Klug im Sturm

Der Mann, der ab und zu mit einer Flasche Wein vor meiner Türe steht hat sich in die Badewanne gelegt. Eigentlich macht er das in seiner Wohnung, da ich ihm heute aber deutlich zu verstehen gegeben habe, dass mich seine Anwesenheit zwar freut, ich das aber erst in ein bis zwei Stunden zeigen kann, suchte er sich einen gemütlichen Ort für die Wartezeit. Mir ist es ganz recht, so kann ich schnell noch eine E-Mail an meinen Chef schreiben. Montag und Dienstag müssen er und meine Kollegen auf meine Anwesenheit im Büro verzichten. Im noch frischen, neuen Jahr werde ich nämlich ein Jahr älter werden und diesmal möchte ich alles daran setzen auch klüger zu werden.

Morgen, am Montag fange ich an und werde ausnahmsweise einmal nicht frierend, müde und sinnlos am S-Bahn Gleis stehen. 2020 werde ich auf Ratschläge hören und wenn der Münchner Nahverkehr – ganz untypisch für ihn – schon 24 Stunden vorher ankündigt, dass am nächsten Morgen nichts mehr gehen wird, dann glaube ich ihm. „Es ist davon auszugehen, dass auch der Regional- und S-Bahverkehr in Bayern davon betroffen sein wird. Wir empfehlen unseren Reisenden von Sonntag, 09.02.2020 bis Dienstag, 11.02.2020 ihre geplante Reise auf einen anderen Tag zu verschieben.“ Eigentlich hatte ich, wie jeden Montag geplant zu meinen Arbeitsplatz außerhalb der Stadt anzureisen. Jetzt werde ich es, wie man mir rät, verschieben. Der Mann in der Badewanne kann das leider nicht. Er reist mit der U- und nicht mit der S-Bahn und da gibt es keine Reisewarnung. Obwohl die auch nicht geschadet hätte. Leichtsinnig wie der Badende war, kam er auf die irrwitzige Idee mit der U-Bahn zu mir zu reisen. Ökologisch macht das durchaus Sinn, da wir an der gleichen Linie wohnen und unsere Wohnungen nicht weit von der U-Bahnstationen liegen. Logistisch allerdings nicht, da seit etwa vier Jahren am Wochenende am Sendlinger Tor gebaut wird und sich eine eigentlich 12 Minuten dauernde Fahrt ohne Umstieg, so locker auf mal eben auf 90 Minuten, drei Gleiswechsel und eine Bonusfahrt mit der Tram ausweiten kann. 

Meine Mail habe ich geschrieben, bin also in Sicherheit und kann mich um all jene kümmern, die vielleicht noch gar nicht an das herannahende Unwetter dachten. Mein Nachbarn Herrn Meier zum Beispiel. Dem muss ich unbedingt noch sagen, dass er heute Nacht sein Windspiel vom Balkon reinholen muss. Die Eisenstäbe verwandeln sich, wenn sie vom ersten Stock auf die Straße fliegen, in etwas das nicht mehr nur scheußlich, sondern auch gefährlich ist. Dass es, wie Herr Meier schmunzelnd vermutet, schon einen richtigen treffen wird, meint er zum Glück nicht ernst und räumt das Ding weg.  Bei Frau Obst neben mir, räume ich selbst. Zähneknirschend, weil es ihr nicht gefällt, dass ihre Kräfte schwinden, hat sie mich um Hilfe gebeten und ich trage ihre Gartenstühle in den Keller. Quer durch das Treppenhaus schreit sie mir Anweisungen hinterher, denen ich nur mit halbem Ohr lausche. Ein paar Gartenstühle kann ich auch ohne Bedienungsanleitung tragen. Weil ich schon unterwegs bin, läute ich dann auch noch im Hinterhaus bei Paul und teile ihm mit, dass ich mich um seinen Sonnenschirm, den er weil die Winter immer milder werden, seit Jahren ganzjährig stehen lässt, sorge. Der zuckt mit den Schultern, räumt ihn aber rein. Halten Sie mich bitte nicht für jemanden der sich jetzt permanent einmischt. Ich bin seit der Geschichte mit dem Gartenzwerg  einfach ein wenig vorsichtiger geworden. Und, so hoffe ich, auch klüger. 

Letzteres bezweifelt, der mittlerweile wieder trockene Mann, der mir die Tür zu meiner Wohnung öffnet. Ich hatte sie, als ich meine Tour durch das Haus startete nur angelehnt und nicht richtig ins Schloss gezogen. Etwas, das bei aufkommenden Wind unklug ist und von meiner umsichtigen Nachbarin bemerkt wurde. Judith teilte meinem Freund vor der Badezimmertüre stehend mit, dass sie die Türe jetzt schließen würde. Frau Obst, die noch eine Frage wegen ihrer Gartenstühle hatte, stand wohl neben ihr und erkundigte sich durch die geschlossene Badtüre ob er, der da bei offener Wohnungstüre in der Wanne liegen würde, auch sicher kein Untermieter sei, denn das wäre nicht gestattet. Soweit ich weiß hat keine der beiden die Tür des Badezimmers geöffnet und die etwas genervte Laune des Badenden war sicher dem heraufziehenden Sturmtief geschuldet. 

Er ist jetzt wieder weg und steht vermutlich seit einer Stunde am Sendlinger Tor. Mein Aktionismus, hätte ihn daran erinnert, dass bei ihm im fünften Stock noch der Grill und zwei gelbe Säcke für den Wertststoffhof am Balkon stehen. Ganz ehrlich, ich glaube ihm nicht so ganz. Ihm herrschte einfach zu viel Trubel bei mir. Mein Chef hat auch geantwortet. Kein Problem, ich müsse mir nur morgens noch mein Notebook holen, dass, sofern er sich richtig erinnere Freitagnachmittag noch an meinem verweisten Schreibtisch lag. Scherzkeks. 

Morgen werde ich also ähnlich Fotos wie das hier von letzter Woche posten und kein bisschen klüger als heute sein. Obwohl….das mit dem Gartenzwerg, so was passiert mir wirklich nicht mehr. 

27 Gedanken zu “Klug im Sturm

  1. Leider bekomme ich den Faden zum Gartenzwerg gerade nicht zu fassen, wahrscheinlich ist es meiner gerade nur sehr sporadischen Anwesenheit in Bloghausen geschuldet?! Wie auch immer noch, dieser Sturm baut sich hier langsam auf. Auch wir hier haben „Flugware“ reingetragen, besser ist das. Die uralte Linde mit ihren tiefen, uralten Wurzeln wird auch diesen Sturm überleben, die alten Fichten habe ich freundlich darum gebeten und wenn sie sich wirklich nicht halten können, dann bitte in Richtung Wiesen zu fallen und nicht auf mein Dach.
    Mögen wir alle gut beschützt und klug sein und immer noch klüger werden, Gartenzwerge hin oder her.
    Herzlichst, Ulli

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    1. Liebe Ulli, ich spielte auf einen Blogbeitrag an (https://mitziirsaj.com/2018/11/18/karma-im-nacken/). Da schleuderte ich versehentlich beim Putzen einen Porzellan Gartenzwerg vom Balkon auf die Straße und mir ist vor lauter Schreck ganz anders geworden.
      Hier ist es noch ruhig. An Sturmtagen denke ich immer an unsere Hütte in den Bergen. Da geht es mir wie dir. Ich hoffe die alte Eiche wird auch diese Tage überleben und mit ihrem Wurzelwerk den Hang und damit das Häuschen stützen.
      Auch ich bat die Fichten darum doch bitte, bitte nicht auf die Hütte zu fallen. Heute bitte ich dann die deinen und die meinen darum!
      Komm gut durch den Sturm. Bei mir in der Stadt ist alles meist harmloser, aber bei den Bäumen, ja da spürt man die Naturgewalten noch.
      Liebe Grüße

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  2. Köstliches Buchstabenkonglomerat wie immer – wobei immer für mich mit der Russischen Entsorgung begann. Na gut, den Gartenzwerg werde ich anschließend querlesen, weil seine Blauäugigkeit eine versteckte Mitteilung verspricht. Und die Niente Amore, Siempre Lavore – Geschichte. Die mit dem Seicento Rosso halt. Die aber erst kommende Woche irgendwann, weil meine Buchhändlerin sie doch erst besorgen wird müssen – sollte es anders sein, lasse ich es Sie wissen … 😉

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    1. Bei der russischen Entsorgung bin ich selbst gespannt wie die sich in den nächsten Jahren entwickeln wird. Sollte es mit der Bestellung in der Buchhandlung nicht klappen, gib Bescheid. Aber eigentlich müsste es gehen und ich bin froh, wenn in den Buchladen und nicht nur bei Amazon bestellt wird 🙂

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      1. Wird schon klappen – Ösiland ist Kulturland und der Morawa eine rührige Auslieferung 😉 … Die Krake: never ever, das is für Menschen, die nicht nachdenken, wenn sie dort bestellen. Deswegen gibt es auch meine Bücher nicht dort, aber Verlage müssen das anders sehen, das verstehe ich natürlich.

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      2. Da bist du konsequenter als ich. Ich muss gestehen, dass ich auf Amazon was meine eigenen Bücher angeht nicht verzichte. Sinnlos da irgendwelche Gründe anzuführen, weil ich ja selber merke das es Pizza ist wenn ich dort selbst nicht bestelle aber meine eigenen Bücher zum Verkauf anbiete.
        Trotzdem oder gerade deswegen freue ich mich dass du sie an das beziehst. Liebe Grüße

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  3. ich hoffe, du hast den stürmischen montag gut überstanden. und ich finde, selbst wenn du selbst nicht so übermäßig davon profitiert hast, konntest du zumindest anderen möglichen ärger und schaden ersparen und das ist ja acuh schon eine ganze menge 🙂

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    1. In München war es ein relativ normaler stürmischer Tag. Das sind natürlich die Münchner deren Auto unter einem Baum begraben wurde anders, aber verglichen mit anderen Landstrichen hatten wir hier wirklich Glück. Nicht zuletzt weil das dämliche Windspiel und der Sonnenschirm nicht auf dem Balkon standen 😉

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  4. Also, bisher war bei uns zwar Starkwind, aber richtig Sturm? Gut, im Wald, in den ich ein paar Tage nicht mehr bin (also nur bis in den Jungwuchs und so, nicht da rein, wo die hohen Teile stehen) liegen schon ein paar ordentliche Fichten quer, eine hat wohl knapp einen Sitz verfehlt. Aber insgesamt sieht es fast harmlos aus. Das Vogelhäuschen, das mitten in der Wiese steht, ja, das mußte auch dran glauben. Wollte ich vom Sturm, der hier fast keiner war, erzählen? Nö. Da liegt so ein Krake quer. Also darf ich mal wieder stolz vermelden, dass ich da noch gar nie was bestellt hab. Unglaubwürdig? Na ja, also… ich hab kein eigenes Konto und, nun, also, wenn ich was dringend brauchte oder aber anders schier nicht herbekam ließ ich bestellen… auch nicht viel besser, zugegeben. Aber es hat den Vorteil: dass ich zuerst immer schaue, ob ich das anderswo herkriege, z.B. im nahen Buchhandel (örtlich gibts den auf dem Dorf mal nicht). Komme mir aber trotzdem vor wie ein mir vertrauter, sehr netter Öko, mit dem ich auch schon politisch gemeinsame Sache gemacht habe, der kein eigenes Auto hat. Und sich in unserer ländlichen Gegend dann halt von mir mitnehmen ließ… Ach ja, die Konsequenz.

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    1. Ach doch, ich glaube dir das schon, dass du bisher nicht oder nur über Bekannte bestellt hast. Wahrscheinlich gibt es einige, die konsequent sind und ich denke, dass es auch nicht schlimm ist, ab und zu etwas zu bestellen. Dass es möglich ist, so viele sofort verfügbar zu haben, ist großartig. Nur muss es eben nicht immer sein und nicht ausschließlich. Wie immer….ein bisschen mitdenken hilft wahrscheinlich am meisten.
      Liebe Grüße

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      1. Ha, ich brauch da keine vagen Bekanntschaften! Schließlich ist die eigene Nachkommenschaft Hilfsdienstverpflichtet – was mich allerdings der Verlegenheit entkoppelt, mich mit diesen unheimlichen Gerätschaften ernstlich auseinanderzusetzten und lieber nach den digital natives zu rufen…

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