Dünnes Eis

Der Mann, der ab und zu mit einer Flasche Wein vor meiner Türe steht, schüttelt den Kopf und schnalzt mit der Zunge. Bei ihm heißt das nein. Die Kombination aus Kopfschütteln und Zungeschnalzen ist ein „Nein“ mit einem dicken, fetten Ausrufezeichen. Ein „Nein“ über das er nicht zu diskutieren bereit ist. Obwohl er dem Valentinstag ebenso wenig Bedeutung wie ich zumisst, ist er nicht gewillt, sich an genau jenem Tag einen neunzig minütigen Monolog seiner Freundin anzuhören der den Titel „Nix mit Amore“ trägt. Selbst ihm, einem überaus pragmatischen und sicher nicht abergläubischen Menschen, erscheint das ein wenig unpassend. Er grinst und schiebt hinter her, dass er außerdem, leider, leider, an diesem Freitag auch ungewöhnlich lange arbeiten müssen wird. Ich bin ein wenig erstaunt, dass er das schon neun Wochen vorher weiß, aber auch ein bisschen erleichtert. Einer weniger. Ich gebe zu, dass die Erleichterung einen Zuhörer weniger zu haben, auch für mich neu ist. So neu, wie aus dem eigenen Tagebuch zu lesen, fragt mein Freund und zwinkert mir noch breiter grinsend zu. Auch er ist erleichtert. Erleichtert, bei den damaligen Einträgen noch nicht in Erscheinung getreten zu sein und wünscht mir einen wunderschönen Abend. Einen, bei dem er leider, leider nicht anwesend sein kann.

Es ist natürlich Blödsinn. Ich lese nicht aus meinem Tagebuch. Genauso wenig wie diese Seite hier eins zu eins, mich wiederspiegelt, tut es das Buch. Aus der Dusche ertönt schallendes Gelächter. Ok, doch, das tut es, aber das weiß ja niemand. Fröhliches Pfeifen aus dem Badezimmer. Noch mal ok und ja, jeder weiß es, weil ich es ja längst zugeben habe. Das ist auch in Ordnung, weil ich eben ich bin und es doch eigentlich eine schöne, charmante und vor allem echte Erzählung ist. Echt, echot es aus dem Bad und die Fliesen verstärken das Lachen, ja echt sei es. Na, wenigstens das funktioniert – ich bringe die Menschen, die mir am nächsten stehen zum Lachen. Am Abend mache ich das was ich – wie man mir schon vor dem öffnen der ersten Weinflasche erklärt hat – vor etwa 18 Monate hätte tun sollen. Ich frage meine Freunde und meine Familie ob es denn ok ist, das „Nix mit Amore“.

Aber natürlich meint M, gar kein Problem, dass ich sie auf Seite 69 als versoffene Partymaus dargestellt hätte. Genau so hätte sie sich ihrer Tochter auch geschildert, wenn sie von früher erzählte. Sie steckt sich eine Olive in den Mund und verdreht die Augen. B, der via Skyp die abendliche Runde aus Mailand verfolgt zuckt mit den Schultern, solange es nicht auf italienisch veröffentlicht wird, sei es schon in Ordnung. Sonst wäre es freilich etwas problematisch, da bei ihm vermutlich keiner so schnell mehr einen Sprachkurs buchen würde. Um Signora P müsse ich mir keine Sorgen machen, die hätte er im Telefonbuch nicht mehr gefunden und sie dürfte mittlerweile tot sein. Erleichtert nehme ich einen großen Schluck Wein und lasse mir sagen, dass es ein wenig unpassend ist, so fröhlich auf den Tod einer alten Dame anzustoßen. F zuckt fröhlich mit den Schultern und geht in die Küche um nach der Pizza zu sehen. Von dort lässt uns wissen, dass er überhaupt kein Problem mit Seite 57 und den folgenden gehabt hatte. Seine und meine Freundschaft hätte ich wirklich sehr schön beschrieben. Man teilt ihm mit, dass es da nicht um ihn gegangen ist und er ist für den Rest des Abends beleidigt. A dagegen rückt etwas näher zu mir und ist wirklich gerührt, nachdem B ihm die entsprechende Stelle vorgelesen hatte und wiederholt anmerkte, dass so etwas über sie leider in den 200 Seiten nicht zu finden sei. Immerhin wäre B die Protagonistin eines ganzen Kapitels über heiße Augusttage merkt L an, während sie im Buch überhaupt nicht vorkommen würde. Dass wir uns damals noch nicht kannten, lässt sie nicht gelten und lächelt erst wieder, als ich zwei alte Blogeinträge raussuche, zu denen sie mich inspiriert hat. Bevor F ihr sagen kann, dass er deren Inhalt nicht unbedingt als Kompliment sehen würde, trete ich ihm unter dem Tisch gegen das Schienbein und drohe mit der Veröffentlichung einer Begebenheit aus dem Jahre 2001. Kurz grinst er, dann nicht mehr. 

Überhaupt nicht gegrinst hat einer, der an diesem Abend fehlte. Einer der am 14.02 aber unbedingt dabei sein muss. Einer dessen Lächeln ich brauche, wenn ich nervös werde und einer, wegen dem ich das alles überhaupt geschrieben habe. Und natürlich – ohne den ich all das was jetzt auf Seiten gedruckt ist, gar nicht erlebt hätte. Während meine Freunde noch diskutieren ob sie mein Buch mögen oder ob sie mich jetzt weniger mögen, rufe ich ihn an. Er müsse kommen, sage ich ihm. Unbedingt, weil ich jetzt doch ein bisschen nervös werde, vor dieser einen Lesung bei der sich so viele zwischen den Zeilen erkennen. Er kommt, sage ich als ich zurück zu meinen Freunden ins Wohnzimmer gehe. Wir öffnen die letzte Flasche Wein dieses Abends und ich umarme jeden einzelnen von ihnen. Ganz sicher werde ich nie wieder ein Buch über mich und meine Freunde schreiben. Das Eis ist zu dünn und zu schnell wird ein Satz gedruckt, der falsch verstanden werden könnte. In diesem Fall ist es gut gegangen und ich bin jedem einzelnen unendlich dankbar, dass ich über ihn schreiben durfte. Am meisten dem mutigsten meiner Freunde, der mir mit „passt schon“ einen pauschalen Freifahrtsschein erteilt hat. Allerdings ist er auch der einzige, von dem ich hoffe, dass er das Buch wirklich gelesen hat. Er ist nämlich auch der einzige dem ich es zutraue, dass er am 14.02 aufsteht und mich vor versammelter Zuhörerschaft fragt, ob ich noch alle Tassen im Schrank habe. 

Vorhin fragte mich Herr Mu, an der Bushaltestelle, worüber ich eigentlich schreibe. Historische Romane antwortete ich. Nichts, was ihn interessieren würde. 

P.S. Das Beitragsbild stammt aus einer Serie, die einer meiner liebsten Freunde für mich gemacht hat. Die Farben sind so herrlich, dass ich Ihnen das Original zeigen will. Danke Oliver Metzner!

14 Gedanken zu “Dünnes Eis

  1. Was für langweilige Texte würden entstehen, wenn Menschen immer nur mit ihren guten Seiten und ganz ohne Fehler dargestellt würden. Solange der Blick auf sie freundlich und humorvoll bleibt, finde ich es ganz okay. Maarten ‚t Hart, der niederländische Schriftsteller, hat die Namen der Menschen aus seiner Heimatstadt, einer Kleinstadt, genommen und einfach vertauscht. Aus dem Kaufmann Meier wurde der Pastor Müller und umgekehrt. So war anschließend jeder sauer.

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    1. Ich glaube von diesem Schriftsteller habe ich schon einmal gehört. Eine Anleitung wie man es besser nicht machen sollte. Allerdings darf ich mich da nicht weit aus dem Fenster lehnen. Mein armer Paul hat nicht einmal einen neuen Namen bekommen.

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  2. Das prächtige Farbfoto rechtfertigt dreimal den Bruch mit deinem schlichten S/W-Blogkonzept, liebe Mitzi. Wenn dein Buch annähern so farbenfroh daherkommt, kann doch jeder Protagonist froh und zufrieden sein. Wann wird einem schonmal so ein Denkmal gesetzt?
    Glückwunsch und beste Grüße!

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    1. Vielen Dank, lieber Jules. Das Thema Italien und Abenteuer ist dankbar für eine farbenfrohe Schilderungen. Und ich sehe es wie du, ab und zu darf man ein schlechtes Konzept zu Gunsten schöner Farben auch ruhig durch brechen.

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      1. Ich hatte aber „schlichtes Blogkonzept“, nicht „schlechtes“ geschrieben. Du weißt, dass ich deine Bloggestaltung gut finde, liebe Mitzi. Und nachzutragen zu den Personen aus deinem Bekanntenkreis, die sich drin wiedererkennen im Roman. Du gehst ja immer mit gutem Beispiel voran und pflegst eine herrlich humorvolle Selbstironie.

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  3. Gib es zu, du hast die Farbe von „Amore“ passgenau auf das Auto abgestimmt.
    Wenn du erst einmal ganz doll berühmt bist, werden all deine Freunde noch stolz sein, dass sie – egal ob positiv oder negativ – in deinem Buch erwähnt wurden.

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    1. Ich glaube und hoffe sie freuen sich auch jetzt schon. Denn eigentlich kommen sie alle sehr gut weg beziehungsweise sind genauso lieb und charmant wie ich sie beschrieben habe. Das mit dem Auto und der Farbe hat wirklich herrlich gepasst.

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  4. Als das Buch mittags im Postkasten lag, hatte ich eigentlich keine Zeit, ich hatte mir anderes vorgenommen, aber erstmal mußte ich mir natürlich einen Kaffee kochen und trinken, runterkommen von der Arbeit, und da konnte es nicht schaden, schon mal ein, zwei Seiten zu lesen … ich habe nicht mehr aufgehört, bis ich es ganz durch hatte. Der Nachmittag war futsch, Deine Schuld. Aber ich bin Dir alles andere als böse … ein paar Tage lang habe ich den Mitzi-Kosmos noch mit mir herumgetragen, im Gefühl, und mich gut dabei gefühlt. Deine Freunde können ganz beruhigt sein: Nicht eine der Protagonisten hat bei mir einen negativen Eindruck hinterlassen, im Gegenteil, alles liebenswerte Leute, auch die mit den Macken. Und die, die gar nicht vorkommen – tja, Pech gehabt, die können nur hoffen, im nächsten Buch aufzutauchen.

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    1. Das freut mich unglaublich zu lesen. Ein schöneres Kompliment, als das eine das Buch nicht mehr zur Seite legen kann, gibt es nicht. Wenn du es gelesen hast, kannst du dir auch denken ab wann die Fiktion begonnen hat. Alles andere, hat sich genauso zugetragen. 😉
      Herzlichen Dank, dass du mich auf meiner Reise nach Italien begleitet hast.
      Ich bin froh, dass die Figuren in meinem Buch einen positiven Eindruck hinterlassen haben. Dann ist es so wie es sein sollte, und auch so wie ich sie empfinde. Ganz wunderbare Menschen

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