hätte ihr nur ungern eröffnet, dass wir für September sonst wohl einen Mietwagen gebraucht hätten. 

Sehen mich Bekannte inmitten meines Gepäcks für einen Urlaub stehen, fragen sie gerne ob ich gedenke auszuwandern. Ich lächle dann nur müde, weil ich das schon hinter mir habe und der mutigste meiner Freunde bezeugen kann, dass mich eine Auswanderung vor völlig andere logistische Probleme stellt. Nicht unlösbar allerdings. Vor einigen Jahren schaffte ich es, mein ganzes Leben in einen alten Passat zu packen. Das geht. Er hat es (ebenfalls mit einen Passat) drei Jahre vor mir auch geschafft. Wenn man muss, dann geht es, keine Frage. Solange aber in einem Koffer oder einem Auto noch etwas Platz ist, nutze ich ihn! An der Stelle sei angemerkt, dass es keine so gute Idee ist, die letzten Lücken eines Koffers mit Büchern zu füllen. Vor einigen Jahren musste ich am Flughafen feststellen, dass mein Koffer etwa acht Kilo mehr als erlaubt gewogen hat. Zurück gelassen habe ich natürlich nichts, aber die 150 Euro Strafgebühr waren eine Frechheit. 

Wenn alle Stricke reißen, dann geht es übrigens noch immer – das Reisen mit leichtem Gepäck. Erst letztes Jahr entschieden wir uns spontan nach der Arbeit für ein Wochenende nach Verona zu fahren. Mein Freund glaubte nicht, dass ich mit nichts sonst als dem was ich anhatte, losfahren würde. Ich bewies ihm das Gegenteil. Hätte ich erst noch gepackt, hätten wir es nicht mehr zum Sonnenuntergang bis zum Brenner geschafft. Bei Sonnenuntergängen setze ich Prioritäten. Einzig um eine Sache bat ich ihn – kurz noch in die Metro, die auf dem Weg zur Autobahn lag, um Knabbersachen für die Fahrt zu kaufen. Für eine Koffer-Koryphäe geht also auch kleines Gepäck. Dass ich in der Metro noch ein Bügeleisen gekauft habe, verriet ich ihm nicht. Und ja….meine Handtasche enthielt bereits Zahnbürste, Make up, Wechselwäsche und Rei in der Tube. Und auch ja…sie ist groß genug um darin ein Bügeleisen über den Brenner zu schmuggeln. 

 

31 Gedanken zu “Koryphäe mit Bügeleisen

  1. Liebe Mitzi, auch wenn deine Freunde dein Talent nur teilweise zu schätzen wissen, deine Leser tun es dafür umso mehr! Denn sonst würde es keine so wundervoll ehrliche Erzählung geben. Auf Geschäftsreisen nahm ich immer meine Dampfbügelbürste mit. Wer einmal im verlassenen Hotelkeller in Saronno gebügelt hat, weiß den Luxus einer Dampfbügelbürste zu schätzen.

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  2. Ich vermag zwar Koffer zu füllen, bin aber begabt, irgend etwas offenkundig Unverzichtbares zu vergessen. Einst, mit Kindern, war das so eine Sache. Aber es gab ja die Schwiegermutter. Die nach Südfrankreich nicht nur den Dampfkochtopf und einen Sack Kartoffeln mitnahm, denn wer weiß, was letztere erdige Frucht im Frankenreich so kostet und wo man sie ergattern kann… Man kann so ein Auto wirklich füllen. Und das Beste, der Witz daran? Wir reden nicht einmal von einem Campingurlaub, sondern vom Urlaub in einem vollausgestatteten Haus. Und von einem VW-Bus!
    Aber den genannten Fehler auf Flugreisen habe ich dann doch vermieden. Sorgfältig wurde das Gepäck noch mal an den Haken der Waage – so eine für Angler – gehängt! Nö, die wollen schon genug Geld von mir, das nicht auch noch! Aber auf der letzten Reise habe ich doch etwas ganz in dem Sinne des BEschriebenen dazugelernt, als nämlich nach einem Zwischenstopp unser Gepäck fehlte – man nehme immer, die Betonung liegt genau auf diesem immer, Zahnbürste und Unterhose mit in der Handtasche, womöglich sogar in irgend eine Tasche der Kleidung gestopft, mit!

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    1. Kartoffeln hatte ich noch nie dabei – aber ich glaube dass das vor einigen Jahren noch nicht unüblich war. Zumindest bei jenen, die sehr skeptisch über Preise und Ausstattung von fremden Supermärkten waren.
      Der letzte Tipp ist gut. Ich hab mir das schon oft gedacht, aber nie gemacht. Bisher hatte ich Glück.

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  3. Liebe Mitzi,

    es spricht rein gar nichts dagegen, in den Urlaub scharfe Messer und ordentliche Pfannen mitzunehmen. Ich hatte einmal ein Sofa dabei. Zugegeben, es war nur ein Rattansofa, aber die Sitzgelegenheiten auf der Hütte waren mehr als bescheiden und schließlich, seit die Anhalter so selten geworden sind und in einem Auto mit zwei Personen durchaus noch ein Platz für ein Sofa auf der Rückbank gibt …

    Ich würde Dich und Deine Urlaubs-Survival-Skills jedenfalls immer zu schätzen wissen 🙂

    Alles Gute
    Mira

    P.S.: es gibt übrigens auch Reisebügeleisen. Habe meins leider vor ein paar Jahren verloren.

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      1. Ich hätte einen QR Code mit der Bitte um Meldung darauf anbringen sollen (wie bei den „Büchern auf Reisen“). Dann hätte jeder, dem mein ausgerissenes Bügeleisen über den Weg gelaufen wäre, eine Notiz auf der Homepage mit dem Erinnerungsfoto von dem Bügeleisen schreiben können.

        So bleibt mir nur die Erinnerung davon und die Fantasie, dass mein kleines Bügeleisen vielleicht schon vor dem Eiffelturm posiert, an dem schiefen Turm von Pisa vorbeigeschlittert und in einer Gondel in Venedig Platz genommen hat 🙂

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      2. Vielleicht pirscht es auf leiser Sohle durch einen Urwald, wo keines Menschen Auge seiner ansichtig wird… Es wäre wirklich spannend, wenn man eine Ahnung hätte, wo es sich herumtreibt. Zumal die Reiseaktivitäten allein reisender Reisebügeleisen noch überhaupt nicht erschöpfend erforscht sind. Da wir nichts Gegenteiliges wissen, können wir ja mal getrost davon ausgehen, dass es eine Koryphäe im Finden und Aufsuchen immer neuer Reiseziele ist. 😉

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    1. Liebe Mira,

      mittlerweile besitze ich ein Reisebügeleisen ;).
      Mit dem Rattansofa schlägst du mich um Längen! Aber ich kann absolut verstehen, warum man ein solches auf die Rückbank packt. Jeder hat seine Prioritäten und wenn die beim bequemen Sitzen (nachvollziebar) liegen, dann unbedingt mitnehmen 🙂
      Liebe Grüße

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  4. Liebe Mitzi,
    es klingt unglaublich (aber meine Frau kann es bezeugen, die übrigens auch eine Handtaschen- und Reisegepäck-Koryphäe ist!)
    GESTERN fiel in unserem Gespräch in einem anderen Zusammenhang das Wort Koryphäe.
    Das ist ja auch ein „besonderes“ Wort, sage ich zu meiner Liebsten, und dass ich darüber mal einen Blogartikel schreiben müsse.
    Danke, dass Sie es mir abgenommen haben, den Artikel zu schreiben.
    Ich hätte auch nicht so wundervolle Beispiele gehabt. Und sagen Sie ihrem innig geliebten, aber undankbarem Pack, das denen einfach der Scharfblick fehlt, eine wahre Koryphäe zu erkennen.
    Aber die sind ja noch jung und lernfähig – das wird schon noch. 😉

    Gruß Heinrich

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    1. Lieber Heinrich, ich finde Sie sollten unbedingt über das hübsche Wort ebenfalls schreiben. An Koffer und Handtaschen hätten Sie dabei wahrscheinlich nicht gedacht.
      Dem innig geliebten Pack werde ich es ausrichten 😉
      Herzliche Grüße – auch an Ihre Frau, dank deren Taschen es Ihnen an nichts mangeln wird.

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  5. ob man einen pack-profi koryphäe nennen kann, darf, sollte, ist die eine frage. und die andere, ob das profi-tum sich nicht eher darin ausdrückt, das verzichtbare auch tatsächlich weg zu lassen. ein bügeleisen, wenn man es denn tatsächlich braucht, kriegt man sowohl in gut sortierten hotels, als auch auf campingplätzen.
    bei uns, jahrelange camper, begann es so, dass ich – aufgrund der sich über die jahre ergebenden liste – drei bis zwei wochen vor urlaubsbeginn die sachen im wohnzimmer aufzustapeln begann. zuletzt war alles (zelt, kochutensilien, persönliche habe etc.) soweit zusammen, dass es sich auf der ladefläche des vw UNTER der schutzhaube verbarg. nix rückbank. da waren die kinder.
    es hat uns nie wirklich etwas gefehlt. und WAS uns vielleicht gefehlt haben könnte, haben wir weg-improvisiert.

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    1. Ich will gar nicht anzweifeln, dass man auf einen Großteil des Gepäcks verzichten kann und natürlich kann man fast alles auch vor Ort leihen oder kaufen.
      Wenn es hart auf hart kommt, dann kann ich das auch. Aber wenn Platz ist, dann ist es für mich einfach entspannter mehr mitzunehmen. Aber du hast recht – wann immer ich merkte, dass doch was fehlt….schlimm ist es nie gewesen ;). Ob ich in diesem Leben das Packen noch lerne…ich fürchte fast nicht.

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  6. Wow! Ein Bügeleisen über den Brenner schmuggeln…
    Ich stelle mir gerade Mitzi vor, wie sie lebhaft Bügeleisen auf einem Marktplatz in Verona an einheimische Meistbietende verkauft. Na ja, ich hab gut reden. Habe noch nie eins von diesen Dingern besessen… 🙂

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  7. bei dem text wurde mir ganz warm ums herz. mit dir würde ich sofort überall hin auf urlaub fahren. und: „Hätte ich erst noch gepackt, hätten wir es nicht mehr zum Sonnenuntergang bis zum Brenner geschafft. Bei Sonnenuntergängen setze ich Prioritäten.“ du schreibst mir aus dem herzen 🙂

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      1. ich glaube, das ist eines der schönsten komplimente, die du mir machen konntest ❤ wir müssten uns zwar vielleicht einen anhänger mieten, aber ich denke, dann bringen wir beide unsere schuhtaschen unter 😉

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      2. Entweder der Anhänger oder wir gehen vor Ort in einen Laden ;). Oder Barfuß. Wie auch immer, ich glaub wir hätten eine gute Zeit 🙂

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