U-Bahn Gedanken in Kategorien

 „Halten Sie Abstand zu anderen Fahrgästen“ bittet der Münchner Nahverkehr und spricht das aus, was sich die meisten Fahrgäste auch schon vor Corona täglich dachten. Kaum einer wird sich die strikten Ausgangsbeschränkungen zurück wünschen, aber wenn man die Pendler fragt, dann würden sie beim Gedanken an Bus und U-Bahn zu Corona Zeiten vermutlich verklärt lächeln. Es war schon schön…so leer. Ok, eigentlich war es gruselig, aber zurück schauend erinnert man sich meistens nur an das schöne. Beim MVG an die Leere. Damit ist es jetzt wieder vorbei und die Anweisung, doch bitte Abstand zu halten ist schlicht unmöglich. In Bus und Bahn herrscht wieder Normalität. Sie sind wieder da. Alle. 

Kategorie 1 – der Durchschnitts-Depp

Mit Abstand die schlimmsten. Glauben Sie nicht? Dann stellen Sie sich vor Sie sind ich. Dann sind sie 1,615 m groß und tragen auf dem Weg in die Arbeit meist flache Schuhe. Sie sind damit etwa 22 cm kleiner als der durchschnittliche Münchner. Dessen Körpergröße beträgt nämlich 1,832 m und er gehört nach den Hamburgern zu den größten Männern der Bundesrepublik.  Praktisch ist so ein Münchner wenn er Ihnen etwas vom Regal ganz oben holen soll. Unpraktisch, ja sogar unverschämt, wenn so einer mit Rucksack vor Ihnen im Bus steht. Bei jedem Bremsen und Anfahren haben Sie dann nämlich rauen Stoff im Gesicht. Eine Studie über die Größe des durschnittlichen männlichen Gehirns habe ich nicht gefunden. Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, dass die Münchner da auch auf Platz 2 landen würden. Sonst hätten Sie längst kapiert, dass man Rucksäcke auch abnehmen kann. 
Da ich an den Stellschrauben der Intelligenz nichts ändern kann, habe ich versucht mich größer zu machen. Leider verbieten sich hohe Absätze beim Fahrstil des durchschnittlichen Münchner Busfahrers. 

Kategorie 2 – Primaten

An denen ist die Evolution vorbei gegangen. Gerade erst vom Baum geklettert, immer paarungsbereit und in beständiger Sorge um die primären Geschlechtsorgane. Sie behelfen sich durch das weite Spreizen der Beine um den armen, arg eingeklemmten Organen den nötigen Platz zu verschaffen. Besonders angenehm ist eine Sitzhaltung bei der  mit dem Hintern auch noch etwas nach vorne gerutscht wird und so statt einem gleich dreieinhalb Plätze in Bus und Bahn in Beschlag genommen werden. 

Kategorie 2a – Primaten mit Hirn

Ersetzen Sie die Beine durch Arme und drücken Sie dem Exemplar eine Ausgabe der Süddeutschen, FAZ oder Welt in die Hände. Der Fokus liegt weniger auf der Platzbeschaffung der eigenen Körpermitte, hat aber auf andere Fahrgäste den gleichen Effekt. Fremde Ellbogen in der Taille und Zeitungsseiten im Gesicht. 

Kategorie 3 – der irgendwie putzige Vollidiot

Kategorie 3 ist meine liebste und zugleich die exotischste. Einen richtigen Vollidioten sieht man in Bus und Bahn selten. Es handelt sich hierbei um Typen die etwas so schräges machen, dass man sie völlig fasziniert beobachtet und ihnen nicht böse sein kann. Letzten Sommer konnte ich einen beobachten. Er stand in der S-Bahn und jonglierte. Besser, er versuchte es. Es gelang ihm nicht und über zehn Stationen hinweg sah man ihm auf allen Vieren zwischen den Fahrgästen seine Bälle einsammeln. Man würde schon gerne wissen, was in so einem Kopf vor sich geht. Es ist einem ja fremd, wie einer auf so eine saublöde Idee kommen kann.

Kategorie 4 – die Atmenden

Evolutionär haben uns diese, meist weiblichen Exemplare bereits deutlich überholt. Die verbale Kommunikation haben sie hinter sich gelassen und an ihren verwunderten Gesichtern erkennt man deutlich das Unverständnis, dass die breite Masse sie nicht mehr zu verstehen scheint. Es handelt sich um die Atmenden. Man erkennt sie am Augenrollen gepaart mit tiefen Atemzügen. Das erste kaum sichtbar, vom zweiten erwartend, das der Verursacher merkt, wie sehr er sie gerade belästigt. Im Fall des jonglierenden Vollidioten nachvollziehbar, oft aber ein Rätsel. In schlimmen Fällen vermutet man bei anhaltenden schnaubenden Atemzügen auch gerne Asthma. Die Symptome sind ähnlich.

Kategorie 5 – Neu dabei, der Mund-Nasen-Schutz unter dem Kinn Tragende

Die mag ich besonders gern. Sie vereinigen alle obigen Exemplare in einem. Zunächst einmal der, der seinen Mund-Nasen-Schutz unter das Kinn gezogen hat. Das ist der Vollidiot, weil er es einfach nicht verstanden hat. Weil er aber irgendwie so gar nicht putzig sondern reichlich egoistisch ist, gehört er zugleich zu den Primaten. Um ihn herum alle vorher beschriebenen Exemplare. So komprimiert auf einem Haufen sieht man sie selten. Die Atmende schnaubt ihm mittels asthmatischen Atemzüge (derzeit abgeschwächt durch die Maske) ihr empörtes Unverständnis ins Ohr. Der Zeitungsleser versteckt sich hinter den Blättern der SZ.

Schön dass sie alle wieder da sind. Die fünf Kategorien und die 99 % der unauffälligen Fahrgäste. Ich habe sie alle vermisst.  

24 Gedanken zu “U-Bahn Gedanken in Kategorien

  1. Liebe Mitzi,
    es ist einfach genial, wie Sie die Unterirdischen beschreiben!
    Sollten Sie eines Tages in eine Gegend ziehen, in der es keine U-Bahn und keine Öffis gibt und mit PKW, LKW, 2-Rad oder Roller am restlichen Straßenverkehr teilnehmen, werden sich weitere Abgründe öffnen, die Sie dann hoffentlich auch unter ihre liebenswerte Lupe nehmen!
    Ich habe heute wieder ein paar bescheuerte Autofahrer getroffen, die in Ihrer U-Bahn auch ein bemerkenswertes Bild abgeben würden.
    Ein großer Teil der Menschen ist einfach lächerlich oder macht sich auf eine Art und Weise lächerlich, über die wir Normalos gar nicht mehr lachen können.
    Naja, ich gehe davon aus, dass wir uns immer vorbildlich verhalten. 😉
    Gruß Heinrich

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    1. Lieber Heinrich, ich gestehe Ihnen jetzt, dass ich nur mit den Öffentlichen fahre, weil ich in PKW, LKW oder Roller selbst ein bis zwei Kategorien füllen würde und ein arge Belastung für andere Verkehrsteilnehmer wäre. Im Bus bin ich unauffällig und kann ein wenig über die anderen schimpfen. Kein feiner Zug von mir, aber ich kann es mir leider nicht verkneifen.
      Herzliche Grüße
      Mitzi

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  2. Danke Mitzi,
    für den erhofften und erbetenen Lagebericht aus dem Öffentlichen Nahverkehr. Deine Typologie der Fahrgäste ist studienreif.
    Bemerkenswert finde ich das Zeitunglesen in Deiner örtlichen Beobachtung. Hier bin ich meist der einzige Zeitungsleser in der U-Bahn, während sich die meisten anderen platzsparend auf ihr Smartphone konzentrieren – vielleicht mit der Online-Zeitung.
    Unsere Nürnberger Nachrichten sind in gedruckter Version gut halb so groß wie die Süddeutsche und daher vielleicht etwas umgänglicher in Bahn und Bus.
    Danke, wie Du hier im Blog Deinen Platz einnimmst und besprichst.
    Gute Fahrzeit und herzliche Grüße, Bernd

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    1. Lieber Bernd, auch hier bei uns werden die Zeitungsleser immer weniger. Eigentlich gefällt es mir sogar viel besser, noch Papier rascheln zu hören, als nur Displays leuchten zu sehen. Am Umblättern müsste man halt arbeiten ;).

      Herzliche Grüße und auch dir immer gute Fahrt.

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  3. Die Kategorie 5 sieht man nicht nur in den Öffis, die ich sehr selten benutze, sondern auch auf Gehsteigen. Sind sie zu blöd oder nur zu faul die Gesichtswindel gänzlich abzunehmen, frage ich mich dann. Von der Ästhetik ganz zu schweigen… 😉

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  4. Parallel zum Primaten (dass die, also wir, immer so niedergemacht werden? Aber Affe ist ja ein Schimpf-, Schnecke ein komisches Kosewort…) fehlt mir die Primadonna.
    Den JOngleur kann ich schon verstehen. Der übt halt für seine Nummer im Zirkus. Auf dem Trapez oder irgend einem beweglichen Trumm. Eigentlich ja mit brennenden Fackeln…
    Als blöd empfundene Modeerscheinungen bekommen plötzlich ein völlig anderes Gewicht und Gesicht – PLateausohlen wurden vielleicht für den Londoner und Pariser Nahverkehr erfunden?
    Kurzum, die Nahto.., sorry, Nahverkehrsforschung hat hier einen Anstoß bekommen, aber da ist noch Vieles, so viel Unbekanntes offen! Mutig weiter voran in den Dschungel, aus dem ich zugegebenermaßen feige floh.

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    1. Eigentlich hast du recht. Primaten als Schimpfwort ist nicht schön. Zumal wir ihnen ja doch recht nahe stehen. Es ist ein sooo weites Feld, diese Typen. Nicht nur in der Bahn…überall und ich mag sie. Sie gehen mir auf die Nerven, aber ohne wäre es viel weniger bunt.

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  5. Ich bin ja eigentlich sonst nicht so… ich meine, Du weisst schon, von wegen Gender und so… Aber irgendwie fühle ich mich hier als Mann… ok, es gibt da auch die Atmenden, aber Du musst zugeben, dass Du hier doch…
    Ach was, lassen wir das. Es ist einfach ein Genuss, Deine Analysen zu lesen. Da verzeihe ich Dir eine gewisse genderbedingte Schlagseite 😂

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    1. Du hast schon recht. Noch vor deinem Kommentar habe ich von meinem engsten Freund den gleichen Hinweis bekommen und heute seine Anmerkung (weil sie mir eh gefiel) gleich als Nachschlag veröffentlicht.
      Ich muss da ein bisschen mehr aufpassen. Für mich ist es so selbstverständlich, dass ausnahmslose jede Unart oder jeder Vorzug bei beiden Geschlechtern vorkommen kann, dass ich beim Schreiben zu oft darüber hinweg gehe. Manchmal führt es dann zu einem Ungleichgewicht, dass gerade im geschriebenen Wort nicht mehr sein sollte. Daher…danke, ich werd besser darauf achten.
      Liebe Grüße

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      1. Keine Sorge, liebe Mitzi, ich habe echt kein Problem, wenn Frauen sich auf kreative Weise satirisch mit unseren (männlichen) Schwächen auseinandersetzen… wir sind ja oft auch echt zum Heulen 😢😂
        Ich hoffe einfach, Du kannst den besten Deiner Freunde vor Magengeschwüren bewahren 😊

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  6. Liebe Mitzi, ein Tipp für dein nächstes Leben: Werde 2,20 m groß, dann hast du zwar leider viele andere Probleme, aber die U-Bahn-Stänkerer kannst du um Haupteslänge überragen.
    Als ich noch berufstäglich mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs war – schon viele Jahre her – war es leider auch schon so.
    Liebe Grüße zu dir

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  7. So eine feine Typologie kann nur eine erfahrene U-Bahn-Mitfahrerin wie du schreiben, liebe Mitzi. Am besten hat mir der Jongleur gefallen. Für den „Primaten mit Hirn“ gäbe es eine probate Falttechnik, zumal die SZ sechspaltig ist, einmal längs, einmal quer, dann lässt sich die Zeitung wie ein Buch lesen. Aber dann kann man seine Mitmenschen nicht mehr so saublöd triezen.

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