Randlos und wortlos

Ich mag ihn nicht. Kann ihn nicht ausstehen, diesen überdeutlichen und symbolischen schwarzen Rahmen am Rande der Karten. Wenn der Rand schon schwarz ist, dann kann man auch gleich den Text vordrucken: Herzliches Beileid. Zwei Worte. Das reicht. Er oder sie ist tot und wenn wir ehrlich sind, dann ist es völlig egal, was in den Karten geschrieben steht. Wichtig ist nur, dass sie geschrieben werden. Wenn einer geht, dann bleibt für den der übrig ist, die Welt stehen. Andere müssen sie weiter drehen. Die, die es noch können, für die, die erst mal gar nicht mehr können. Ob ein schwarzer Rand das aussagt wage ich zu bezweifeln. Ich schmeiße das Kuvert in den Müll und nehme eines von meinen. Wenn sie es öffnet, weiß sie was darin stehen wird. Nichts was hilft und nichts was den Verlust schmälert. Aber immerhin, die Post wurde ausgeliefert und irgendwo da draußen scheint sich die Welt noch weiter zu drehen. Nicht bei ihr, aber irgendwo und vielleicht hilft das für einen kurzen Augenblick.

Weiße Rosen in schwarz weiß. Zum Erbrechen banal, aber besser als die Kerzenflamme und erträglicher als das kalte und unpersönliche Kreuz. Wie viele davon sie in den letzten Tagen wohl schon gesehen hat? Zu viele vermute ich und zerreiße die Beileidskarte. Weiße Rosen habe ich bei ihr noch nie auf dem Tisch stehen sehen und am Ende schenkte sie ihr der, der jetzt nicht mehr ist, zum letzten Geburtstag. Ich nehme eine meiner Karten. Fester beiger Karton, der an nichts erinnert und der nichts symbolisiert. Ich könnte ihn ihr leer schicken und sie wüsste was da ungeschrieben steht. Herzliches Beileid und es wäre nicht gelogen, nicht falsch und nicht unpassend. Ich leide mit ihr und obwohl ich nicht ahnen kann, was genau sie fühlt, weiß ich, dass es schlimm ist. So schlimm, dass es ihr erspare zu behaupten zu wissen wie sich fühlt, auch wenn ich glaube es zu tun. Davon wird es nicht weniger schlimm und es tut mir im Herzen leid, dass es so ist.

Wie lange kann man vor einem leeren, festen, beigen Stück Karton sitzen, wenn man von sich behauptet mit Worten umgehen zu können und weiß wie es ist, wenn einer geht? Lange. Ich habe sie gehasst, die Karten mit all dem Beileid. Nicht jene, die sie schrieben, aber die Karten. Nicht die Worte, die darin standen, aber die Tatsache, dass sie geschrieben werden musste. Gut hatte es sich erst angefühlt, wenn ich sie zerriss. Für einen kurzen Augenblick nicht traurig sondern wütend zu sein. Und für den kurzen Moment ein schlechtes Gewissen zu haben, weil ich jenen die an mich dachten, unrecht tat. Wenn ein schlechtes Gewissen willkommen ist, weil es einen daran erinnert, dass es mehr als eine Emotion gibt, dann geht es nicht viel weiter nach unten. Wenn ich ihr schreibe, dass es ab jetzt wieder nach oben geht, dann wird sie nie wieder mit mir sprechen. Zurecht. Stellvertretend für sie, zerreiße ich die leere, beige Kartonkarte und denke kurz an dich, der du jetzt schon wirklich lange nicht mehr bei mir bist. Scheiße sagte sie damals, als ich es ihr erzählte und ich fragte sie, ob ihr dazu nichts besseres einfiele.

„Scheiße!“, steht in der Karte, die ich ihr schickte und wenige Tage später fragte sie mich per SMS ob mir nichts besseres dazu einfallen würde. Sie dreht sich weiter, die Welt. Ruckelt und zuckelt, aber steht nicht mehr still. Für mich schon eine Weile nicht mehr, für sie noch eine Weile lang. Scheiße gehört nicht zu meinem geschriebenen Wortschatz. Auf Papier immer eine Spur zu heftig und mit dem scharfen ß in der Wortmitte schlicht und einfach ein hässliches Wort. Im Moment passt es. Es ist scheiße, dass er weg ist. Ungerecht, überflüssig und unschön. Traurig, trostlos und einen Trümmerhaufen hinterlassend. Es ist scheiße, schreibt sie und Stunden später noch acht mal nur das Wort. Ich stehe später bei ihr vor der Tür mit einer Flasche Rotwein. Zum an die Wand werfen sage ich und sie schaut mich verständnislos an. Dann müsse sie neu streichen, meint sie und ich nicke. Ja, aber dann hätte sie etwas zu tun. Ich sei eine wirklich beschissene Trauerbegleitung sagt sie und liegt richtig. Die Guten sind die mit den richtigen Worten. Die, mit dem richtigen Essen für Trauernde und die, mit dem Talent Beileidskarten zu schreiben. Ich bin die, die nur scheiße sagt, aber immerhin wohl die erste, sich traut vor der Tür zu stehen. Das fehlte mir, als du gingst. Dass einer vor der Tür stand obwohl ich jedem sagte, dass ich niemanden sehen will. Das war scheiße.

20 Gedanken zu “Randlos und wortlos

  1. Mit Worten umgehen zu können heißt manchmal auch wissen, wann es einfach keine gibt. Und dies ist diese eine Situation, für die es keine richtigen Worte gibt, weil Worte nicht dafür gemacht sind, weil nichts dafür gemacht ist. Ich gehöre auch zu denen, die einfach das Wort mit dem scharfen ß verwenden, weil mir alles andere heuchlerisch, prophan und wie eine billige Floskel vorkommt – und weil es das einzige ist, was ich selbst in so einer Situation ertragen kann.

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    1. Wie schön du meine Gedanken in Worte gefasst hast. Ich glaube wenn man einen Menschen gut kennt und ahnt dass er ähnlich tickt wie man selbst, dann kann man das Wort schon verwenden. In allen anderen Fällen quälen wir uns dann und versuchen etwas nicht allzu banales zu finden. 😘

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  2. Ich mag sie nicht zu schreiben, diese Karten zu schreiben mit dem schwarzen Rand. Aber es kommt auf den an, wer gestorben ist wieviel Mühe ich mir gebe. Aber nachdem ich selbst mal der Empfänger war, weiß ich wie gut es tut diese Karten zu bekommen.

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    1. Das sehe ich auch so. Vielleicht liegt man mit den Worten einmal falsch. Vielleicht auch nicht. Aber dass diese Karten geschrieben werden und die Worte gesagt werden, dass es auf jeden Fall wichtig und tut meistens gut.

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  3. ich bin heute grad wortlos. Nicht, dass das „Ableben“ unerwartet kam, es war sogar in gewisser Weise erwünscht. Da es Leiden verkürzte. Doch es starb eine Mutter. Welche Worte sagt man da der Tochter?
    Und so danke ich dir für deinen heutigen Text. Nein,Scheiße ist nicht das richtige Wort. Aber auch nicht: ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen. Vielleicht couragio?

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    1. Liebe Gerda, vielleicht das, ja. Es gefällt mir gut und es ist so richtig und wahr. Was schreibt man einer Tochter? Was schreibt man einer Mutter? Ich finde es unendlich schwierig und bin mir sehr bewusst, dass Scheiße, nur in ganz ganz wenigen Fällen ein passendes Wort für Trauer ist. Ich denke an dich, und bin mir fast sicher dass du die richtigen Worte finden wirst. Herzliche Grüße

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  4. Liebe Mitzi,
    Deine Trauer ist so nachvollziehbar wie Dein Unbehagen über die Trauer-Rituale.
    Um Worte ringen. Manchmal „ohne Worte“. Mit krassen oder liebevollen und einfühlsamen Worten. Mit Rand oder ohne Rand, eine Post, eine Nachricht, eine Begegnung. Eine Flasche Wein ist eine gute Idee.
    Solidarische Grüße
    Bernd

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    1. Lieber Bernd, das hast du schön geschrieben. Ich glaube niemanden fällt es leicht in dieser Situation die richtigen Worte zu finden. Eine Flasche Wein, wenn sie hilft, ist wahrscheinlich auch nur Glückssache. Wir müssen es einfach weiter versuchen und gleichzeitig hoffen dass wir es nicht allzu oft müssen. Viele liebe Grüße Mitzi

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  5. Ich schrieb mal einem, das erste Jahr sei das schlimmste, danach werde es besser, weil das meine ehrliche Meinung (und Erfahrung) war. Er hat nie darauf geantwortet, seit Jahren habe ich nichts von ihm gehört. Ich hätte wahrscheinlich einfach nur „Scheiße!“ schreiben sollen.

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    1. Ach, wahrscheinlich wäre auch das falsch gewesen. Es gibt keine richtigen Worte und keine Worte sind auch keine Lösung. Ich glaub am Ende kann man es nur falsch, oder anders betrachtet, nur richtig machen. Es ist einfach eine ganz ganz schwierige Situation.

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  6. Du glaubst mir bedingungslos, dass ich jedes Wort vom ersten bis zum letzten nachvollziehen kann. Es ist schon so viele Jahre her – aber ich ahne, dass ich damals auch mehr als einmal Scheiße gesagt habe.
    Das Leben ist nur ganz ganz selten gut und gerecht.
    Ganz liebe Grüße zu dir

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  7. Viele Worte auf den Karten mit dem schwarzen Rand sind nur Phrasen, weil man sie eben so schreibt, weil man es eben schreiben muss. Manchmal sagt eine stille Umarmung mehr als tausend nichtssagende Worte, manchmal sagt auch eine Flasche Wein solche Worte, und doch ist sie herzlicher als alle die abgedroschenen Phrasen.

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    1. Herzlichen Dank für den schönen Kommentar. Auch ich denke, dass eine stille Umarmung oder Geste oft hilfreicher sein kann. Am Ende aber…egal was, solange nur irgendetwas an Anteilnahme kommt.
      Herzliche Grüße

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