Ich – unausstehlich

Wenn mir kalt ist, bin ich unausstehlich. Oft auch wenn ich Hunger habe und meistens, wenn ich zu wenig Schlaf bekomme. Ausnahmslos immer aber, wenn ich morgens feststelle, dass das Zuckerdöschen leer ist und irgendein Depp vergessen hat, das große Zuckerglas aus dem das Döschen gespeist wird, aufzufüllen. Blöd, dass er Depp meistens ich bin und ich niemanden verantwortlich machen kann. Dann bin ich unausstehlich und strecke meinem Spiegelbild beim Zähneputzen die Zunge raus. Das hat es verdient. So blöd, sich mindestens einmal monatlich den morgendlichen Kaffee zu versauen, kann auch nur die verschlafene und zerzauste Blondine im Spiegel sein. Momentan sei ich wie die Axt im Walde, sagt mir einer, der heute morgen ebenfalls gerne etwas Zucker in seinem Kaffee gehabt hätte und ich drossle meine Unausstehlichkeit ein wenig, weil ich ahne, dass die Kombination aus unausgeschlafen, verfroren und zuckerlos, vor sieben Uhr morgens, selbst für den geduldigsten Mann eine zu große Herausforderung darstellt. Bei meinem Nachbarn Paul, den ich kurze Zeit später im Müllkeller treffe, drossle ich gar nichts. Paul hat – als durchlaufenden Posten – Freundinnen, die halb so alt wie er sind und die haben mit Anfang zwanzig noch nicht gelernt, sich zusammen zu reißen. Ein weiteres motzendes Weib dürfte also nicht ins Gewicht fallen und ich pampe ihn zur Begrüßung erst einmal an, weil er mir den versifften und widerlich klebrigen Deckel der Mülltonne nicht auf hält. 

Kein Wunder, dass er sich nur mit halben Mädchen verabredet. Von Frauen hat mein Nachbar keine Ahnung. Sonst wüsste er, dass ein süffisantes Lächeln und eine angedeutete Verbeugung bei einer so offen zur Schau gestellten Unausstehlichkeit wie der meinen, absolut nicht angebracht ist. Na hopp, bitte oder fauche ich und deute auf den noch immer geschlossenen Deckel der Mülltonne. Sein Lächeln wird zu einem breiten Grinsen und vielleicht kennt er sich doch ein wenig mit Frauen aus, weil das Grinsen extrem breit und auch süß ist. Ob ich gerade ernsthaft „hopp“ gesagt hätte, will er wissen und öffnet kopfschüttelnd den Deckel. Ich antworte mit einer entschuldigenden Schnute, von der ich tief im inneren weiß, dass sie nicht zu einer erwachsenen und emanzipierten Frau passt und zucke mit den Schultern. Ne, hab ich nicht, lüge ich und werfe den Müll weg. Jetzt bin ich sogar mir selbst ein wenig zu unausstehlich und weil man mich so nicht unter Menschen lassen kann, erkläre ich meinem Nachbarn, dass ich durchaus bereit wäre, jetzt sofort bei ihm einen Kaffee zu trinken. Sofern er Zucker im Haus hat. Er hat und nur weil er hatte, erkläre ich wenig später meiner Nachbarin Frau Obst nicht im Detail, wie sehr mir ihre Zettel im Briefkasten auf die Nerven gehen. Ich weiß selbst, dass mein Küchenfenster geputzt werden muss und es ist mir schon klar, dass die Sonne jetzt tiefer steht und man – also eigentlich nur sie – vor meinem Fenster stehend deutlich die Staubflusen auf meinem Wohnzimmertisch sieht. Sofern man die Hände ans Glas legt und sich die Nase ein wenig platt drückt. Ich hab es ihn nicht gesagt. Der Kaffee war ok, aber kalt ist mir noch immer und mein unausstehliches Ich hätte sicher einen falschen Tonfall angeschlagen.

Das gleiche Ich vergreift sich wenig später völlig im Ton, als der Hausmeister der Firma in der ich arbeite fragt, warum um alles in der Welt ich bei 4 Grad Morgentemperatur mit offenen Schuhen das Büro betrete.  Ja, warum wohl, gifte ich ihn an und frage mich wie er nicht sehen kann, wie wunderschön meine goldbraunen Zehen mit dem hellrosa Nagellack aussehen. Ich halte mich im Türrahmen fest und heb mein Bein hoch (ich mache seit Jahren Yoga und kann einem mittelgroßen Mann meinen Fuß unter die Nase halten). Da! Ich war 10 Tage am Meer und in der Sonne. Ich bin so braun wie lange nicht mehr. Und es ist nicht meine Schuld, dass es hier schon so schnell und so völlig überraschend Herbst und saukalt geworden ist. Jetzt habe ich die braune Hautfarbe, die ich von meinem Vater geerbt habe und weil ich sie jetzt endlich wieder habe, zeige ich sie auch. Der Hausmeister zeigt mir einen Vogel und ich versuche es mit der entschuldigenden Schnute. Klappt nicht. Meine Kollegin Carmen, die mich vom Lift aus beobachtet hat kommt in der Mittagspause zu mir und erkundigt sich nach meinem Resturlaub. Einen Tag hab ich noch. Reicht, sagt sie und fordert meine Kreditkarte. 

Sie hat mir nach Allerheiligen den Montag als Urlaub eingetragen, mir eine Verbindung nach Genau rausgesucht und mit der Kreditkarte auch gleich bezahlt. Wir wären wohl wieder so weit, meint sie und ich nicke zerknirscht. Ja, ich bin wieder so weit. Ich bin da, wo ich vor zwanzig Jahren schon mal war. Es ist nicht das Wetter. Nicht der fehlende Zucker und nicht das ungeputzte Fenster. Alleine ich bin es. In meinem Bauch ist wieder die Sehnsucht die dazu führt, dass ich alle paar Monate weg muss. Und wenn es nur für einen kurzen Moment ist. 

Ich bin jetzt pleite und ohne weitere Urlaubstage. Meine Freunde und meine Familie lächeln nachsichtig. Sie kennen es von früher. Nur der, mit dem ich morgens den Zucker teile, erkundigt sich vorsichtig ob das jetzt so bleibt, diese Stimmungsschwankungen. Ich nicke freudestrahlend. Oh ja, aber das sei kein Problem – im November bin ich noch mal kurz weg und ab Januar hab ich ja neuen Urlaub. Und sparen kann ich auch. Alles kein Problem. Er wird sich daran gewöhnen müssen. Er, Paul und all die anderen, die noch nicht wissen wie unausstehlich ich bin, wenn ich Sehnsucht habe.

 

Und falls Sie es nicht wissen…..ein Unverdautes Brioche führte dazu, dass es erst seit etwa zwei Jahren „wieder so weit“ ist. Es war schon einmal so weit. Das können Sie hier im Detail nachlesen.

 

14 Gedanken zu “Ich – unausstehlich

  1. Deine Unausstehlichkeit wird durch die begleitende Selbstreflexion hübsch gemildert, dass so dass sie aus der Distanz gut zu ertragen ist, liebe Mitzi. Freilich würde ich niemals auf „hopp“ einen Mülleimerdeckel öffnen, nicht für dich oder irgendwen. Dieser Paul hat wirklich etwas Wunderbares.

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    1. Ich bin froh zu hören, lieber Jules, dass du auf „hopp“ nicht reagierst. Bei meinem Nachbarn habe ich einiges gut, vermutlich deswegen. Allerdings dürfte ich mein Kontinent damit auch erst mal ausgeschöpft haben. 😉

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  2. ich hab heute auch so einen tag. plötzlich ist es gekommen, auf einmal und eigentlich weiß ich – im gegensatz zu dir leider so gar nicht, woher es kommt und was es ist und vor allem: was ich dagegen tun kann. hmpf.

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  3. Ja, diese Banausen, die nicht erkennen können oder wollen, wie schön braun gebrannt man aus dem Urlaub kommt. Gut, das Bein hoch heben fällt mir bei meinen Rücken schwer und Nagellack trag ich auch keinen. Aber im Gesicht müsste man es erkennen … 😉

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