Gurkenhobel, Kernseife und Bücher

Wikipedia behauptet, dass ein Jahrmarkt mit Volksfestcharakter im südostdeutschen Raum häufig als Dult bezeichnet wird. Anders als das Oktoberfest, das böse Zungen als Volksfest der charakterlichen, moralischen und geschmacklichen Entgleisungen bezeichnen, ist die Auer Dult wohl wirklich noch ein Jahrmarkt. Und doch so viel mehr. Die Auer Dult ist eine Institution und gehört für mich so fest zum Bestandteil Münchner Lebens, wie der Viktualienmarkt oder der Englische Garten. Etwas ganz besonderes und zugleich etwas sehr alltägliches, das weit über eine Touristenattraktion hinaus reicht. Wir Münchner aus den Vierteln Au, Giesing und Haidhausen laufen uns drei Mal jährlich auf der Dult über den Weg. Auf der Maidult, die am Samstag vor dem 1. Mai beginnt und die den Frühling in der Stadt auf das Schönste begrüßt; auf der Jakobidult, wenn die Stadt unter der schweren hochsommerlichen Hitze stöhnt und ächzt und auf der Kirchweihdult im Oktober am Wochenende vor Kirchweih wo man jeden warmen Sonnentag noch einmal mit besonders tiefen und wohligen Atemzügen willkommen heißt. Wir Münchner aus den angrenzenden Vierteln, treffen uns in diesen dreimal jährlich stattfindenden neun Tagen immer. Wir müssen nichts ausmachen, um am Dultwochenende nicht alleine durch die Gassen zu schlendern – man trifft sich. Immer.

Früher als Teenager war das Treffen besonders leicht. Unsere Schulen waren in der Nähe. Meine sogar direkt an der Dult gelegen. Vom Klassenzimmer aus, sahen wir wie sich das kleine Riesenrad drehte und hörten die schrille Musik des Autoscooters selbst durch die geschlossenen Fenster. In den Dultwochen bestand unser Pausenbrot aus Zuckerwatte und kandierten Früchten und dem Versuch sich in den Pausen kurz rauszuschleichen. An normalen Schulen klappt das selten, wenn wie in meiner an der Pforte eine uralte Nonne sitzt, dann geht das ganz gut. Zwanzig Minuten reichten für eine kurzen Bummel. Heute stehen Bekannte, Nachbarn und Freunde nur noch selten vor den Fahrgeschäften und ich treffe sie eher in den kleinen Gassen der Dult. Den besten meiner Freunde zum Beispiel, fast immer in der Neuheitengasse. Seit etwa fünfzehn Jahren versucht er den perfekten Gemüsenhobel zu finden. Man möchte glauben, dass er ihn mittlerweile gefunden hat, aber die Neuheitengasse heißt nicht umsonst so. Jahr für Jahr sieht man dort Händler mit unglaublichen immer neuen und ganz fantastischen Gerätschaften. Dinge mit denen sich Gemüse jeglicher Art blitzschnell in alle nur erdenklichen Formen hobeln und raspeln lässt. Mit Geräten die in Windeseile zusammengebaut und nach Gebrauch kinderleicht gesäubert werden können. Während der Vorführung. Zu Hause dann nicht mehr. In der Woche nach der Dult hört man den besten meiner Freunde fluchen und schimpfen – über das Graffel und Klump, das er sich da gekauft hat und das  so kompliziert und unhandlich ist, dass er doch wieder den alten Gurkenhobel aus der Schublade holt. Bis zur nächsten Dult. Da steht er wieder vor einem Stand, schnalzt mit der Zunge und lässt sich erklären, dass das, was da gerade präsentiert wird, endlich und zweifellos das ist, wonach er suchte. 

Gleich nebenan steht Frau Hinteranger aus meinem Haus und kauft Politur – seit  Jahren. Auch sie sucht nach der einen, perfekten. In ihrem Fall die eine, die ihren alten Eichenholztisch wieder in altem Glanz erstrahlen lässt. Seit ein Schwamm mit Politur in ihrem Putzeimer Feuer gefangen hat lässt sie sich die Inhaltsstoffe ganz genau erklären und das kann dauern. Bei Herrn Meier geht es schneller. Der steht beim fliegenden Jakob und kauft ein Paar Hosenträger, Schuhwixe und ein Stück Kernseife. Er ist schnell, weiß was er will und ist die restlichen Tage auf den Holzbänken vor der Fischer Vroni zu finden wo er bei Steckerlfisch und einer Maß Bier Audienz hält. Er kennt die Viertel und ihre Bewohner und muss niemanden suchen. Seine Bekannten wissen wo er zu finden ist und kommen zu ihm. Bei der Fischer Vroni findet man die älteren Männer unseres Viertels und zunehmend auch die jüngeren, wenn ihnen mit Mitte Dreißig klar geworden ist, dass es langsam albern ist, wenn sie weiter am Autoscooter stehen und kein Kind dabei haben. Mit Kindern stehen sie dann eh viel eher vor dem Kettenkarussell oder beim Dosenwerfen und sind froh, wenn sie danach bei einem Bier neben Herrn Meier ausruhen können. 

Das Bier in der Sonne gönnen sich natürlich auch die Münchner Frauen. Trotzdem findet man die noch öfter beim Geschirr. Nicht wegen irgendwelchen Rollenklischees, sondern weil wir Frauen halt doch einen besseren Blick für das Schöne und ganz besondere haben. Und das ist es wirklich. Für jeden Geschmack ist etwas dabei und die Handwerkskunst ist so schön zum Anschauen, dass es eine Freude ist durch die Porzellangasse zu schlendern und das eine oder andere Stück mit nach Hause zu nehmen.

Mich finden Sie übrigens bei den Büchern. In der Antiquitätengasse gibt es zwischen viel Ramsch und Schmarrn auch wunderbare alte Möbel, herrliche Schmuckstücke, Bilder und ach….alles. Auch Bücher. Die stehen in uralten Schränken und Regalen und warten auf mich. Ganz wunderbare Schätze habe ich dort schon gefunden.  Kein Fontane wurde je neu gekauft und kein Klassiker in meinem Regal ist nicht zuvor schon durch viele Hände gegangen. Wo genau ich zu finden bin, erfragen meine Nachbarn und Freunde am Stand „Münchner Bücher“. Dort bringe ich meine eigenen zum Verkauf und seit ich dort gedruckt und käuflich zwischen Münchner Kleinoden liegen darf, mag ich Dult noch mehr. Ich bin eine kleiner Teil von ihr und wenn man dort eines der Vorderhaus Bücher kauft, dann riecht es nach Zuckerwatte und München. Dem echten München und dem schönen München.

Heute ist sie noch, die Dult. Die letzte des Jahres. Die Sonne scheint und ich glaube auf meinem Balkon riecht es ein wenig nach Zuckerwatte und gebrannte Mandeln. Ein Kaffee noch, dann muss ich los. Kettenkarussell fahren, Seife kaufen und nach Büchern schauen. 

 

25 Gedanken zu “Gurkenhobel, Kernseife und Bücher

  1. Damals, als ich noch in München wohnte, verging keine Dult ohne mich. Jedes Jahr konnte man mich mit neuen Hosenträgern bewundern. Himmel, waren da komische Dinger dabei! 😆
    Auch an dem alten Lanz-Bulldog kam ich nie vorbei.
    Ich sollte im nächsten Jahr wirklich wieder einmal dort hinfahren und alte Erinnerungen auffrischen. 🙂

    Liebe Grüße,
    Werner

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  2. Bayern hat nicht nur die meisten Feiertage, sondern offenbar auch die meisten Rummel. Beim Lesen deiner Impressionen, fragte ich mich, liebe Mitzi, was denn die Küchengerätevorführer für besondere Menschen sind, weil ihnen alles so prima von der Hand geht, was sich zu Hause kaum nachvollziehen lässt. Werden sie in monatelangen Seminaren trainiert oder kommen sie gar von einem anderen Planeten?

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  3. Eine Liebeserklärung an den Heimat-Stadtteil, ungebrochen, vielleicht bereichert durch gelegentliche Eskapaden in südliche Gefilde. Die Jahrmarkts-Erfahrung mit Kindheits-Erinnerung und Einschreiben in die lokale Literatur.
    Bedarfsdeckung mit den mehr oder weniger nötigen Dingen. Wann gibt es den 3D-Gemüse-Drucker?
    Hierzustadt der Oster- und Herbstmarkt, auch der Christkindlesmarkt mit ihren jahreszeitlichen Sortimenten. Die Michaelis-Kirchweih in Fürth dürfte mit dem Straßenmarkt dem Auer Dult-Gefühl näher kommen als die verschiedenen Kärwa-Orte im Fränkischen, die weniger marktförmig ausfallen, wiederum gleichfalls als zentrale jährliche Treffpunkte.
    Schöne Grüße

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    1. Danke dir für die Beispiele andere Märkte. Ich bin sicher, dass ein jeder von ihnen auf seine Art etwas besonderes ist und von Menschen mit Erinnerungen verknüpft wird.
      Ein Gemüsedrucker… noch erscheint es uns eine irrwitzige Idee zu sein. Aber wer weiss…..
      Liebe Grüße

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  4. Was es bei euch auf dem Dult so alles gibt, das Nütztlichste woran ich mich auf dem Dom erinnern kann wäre mein heiß geliebtes Kucheltier, was ich vor 13 Jahren dort beim Entchenangeln gewonnen habe. Letzteres ist sowieso Tradition, da kann ich Hern Maier absolut nachvollziehen.

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  5. Dult also. Vor gut 15 Jahren habe ich auf einem sogenannten Dult einen UNIVERSAL LEDERBALSAM mit echtem Bienenwachs! gekauft, den ich zum Reinigen meiner Schuhe verwende. Eine erstklassige Tinktur. Da ich schon immer sparsam war, wenn es ums Putzen geht, ist das 250 ml Döschen noch halb voll. Daher werde ich mich in 15 Jahren auf einem Dult wieder mit einem hervorragenden Produkt eindecken … 🙂

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  6. Bei uns war es Weinkost, Feuerwehrheuriger, später eine zeitlang das U4, irgendwie Erinnerungen an ein fast-analoges Zeitalter, obwohl es das sicher heute auch noch gibt fühlt es sich an wie ein Fotofilmfilter, der über den verschwommenen Bildern liegt, die beim Lesen in meinem Kopf entstehen ❤

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  7. Grad steht neben mir ein größeres, blau gesprenkeltes Haferl mit meinem geliebten Milchkaffee. Habe ich vor Jahren auf der Auer Dult gekauft, auch eine Kräuterschere für meine Freundin und ein sehr seltenes Plätzchenbackbuch in einem Dickpappeschuber. Nun lebe ich zu weit weg…

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