Alltag VII – Freunde

Heute brennt die dritte Kerze am Kranz und es ist noch still und ruhig im Haus, als ich sie anzünde. So still ist es mitten in München selbst an Sonntagen nur selten. Irgendwo trampelt immer einer und irgendwo scheppert immer etwas. Heute nicht. Das Haus schläft noch und ich bin alleine mit dem Geruch des abgebrannten Streichholzes. Es war das Letzte aus einer alten Schachtel mit dem Werbedruck einer Bar in Italien. Eine große Schachtel, die ich so gut wie nie benutzte und ohne Vorsatz über all die Jahre meist zum Anzünden der Kerzen am Kranz im Advent nutzte. Ein bisschen verschroben, aber Adventskranzkerzen müssen bei mir mit Streichhölzern angezündet werden. So verschroben wie ich, höre ich dich sagen und nicke. Ein bisschen verschroben, so wie ich, das stimmt. Die Bar aus der die Schachtel stammt, gibt es sicher nicht mehr. Gut fünfzehn Jahre lag sie in meiner Schublade und stammte aus einer Zeit, als ich noch Italien lebte. Jahr für Jahr stimmte sie mich ein wenig melancholisch, dieses Jahr nicht. In den letzten 24 Monaten habe ich es mir zurück geholt, mein Italien. 2017 noch vorsichtig, 2018 schon entschlossener und dieses Jahr endgültig. 2019 endlich gehörte Italien wieder zu meinem Alltag. Italien und noch wichtiger, ein Mensch, der noch immer dort lebt.

Echte Freundschaften überleben es, wenn man sich nur wenige Stunden im Jahr sieht. Das habe ich immer behauptet und glaube noch heute daran. Dennoch schadet ihnen etwas Alltag nicht. Sieht man sich nur sechs Stunden im Jahr, beschränkt man sich über all die Jahre auf das allernotwendigste. Das gemeinsame Abspülen von Geschirr und entspanntes Ausschlafen gehört nicht dazu. Das ist Alltag und den habe ich mir zurück geholt. Am deutlichsten an einem Tag, als ich mit einer Freundin vor einem Glas Wein am Meer saß und sämtliche Besuche von Freunden und Kollegen auf den nächsten Tag verschob. Wir sehen uns morgen….das gibt es nicht, wenn man nur einen Tag im Jahr zur Verfügung hat. 
Er war schön, der Alltag in diesem Jahr. Meistens. Einer Freundschaft hat er geschadet. Es gibt sie nicht mehr. Irgendwo zwischen Verona und dem Brenner ist sie im Stau aus dem Fenster gefallen und auf der Straße liegen geblieben. Vielleicht holen wir sie uns wieder, eher aber nicht. Etwas das so unerwartet und schwungvoll durch das Fenster fliegt, ist wahrscheinlich in zu viele Scherben zerbrochen. Selbst wenn wir wollten, wir werden nicht mehr alle finden. Andere sind stabiler. Fast alle die mich dieses Jahr und all die Jahre zuvor begleiteten. Die zum klügsten meiner Freude hat nicht einen einzigen Kratzer abbekommen, als wir sie und uns zwei Tage lang quer durch die Wohnung schleuderten und uns fühlten wie mit achtzehn, als lautstarke Wortgefechte zu unserem Alltag gehörten. Einfach den Mund halten, bat er mich im Sommer und sag doch was, forderte ich stattdessen. Eine Banalität technischen Ursprungs, aber wenn man zwölf Stunden lang vor einem nicht funktionierenden Rechner sitzt und so unterschiedlich ist wie er und ich, dann passt irgendwann nicht eine einziger Satz mehr zum anderen. In unserem Alltag – schon vor zwanzig Jahren – gehen wir dann für eine Viertelstunde in unterschiedliche Räume und treffen uns grinsend im Flur wieder. Ich halte dann die Klappe und höre zu und er spricht während er die Dinge wieder gerade biegt. So war es kurz vor meinem Matheabi und auch dieses Jahr als weder mein Rechner noch mein Modem über Tage funktionierten. 

Ohne meine Freunde, hätte ich keinen Alltag. Selbst wenn er uns überrollt, der Alltag, machen sie ihn aus. Den besten meiner Freund habe ich das letzte halbe Jahr kaum gesehen. Die Bude brennt, sagt er und ich nicke während ich bei mir versuche die einzelnen Buschfeuer zu löschen ohne abzusaufen. Sylvester aber schon, oder, frage ich ihn und bin unendlich erleichtert als er schnell und ohne zu zögern antwortet. Natürlich. Was, wo und wie ist unwichtig, solange ich mit ihm an der Seite ins neue Jahr springe. In ein neues Jahr und einen neuen, vermutlich altbekannten, aber noch immer spannenden Alltag. Man muss ihn mögen, seinen Alltag, das ist wichtig. Schließlich ist er der beständigste Wegbegleiter im Leben. Mögen, sagt einer hinter mir und grinst, weil mein Alltag für mich heute Berge von Bügelwäsche und ungeputzte Fenster bereit hält. Eigentlich. Dieser alltäglich Alltag muss heute warten. Es ist hell geworden und die Sonne kommt raus. Bei Sonnenschein kann man keine Fenster putzen, erkläre ich und bin erleichtert. Bügeln könnte man, aber bügeln bei dreckigen Fenstern bringt bestimmt Unglück. 

Was auch immer mein Alltag in 2020 bringen wird – ich freue mich auf ihn. Und ich freue mich, dass ich dank Ulli in diesem Jahr so viel über meinen Alltag nachgedacht habe. Mit unglaublicher Verspätung ist obiges der zwölfte und letzte Beitrag von mir zu „12 Monate Alltag“. Danke, Ulli. Ich wünsche dir wunderschöne Feiertage und für 2020 einen fantastischen Alltag. 

9 Gedanken zu “Alltag VII – Freunde

  1. Liebe Mitzi, da es ja in gewisser Hinsicht kein Falsch und kein Richtig gibt, so gibt es in vielen Fällen auch kein „Zuspät“. Ich habe deinen Beitrag sehr gerne gelesen.
    Freundinnen und Freunde, ja, sie sind aus dem Alltag nicht wegzudenken, gäbe es sie nicht, wäre dies ein fürchterlich trauriger Alltag!
    Und heute bekomme ich ganz viel Besuch und freue mich darauf.
    Dir einen schönen 3. Advent.
    Liebe Grüße
    Ulli

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    1. Liebe Ulli, bald bekomme ich einen Orden im spät antworten….aber im neuen Jahr wird alles besser ;). Ich hoffe du hattest viel Spaß mit deinem Besuch und ich freue mich, dass du mich auch das zwölfte Mal durch meinen Alltag begleitet hast. Danke und herzliche Grüße

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  2. alltag und freunde – themen, mit denen man sich immer und immer befassen sollte, weil sie irgendwie am ende das leben ausmachen, denke ich. manche menschen sind glaube ich für eine zeit im leben gut und dann passen sie nicht mehr und manchmal ist es vielleicht besser, wenn das mit einem krachen passiert als wenn man es schleichend über monate und jahre mitschleppt.

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