Balz

Seit ein paar Tagen sitzt meine Freundin Nele auf meinem Sofa. Das ist schön, aber auch ein wenig gewöhnungsbedürftig, da wir derzeit meist zu dritt darauf sitzen und sie sich den Platz zwischen mir und dem Mann an meiner Seite reserviert hat. Es ist ok, dass es derzeit der Mann an ihrer und nicht meiner Seite ist, und er und ich an den nicht von ihr besetzten Flanken eine noch winterkalte Wand zum anlehnen haben. Nele ist kälter als uns und ein bisschen Wärme kann sie gut gebrauchen. Ihr Winter war hart und ich habe ihr versprochen, dass sie sich bis zum Frühling, ein wenig bei mir aufwärmen kann. Neles Winter beinhaltete eine zwischenmenschliche Eiszeit. Eine solch frostige Klimaperiode führt ab und an dazu, dass ein Paar, den Frühling nicht mehr gemeinsam erlebt. Oft ist ein Teil des früheren Paares erleichtert und der andere erst einmal in Schockstarre. Tiefgefroren sozusagen. Nele taut langsam auf. Oder, wie eine andere Freundin gestern Abend meinte, sie erreicht langsam wieder ihre Betriebstemperatur. Wenn dem so ist, dann müssen wir dringend über die Platzverteilung auf meinem Sofa sprechen.

Es ist Frühling. Obwohl es mittlerweile wieder hell ist wenn ich nach Hause komme, merke ich den Frühling jenseits von Temperaturen und Sonnenauf- und untergänge. Die Balz hat wieder begonnen. C einer meiner liebsten Blogger, ist aus dem Winterschlaf erwacht und kümmert sich wieder um das Wesentliche. Dating. Auch in meinem Freundeskreis hat es begonnen. Nele hat ihre Betriebstemperatur wieder erreicht, was in  ihrem Fall bedeutet, dass sie wieder auf der Balz ist. Rutsch, sagte ich gestern Abend und schnappte mir den Platz in der Mitte des Sofas. Die Balz ist ein in unseren Genen verankerter Urinstinkt und bei Instinkten, gehe ich kein Risiko ein. Wikipedia erklärt nicht  umsonst, dass bei dauerhaft paarbildenden Arten der Begriff „Balz“ meist für Verhaltensweisen verwendet wird, die unmittelbar der Begattung vorausgehen. Nicht auf meinem Sofa und nicht mit meinem Mann. Da der Begriff der Balz in einem erweiterten Sinn auch für Verhaltensweisen gebraucht werden kann, die als Elemente zur Förderung des Paarzusammenhaltes gedeutet werden kann, gehört die Mitte des Sofas wieder mir. Um Nele muss ich mir keine Gedanken mehr machen. Sie läuft sich bereits wieder warm. Viele Tiere haben eine spezielle Balztracht, also einen Körperschmuck, der speziell zum Balzen eingesetzt wird, sagt Wikipedia und ich gebe ihm Recht. Nele trägt wieder Lippenstift. Molche verfärben sich in der Balz, meine Freundin lackiert sich die Nägel. Häufig balzen die Männchen einzeln vor dem paarungsbereiten Weibchen, hier bei mir, verlässt mein Freund seit gestern fluchtartig den Raum, wenn Nele ihn betritt. Bei Birk- und Beifußhuhn versammeln sich die Männchen zur Balz, der Mann an meiner Seite lädt sich zur Unterstützung einen Bekannten ein, als Nele zu lahnen beginnt. Wikipedia erklärt, dass unter lahnen sowohl das Futterbetteln von Jungvögeln als auch das ritualisierte Futterbetteln des paarungsbereiten Weibchens gegenüber dem Männchen verstanden wird. Nele klaut derzeit Weintrauben Käsestücke von fremden Tellern.

Paarungsbereitschaft resultiert aus der verstärkten Bildung von Geschlechtshormonen. Deshalb, und nur deshalb, weil dies ein rein biologischer, nicht zu steuernder Vorgang ist, antworte ich auf Neles Frage, ob der Typ auf meinem Sofa und ich jetzt wirklich so richtig zusammen sind. Seit geraumer Zeit erkläre ich und verdrehe die Augen als der auf dem Sofa schmunzelnd zunächst eine genaue Definition dieses Zustandes einfordert. Im Gegensatz zum Tierreich ist die Balz in meinem oder besser seinem Fall ein wenig komplizierter. Neben der Signalisierung von Paarungsbereitschaft, dient sie der Überwindung der Individualdistanz, die bei dem Mann der anfangs nur auf einen Wein vorbei kam, ungewöhnlich stark ausgeprägt ist, erkläre ich Nele. Eine Unterschreitung der Individualdistanz ohne vorhergehendes – von ihm expliziert genehmigtes – Balzverhalten führt bei diesem außergewöhnlichem Exemplar zu sofortigem und dauerhaftem Rückzug. Bei Typen seiner Gattung, erfordert es der Beschwichtigung. Weniger weil er dem Weibchen körperlich nur selten nahe kommt. Einvernehmliche Begattung ist hier durchaus gewünscht. Anders als beim Molch erfordert es bei ihm jedoch der vorsichtigen und geduldigen Beschwichtigung und Überwindung der geistigen und insbesondere emotionalen Schranken. Angenehm aber, dass die Paarungsbereitschaft dieser Spezies – ist man erst einmal an diesem Punkt – anders als bei anderen Säugetieren nicht an feste Paarungszeiten gebunden ist. Er steht auf und geht in die Küche.

Heute scheint die Sonne und Nele hat, geschmückt im prächtigsten Balzgewand, mein Sofa verlassen. Der Mann, der noch darauf sitzt schaut mich lange und ernst an. Molch, fragt er und scheint nachzudenken. Nach einer Weile erkundigt er sich wie ein Beifußhuhn eigentlich aussehen würde. Ich  hätte ihn vielleicht besser mit einem Löwen, einem Silberrücken oder sonst einem stattlichen männlichem Tier vergleichen sollen. Im Balzen war ich aber noch nie besonders gut. Er dagegen schon – an einen Molch denke ich dabei übrigens nicht. 

Das Beitragsbild ist von meiner Nichte und viel schöner, wenn ich nichts darauf klebe. Ein Beifußhuhn ist das sicher nicht. Aber etwas, das mir sehr gut gefällt. Danke, Schneckerl. (Instagram rose.d.art)

22 Gedanken zu “Balz

  1. Als nur beiläufige Liebeserklärung geht der Text nicht ganz durch. Obwohl er ohne bei_läufig nicht auskäme. Aber wahrscheinlich hat er genügend schöne Ansätze, die außerdem den mit dem Wein nicht vor den Kopf stoßen täten sondern zu ‚Zurückhaltung‘ animieren, schätz‘ ich mal. Und ja. Die Balz Jagd hat begonnen. Unüberspürbar Frühjahr. Ich geh jetzt auf den Bauernmarkt, der ist immer Samstags. Schönes Wochenende ;-!

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      1. Vollkommen richtig. Heute war Bauernmarkt, bin gerade noch rechtzeitig zurückgekommen. Gestern abend. Motorradausflug nach Kroatien ab Dienstag (nötig, weil Sterbefall und Bus bzw Fähre nicht rechtzeitig zur Beisetzung angekommen wären). Eher winterliche Bedingungen, zumindest bei der 2maligen Überquerung des Velebit. Daher vermutlich auch heute auf dem Markt: Nix mit Anbahnungsamore, leider, weder bäuerlich noch im Kopf – lag wahrscheinlich zum großen Teil an der eher düsteren Stimmung, nix Sonne, bißl nieseln bei vllt 10 ° oder so. Gratuliere zu mehr Frühling ebendort 😉 …
        … und kommende Woche ist sicher alles auch hier wieder balzmäßig offen: ab 1. März (blödes Schaltjahr, ausgerechnet samstags… morgen ist ja kein Markt) sind wieder Tische vor den Lokalen genehmigt – da gibt’s, falls sonnig, wieder jede Menge Balzgetier in beiden Geschlechterrollen *freu* … sie sind ja so süß dabei und merken’s meist nicht einmal … 😉

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      2. Oje, so ein winterlicher gezwungener Motarradausflug ist eh schon nicht schön – aus dem Grund noch viel weniger. Da hilft der Markt dann auch nicht.
        Aber bald ist er unaufhaltsam, der Frühling. Langsam wird es auch Zeit. Ich freu mich auf das Beobachten der Balzenden und werde mich – natürlich nur aus Recherchezwecken – auch gleich beteiligen 😉

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      3. Mir scheint, Frau Mitzi, unsere Vorlieben für die Balz ähneln einander ein wenig 😉 …
        Was den Moppetausflug betrifft: er hilft der Balz ungemein – seit der erfolgreichen (Straßen)Kurvenjagd, sind meine Hüften wieder eindeutig weit beweglicher, was der zukünftigen Entsagung der obligaten Winterschokis durch zu erwartendes positives Körpergefühl die geschwollenen Nieren bestimmt weiter reduzieren hilft – und die Badesaison in der Adria hat immerhin ebenfalls bereits begonnen … so hatte der Anlaß auch seine schönen Seiten – bis auf die derbe Optik halt 😉

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  2. „Molche verfärben sich in der Balz, meine Freundin lackiert sich die Nägel. “
    Dieser erste Satz, liebe Mizi, ist sooooo gelungen, mit ihm könnte ich mir die Eröffnung eines Leseabends vorstellen: das Publikum, still in Erwartung nach vorn schauend; Du sprichst diesen Satz – und machst ein Pause von nur wenigen Sekunden…
    Herrlich! 🙂

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  3. das bild ist sehr sehr schön und dein text. hach. danke für das viele schmunzeln und natürlich, die lehrreichen zwischenspiele, genau so sind wir wohl, wir menschen. und nele kann sich sehr glücklich schätzen, dich als freundin zu haben. muss ich ja eigentlich eh nicht extra dazu sagen, oder 😉 ?

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      1. aus eigener erfahrung denke ich, dass man die menschen, die nicht immer das sagen, was man grade hören möchte, langfristig trotzdem besonders schätzt :-*

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  4. Es war einfacher, als die Paarungszeiten fix an die (weibliche) Fortpflanzungsfähigkeit gebunden und durch klare, z.B. dick und rot geschwollene Hinterbacken, die seither durch allerlei andere rötliche Signale ersetzt werden, signalisiert wurden. Sehr viel einfacher. Logischerweise hat die Paarungsbereitschaft seither sehr viel von ihrem Hauptzweck verloren, der bei vergessener Einnahme kleiner Tablettchen immer noch droht, sondern dient mehr und mehr der Paarbindung. Wenn’s gut läuft. Zu dieser Erläuterung eignen sich freilch weder Bergmolch noch Raufußhuhn. Und aus irgend einem Grund scheuen sich die Leut‘, sich mit Bonobos zu vergleichen, aber die treibens für unsere Begriffe ja auch gar zu bunt… Also, eigentlich und so ist das ja schon nett, wenn es nicht mehr nur um den Zweck der Fortpflanzung geht. Problem im einen wie im anderen Fall ist, dass bei all den vielen Geschöpfen, bei denen von einer exklusiven Paarbindung, quai Einehe, gesprochen wird, auch das Fremdgehen nicht unbekannt ist, ob Schwan, ob Adler, Mensch oder – gibt es Ausnahmen? Vermutlich nur, wenn es keine exklusive Paarbildung gibt und keiner auskann, siehe Nacktmull. Aber schon wieder einer, mit dem sich keiner vergleichen mag.
    Das bleibt uns also mit und ohne Vergleiche weit draußen im Reich der Zoologie ein schwieriges Thema. Für immer. Und auch das ist, außer man sitzt grad alleine auf der Couch, vielleicht wieder gut so.

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  5. Molche verfärben sich in der Balz. Ja nicht nur das. Molche, lese ich auf Wikipedia, besitzen die Fähigkeit, Gliedmaßen und Organe nach Verletzungen oder Verlust zu regenerieren. Also irgendwie…

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