Russische Entsorgung

 

Verdammt, fluchte ich leise als ich den Müllraum unseres Hauses betrat. Verdammtes Hinterhaus, ergänzte ich in Gedanken und blieb unschlüssig zwischen all den Tonnen stehen. In den letzten Monaten sind einige Studenten ins Hinterhaus  eingezogen. Man bekommt sie kaum zu Gesicht, aber anhand der musikalischen Dauerbeschallung kann man erahnen, dass die neuen Bewohner zur Jahrtausendwende noch Windeln trugen. Ich habe nichts gegen junge Mieter und wenn ich ehrlich bin, bekomme ich aus dem Hinterhaus sowieso recht wenig mit. Was mich aber wirklich stört ist, dass diese jungen Menschen teilweise saublöde Ideen haben. Die mögen ihnen selbst vielleicht ganz clever erscheinen, sind bei genauerer Betrachtung  aber hirnrissig und dämlich. Welcher Vollidiot kommt denn auf die Idee seinen Christbaum über die Biotonne zu entsorgen? Für so etwas gibt es Sammelstellen. Da muss man seinen Christbaum nur 2 bis 3 km zur nächsten Sammelstelle tragen und dann ist man ihn schon los. Wem das Tragen und Schleppen zu blöd ist, der kann ja auch den Bus oder die U-Bahn nehmen. Das ist wirklich kein großes Problem. Als ich so alt wie die war, hab ich das auch machen müssen. Da hatte ich auch kein Auto und musste meinen Baum eben auch zu Sammelstellen bringen. Aber in der Biotonne eines doch recht großen Hauses, das ist rücksichtslos und bestimmt auch verboten. Mist, fluchte ich noch einmal leise und hörte es hinter mir lachen.

Mein Nachbar Paul stand hinter mir und grinste. Mindestens genauso blöd grinste er, wie die jungen Mieter im Hinterhaus sind. Er war der letzte den ich in diesem Moment sehen wollte, weil er mich schon eine Weile kennt und und ahnte, warum ich gerade fluchte. Der fast 2 m große Christbaum verdeckte mich leider nur zur Hälfte und es war mehr als deutlich, dass auch ich die Idee mit der Biotonne hatte. Um 5:00 Uhr in der Früh hatte ich die Hoffnung dort im Müllraum unbemerkt meinem Baum in seine Einzelteile zu zerlegen und ihn danach rücksichtslos und bestimmt auch verboten in der Biotonne zu entsorgen. Ganz ehrlich, ich bin zu alt um mit einem nadelnden Monstrum durch das ganze Viertel zu laufen um es an einer der Sammelstellen ordnungsgerecht zu entsorgen. Außerdem bin ich viel kleiner als die Studenten aus dem Hinterhaus und tue mich viel schwerer mit so einem Baum. Taxifahrer befördern alte Christbäume übrigens nicht. Hab ich in den letzten Jahren probiert – Taxifahrer weigern sich. Man kann auch nicht mit der U-Bahn damit fahren, wenn der Baum eine gewisse Größe überschreitet und ohne Netz schlicht und einfach nicht durch die Türen passt. Auch das habe ich bereits probiert, bin mir aber sicher, dass mein Baum viel größer ist als der von den Studenten. Es war also völlig klar, dass die Biotonne mir und meinem Baum zugestanden hätte. Mein Nachbar Paul sah das anders. Grinsend tippte er auf das Schild der Tür „Es ist verboten Christbäume und Sperrmüll zu entsorgen“. Lesen kann ich auch. Weil Paul aber grundsätzlich nicht Recht haben darf, fischte ich aus meiner Hosentasche einen alten Kassenzettel, zerknüllte ihn bevor ich ihn in eine der Tonnen warf und trat mit Unschuldsmiene den Rückzug an. Den nadelnden Baum schleifte ich hinter mir her. 

Im Keller traf ich Herrn Meier, der kopfschüttelnd meinen hilflosen Versuch, den Baum in mein Kellerabteil zu stopfen beobachtete und vermutlich an seniler Bettflucht litt. Ob ich noch ganz sauber sei, wollte er wissen und ich gab auf. Das Ding war zu sperrig und ich sah mich bereits, ihn hinter mir her schleifend, durch das Viertel wandern. Im Buch „Mondscheintarif“ tat das die Protagonistin auch und traf dabei die Liebe ihres Lebens. Der derzeit einzige Anwärter auf diesen Titel in meinem Leben, weigerte sich meinen Baum jetzt noch zu entsorgen, nachdem ich sein Angebot in den Vorjahren stolz und auf die Biotonne zählend, einmal zu oft abgelehnt habe. Auch hier trat ich den Rückzug an und fragte mich warum gerade heute alle schon so früh auf den Beinen waren. Damit ich keinen weiteren Unsinn mit dem Baum anstellen konnte, begleiteten mich beide Männer in den Lift. Mit Herrn Iwanow, der darin stand war die Riege der Frühaufsteher perfekt. Drei kritische Männeraugenpaare waren auf mich gerichtet. Eines, das von Herrn Iwanow, auf das Beil, das ich in der Hand hielt. Erst dachte ich, er hätte Angst vor mir und dem Beil, dann aber erklärte er mir, dass es „naggelte“. Es klingt lustig, wenn man ein so bayerisches Wort mit russischem Akzent aussprach, aber recht hatte er. Das Metalstück saß wirklich sehr locker am Schaft. Schon letztes Jahr und im Jahr zuvor, aber gehalten hatte es bisher immer. Herr Iwanow nahm es mir aus der Hand. Es sei zu gefährlich verkündete er und ich beschloss meinen Baum bis auf weiteres, bis zum Sommer wahrscheinlich, auf meinem Balkon zwischen zu lagern.

Es ist 05:45 Uhr und im Innenhof  wird die Motorsäge angeworfen. Herr Iwanow widmet sich meinem Baum mit schwerem Gerät. Herr Meier steht daneben und teilt sein Fachwissen, Waldarbeit betreffend. Paul hat seine Abfahrt in Richtung Skipisten verschoben und schickt sich gerade an, seinen eigenen Baum über den Balkon in den Innenhof zu werfen, damit der gleich entsorgt werden kann. Beim Lärm der Säge und der morgendlichen Dunkelheit wäre das sicher unbemerkt geblieben, würde nicht Frau Obst, die im Laubengang im Morgenmantel neben mir steht, hysterisch kreischend die Hausordnung zitieren, in der das Abladen von Unrat über den Balkon verboten ist. Langsam gehen im Hinterhaus die Lichter an und ich erkenne auf den Balkonen und hinter den Fenstern die verschlafenen Gesichter, der neu eingezogenen Studenten. So früh an einem Sonntag werden sie nur ungern geweckt. Selbst schuld, denke ich mir und gehe wieder ins Bett. Wären sie nicht so blöd gewesen, ihre Bäume in der Biotonne zu entsorgen, würde der meine jetzt nicht mit schweren Gerät zerlegt werden müssen. Willkommen im Irrenhaus, liebes Hinterhaus.

In den nächsten Jahren, werde ich meinen Baum gleich bei Herrn Iwanow abgeben. Für fünf Euro, so versprach er, würde er ihn mir zerlegen und entsorgen. Ich hoffe nur, dass die Astreste, die er unter den Büschen zu verteilen gedenkt, auch wirklich innerhalb eines Jahres verrotten, wie Herr Meier versichert hat.

 

 



45 Gedanken zu “Russische Entsorgung

    1. Schleppmotiviert….ein schönes Wort :). Bei uns sind die blöden Sammelstellen wirklich weit weg. Jedenfalls erscheint der Weg recht weit, wenn man den Baum hinter sich herzieht ;).

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  1. Ich erinnere mich, wie ich einmal an einer Sammelstelle vorbeikam, an der ein völlig brauner, sicherlich über ein Jahr alter Christbaum abgeladen worden war. Da habe ich gleich meine Freundin verdächtigt, auf deren Balkon im Sommer zuvor ein solches Gerippe stand. Genaueres weiß ich allerdings nicht.

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  2. Hier aufm Land macht die Jugend der freiwilligen Feuerwehr da jedes Jahr nach Dreikönig ein Ereignis draus. Die Bäume werden eingesammelt, fröhlich „begossen“ und dann auf einem Stapel brandentsorgt, was gerne mit einer Löschübung verbunden wird. Aber auch aus der Stadt kenne ich die planmäßige Entsorgung.

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      1. Oh ja. Der Geruch ist wirklich schön. Meine Familie (leider holt sie meinen Baum nicht ab…oder nicht jedes Jahr) verheizt die ihren auch noch.

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  3. Ich lache, dass der 2m hohe Baum zu klein war, dich ganz zu verdecken. Und woher weißt du, dass es die Studenten waren, die ihren Baum unzerkleinert in die Biotonne stopften? Vielleicht war es Frau Obst? Zwischen öffentlichem Bild und geheimen Impulsen gähnen bisweilen Abgründe.
    Bravo dem Herrn Ivanov,, der mit seiner Säge nicht nur ein gemeinsames Problem löst und die Kooperation im Haus befördert, .sondern auch die Anschaffung seiner Säge finanziert….. Also alles klar!

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    1. Zugegeben, ich weiß nicht ob es die Studenten waren. Ich hab wohl von mir auf sie geschlossen. Die beleben das Haus und mischen das Alter. Ich mag sie. Außer wenn ich den blöden Baum schleppe, dann such ich grantig nach „Schuldigen“. 😉

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  4. Herrlich. Vor allem deine Beschreibung der windeltragenden Bewohner zur Jahrtausendende. Einfach köstlich. Also wenn es ein natürlicher Baum sein soll kannst du ja auch eine Lärche nehmen. Grün lackieren und du kannst sie jedes Jahr verwenden.

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  5. 💦😂💦… in studentischen Jahren habe ich das nadelige Ding einfach über dieBalkonbrüstung gekippt *upps* …wir hatten schliesslich einen Hausmeister… und im sozialvortgesxhrittenem hoch schwangerem Stadium habe ich diesen harzigen Gesellen mit dem Fuchsschwanz zerteilt und im Kamin verbrannt… ein nicht ungefährliches Vorgehen… eine Nerfensäge beherrsche ich virtuos aber der Rest des chemikalischen Vorgangs war Grenzwertig… ¯\_(ツ)_/¯

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  6. An so einem Tannenbaum haften ja keine Fingerabdrücke. Den hätte ich in tiefschwarzer Nacht in der Nachbarschaft….. NEIN besser ins Treppenhaus des Hinterhauses gestellt. Schließlich waren Bewohner des Hinterhauses ja „Schuld“ an Ihrem Entsorgungsengpass!
    😉

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    1. Lieber Heinrich, ich spielte mit den Gedanken, hab mich aber nicht getraut. Am Ende waren sie es gar nicht. Die Studenten. Am liebsten würde ich die Nachnamen zu einem gemütlichen Feuer im Hinterhof einladen. Aber dann bekommt Frau Obst wohl einen Herzinfarkt.
      Herzliche Grüße

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  7. Ich wette 99:1 mit dir, dass nicht die Studenten ihren Baum in der Biotonne entsorgt haben, sondern genau so ein/e unschuldige/r Mieter/in wie du. Studenten stellen sich so einen Baum gar nicht hin, weil sie ihr Umzugsgut für das nächste Studentenzimmer nicht mit Weihnachtskugeln und anderem Kram belasten wollen.
    Hier in Berlin legt jeder seinen Baum an irgendeinen Straßenbaum – egal, ob er vom Wind oder Sturm auf die Straße geweht wird.
    Zum Glück habe ich kein Baumproblem, aber viel gelacht.
    Clara grüßt

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  8. Bei euch ist ja zur nachtschlafenden Zeit was los, liebe Mitzi. Witzig geschrieben, wie du dich zuerst über die Studenten ereiferst, um dann zu gestehen, dass du den Baum auch in der BIotonne entsorgen wolltest. In meiner Nachbarschadt fehlt wohl auch eine fußläufig erreichbare Sammelstelle, also liegen die Bäume überall heruim.

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    1. Das ist natürlich auch keine Lösung, lieber Jules. Aber wenn ich ehrlich bin, dann würde ich ihn auch gerne heimlich einfach abladen. Bei meinen Nachbarn geht das leider nicht. Liebe Grüße

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  9. Deine bärbeißig-augenzwinkernde Erzählung von der Unzulänglichkeit des Alltags macht mir deutlich, warum ich mich gerne mit Zweigen – fränkisch: Zweichler – begnüge. Diesmal von der Nobilis-Tanne mit feinem Duft. Leichter Weg zum Sammelplatz.
    Nach Weihnachten ist vor Weihnachten …
    Danke, Mitzi, und schöne Grüße
    Bernd

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  10. ❤ ich war gespannt auf die wende, die es nehmen würde, nach dem granteln über den studentenbaum in der biotonne, aber das hab ich gar nicht kommen sehen. dabei war es im nachhinein betrachtet das allerlogischste 😀

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  11. Ja, da kann ich natürlich nur begrenztes Mitleid haben – die armen Stadtbewohner! WIe froh bin ich doch manchmal, auf dem Land zu wohnen. Eigene Sägen, eigener Anhänger, eigener Garten – damit das deutlich wird: niemand holt z.B. unseren Plastik- und Metallmüll, den dürfen wir schön selber wegbringen, wer dazu kein Fahrzeug hat, hat Pech gehabt. Ja, der Plastikmüll ist nicht im gleichen Ort, es ist ein Ortsverbund, eine Gemeinde, und man muß je nach Interessenlage von einem zum anderen kutschieren, z.B. zum Bürgermeister, zum Arzt, in die Schule – ach ja, da fährt ein Schulbus. Wen der nicht fährt gibt es keine Verbindung zwischen den Ortsteilen, die nicht einmal alle mit Fahrradwegen verbunden sind – man hat schließlich ein Auto!
    Ja, das Landleben besteht aus lauter VOrteilen. Z.B. einfacher Christbaumentsorgung… Die sammelt auch die Jugend für ihre Funkenfeuer.
    Aber ich muß jetzt noch einen Themawechsel begehen:
    Ich muß es einfach loswerden, es geht nicht anders, in eigener Sache: Ich hab Bilder eingefügt, z.B. in Nr. 78 und 42 auf meiner Seite und bin ganz stolz drauf, dass das jetzt auch geklappt hat. Diese Computerkämpfe – ganz schon anstrengend für mich.

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