Vom Atmen und von Parkplätzen

Der, der ab und zu mit einer Flasche Wein vor meiner Tür steht, fühlt sich in der U-Bahn nicht wohl. Es ist nicht sein Terrain, aber heute hilft es nichts, weil sein Auto abgeschleppt wurde. Obwohl ich eine U-Bahn Fahrt längst nicht so schlimm finde wie er, sage ich es ihm nicht. Ich bin still, weil er schlechte Laune hat. Früher hätte ich einen mit schlechter Laune gebeten, sie nicht an mir auszulassen. Heute oft nicht mehr. Auch weil die Tatsache, dass wir in der U-Bahn und nicht in seinem Auto sitzen, in der etwas zu kreativen Wahl des Parkplatzes begründet liegt, mit der ich sein Auto am Vorabend in Schwabing abgestellt habe. Bei einem abgeschleppten Auto kann man durchaus ein wenig sauer sein, aber eine so schlechte Laune ist unangebracht. Denke ich. Sage ich aber nicht, weil ich mein Gegenüber mittlerweile kenne und am Klang seiner Atemzüge erahne, dass es klüger und für den Verlauf des restlichen Wochenendes elementar wichtig ist, dass ich den Mund halte. Selbstredend, dass mein Beitrag zu einem harmonischem Wochenende weder registriert noch honoriert wird. Er wird weggeatmet. Männer können das. Die artikulieren ihre schlechte Laune anhand tiefer Atemzüge und halten diese für vollwertige Sätze. Auch eine Kunst.  

Man könnte bei schlechter Laune mit seiner Freundin sprechen. Könnte ihr ganz einfach sagen, dass man gerade echt mies drauf ist und lieber allein sein möchte. Neun von zehn Freundinnen würden mit hoher Wahrscheinlichkeit erleichtert nicken und sich dankend aus dem Dunstkreis der tiefen Atemzüge entfernen. Es ist ja nicht so, dass Beziehungen an schlechter Laune scheitern. Meiner Erfahrung nach, wählen aber neun von zehn Männern lieber den Weg, des Schweigens. Gerne von Sätzen wie „ist ok“ oder „passt schon“ eingeleitet. Ganz abgesehen davon, dass Sätze für meinen Geschmack gerne aus mehr als nur zwei Worten bestehen dürfen, ist das natürlich Blödsinn. Es ist nicht ok und es passt nicht. Würde es ok sein und passen, dann käme innerhalb der nächsten Stunde noch ein weiterer Satz. Kommt gar nichts mehr, dann erkennt die kluge Frau, dass nichts, aber auch gar nichts passt. Wegen eines abgeschleppten Autos. Eines Gebrauchsgegenstandes, von dem sie sich sogar noch erboten hat, ihn alleine auszulösen und abzuholen. Was sie aber nicht darf, weil „passt schon“ der Mann dem irrwitzigen Glauben unterliegt, dass es der Beziehung und ihm gut tun würde, wenn man den Samstag gemeinsam verbringt. An sich kein blöder Gedankengang. Wenn man oder Mann sich aber schon entschieden hat, schlecht gelaunt zu sein, dann bringt das auch nichts mehr. 

So ein atmender, stiller Mann neben einem, der kann einen wirklich wütend machen. Ich werde selten wütend. Ein bisschen angefressen ab und zu, das ja, aber wütend, nein, wütend bin ich eigentlich nie. In der U-Bahn neben meinem atmenden und stillen Mann, heute schon. Mit jeder schweigend passierten Station mehr. Stationen an denen ich hellsehen kann und soll, was sich hinter seiner Stirn, die so missmutig kraus gezogen ist, verbirgt. Ist es noch das Auto? Oder vielleicht der letzte Schluck Milch den ich mir heute morgen in den Kaffee kippte und nicht geteilt habe? Oder etwas ganz anderes? Vielleicht etwas grundsätzliches, das zwischen uns schief läuft? Könnte man doch ansprechen bei einer U-Bahnfahrt. So heimelig und sanft schaukelnd, wie das hier ist. Weil er es nicht tut, tue ich es. Kurz vorm Sendlinger Tor frage ich ihn, was zwischen uns eigentlich schief läuft, wann wir angefangen haben uns so zu entfremden und warum er mir Milch, die ich selbst gekauft habe, so neidet? Obwohl ich wütend bin, lasse ich ihm Zeit nachzudenken. Ich bin erwachsen und weiß, dass man andere nicht zu Antworten drängen sollte. Auch wenn es schwer fällt. Dauert ein bisschen, aber dann antwortet er. „1. Nichts. 2. Etwa seit 30 Sekunden. 3. Spinnst du?“ 

Es ist kompliziert, sagt er. Das Zwischenmenschliche. Nein, widerspreche ich, es ist so einfach,  dass ist fast schon banal ist. Die Liebe ist ganz einfach, wenn man manchmal aufhört zu denken. Eine Weile sieht er mich schweigend an, dann nickt er. Einfach aufhören zu denken, sagt er, so wie bei der Parkplatzsuche. Das hätte ich ihm voraus.

Es wird heute nichts mehr mit uns. Heute atmet er und mich treibt sein Atmen in den Wahnsinn. Ich steig aus, sage ich und das erste Mal an diesem Tag lächelt er. Danke, sagt er und dass er später vorbei kommt – mit Auto. Sein Lächeln wird verschwinden, wenn er bemerkt, dass sein Autoschlüssel in meiner Handtasche ist. Ich vermute, dass ich ihn heute nicht mehr sehen werde. 

28 Gedanken zu “Vom Atmen und von Parkplätzen

  1. Au weia … und wie machst du das nur, dass ich trotzallem hier sitze und schmunzele?
    Weil es mir so bekannt vorkommt und weil du so bist wie du bist? Ja auch, aber dann eben auch wieder nicht.
    Herzliche Grüsse
    Ulli

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    1. Ich kann es dir nicht sagen, aber so soll es ja sein….das du schmunzelst. Über einen handfesten Beziehungskrach ohne eine gewisse Komik würde ich wahrscheinlich eh nicht schreiben ;). Nur das, was wir alle ähnlich schon erlebt haben.
      Liebe Grüße
      Mitzi

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  2. Gerade jetzt, wo es anfängt spannend zu werden… Naja, passt scho… 😉
    Das ist er jetzt aber selber schuld, wenn gleich sein Lächeln entwischt, spätestens, wenn er vor seinem Auto steht. 😀

    Viele liebe Grüße,
    Werner

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  3. Der Schluss ist so lustig, liebe Mitzi! Ich wollte mich gerade zurücklehnen, da kommt die Pointe mit dem Schlüssel und ich musste lachen. Zuvor war ich nicht ganz einverstanden mit der Pauschalisierung „Männer können das.“ Dieser spezielle Mann kann das. Frauen können das auch. Soo groß ist der Unterschied nämlich gar nicht.

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    1. Dass du nicht ganz einverstanden bist, mit einer solchen Pauschalisierung, lieber Jules, wundert mich nicht. Im Gegenteil, es wäre seltsam, wenn du es wärst.
      Aus Sicht einer gerade verstimmten Frau geschrieben, sind es aber – auch wenn es ungerecht ist – „die Männer“. Da du mich kennst, ahnst du, dass diese Verallgemeinerung nicht lange anhält ;).
      Liebe Grüße

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  4. Wenn schon nicht wütend, aber biestig kannst du manchmal sein. Siehe: „Sein Lächeln wird verschwinden, wenn er bemerkt, dass sein Autoschlüssel in meiner Handtasche ist. Ich vermute, dass ich ihn heute nicht mehr sehen werde. “ *grins*

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    1. Liebe Clara, Sie haben das Wort „biestig“ benutzt. Ich übernehme es mal ungeprüft, ob es zu Mitzis Geschichte passt.
      Aber eines habe ich auch schon gemerkt, dass manche Frauen einen Heidenspaß daran haben, mal biestig zu sein. Das muss ein Mann berücksichtigen, wenn er der Liebsten eine Freude gönnen will. 😉
      Gruß Heinrich

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      1. Liebe Clara,
        wenn ein Durchschnittsmann wie ich einer so lebenserfahrenen Frau wie Ihnen begegnet, wächst er über sich hinnaus. 😉
        Gruß Heinrich

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      2. Hallo Heinrich, ich kann mit Thieß Blog oder ihren nicht hier über mein Handy aufrufen. Aber ich kann sagen, dass mir Mitzi die Arbeit schon abgenommen hat mit dem Streichen der lila Wände. Sie hat in zwei Zimmern eine Wand im Flieder farbig gestrichen. Das ist ein sehr helles Lila, aber es gefällt mir trotzdem. Ich werde also nichts verändern Punkt außerdem ist es viel zu heiß zum Arbeiten

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  5. Hallo Mitzi! ja so was … Zwei Jahre bin ich vom Harras übers Sendlinger Tor zur Maximiliansuni gefahren – ich weiß also genau, wovon du sprichst, schmunzel … Alles Gute, Nessy

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  6. Ja,okay, ich hab´mich blöd ausgedrückt! Was ich eigentlich sagen wollte ist, dass ich unter anderem die sanft scaukelnde U-Bahn, aber auch die Parkplatzsituation in Schwabing kenne und weiß, dass Parken auf einem regulärem Parkplatz ein Ereignis ist, dessen Wahrscheinlichkeit stark gegen 0 tendiert … Da muss ER wirklich nicht komisch atmen … Deine Geschichte kam mir so herrlich aus dem Leben gegriffen vor, dass ich mich wieder großartig amüsiert habe! Danke Dir dafür und alles Liebe, Nessy

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    1. Nein, du hast dich gar nicht blöd ausgedrückt. Ich hab zu knapp geantwortet und es tut mir leid, wenn es etwas ruppig klang.
      Ich freu mich, wenn du weißt wovon ich schreibe und gerade die Parkplatz Situation in Schwabing verstehst. 😊
      Ganz liebe Grüße und immer reichlich (legale) Parkplätze 😉

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  7. Manchmal weiß ich nicht, was schlimmer ist atmende, stille Menschen oder diese passiv-agressive Sorte, die drei Tage lang beleidigt ist und vorher aber nicht damit rausrückt was eigentlich quer sitzt. Wer nicht reden will kann es doch aufschreiben oder zeichnen… Besonders letzteres kann sehr lustig werden und hebt gleichzeitig die Laune (oftmals)

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