Geht nicht mehr

Dein stummes Kopfschütteln bittet mich den Mund zu halten und der Blick in deinen Augen sagt mir, dass es dir ernst ist. Sag nichts, bittest du mich und ich sehe, dass du weißt, dass ich nicht still sein werde. Ich war es. Über Wochen und über Monate hinweg. Habe nichts gesagt, weil es mich nichts angeht und weil man sich in die Leben anderer nicht einmischt. Nicht, wenn es sich um Bekannte und nicht um Freunde handelt. Es gibt Dinge, die unausgesprochen bleiben müssen, wenn niemand danach fragt. Und doch fragen sie, blicken Beifall heischend in die Runde und suhlen sich in ihren Problemen, die gleich viel schicker klingen, wenn man ihnen ein wenig Dramatik um die Schultern legt. Ich sehe dich. Sehe wie du an der Bar stehst und mir nach einem letzten bittenden Blick den Rücken zuwendest. Wärst du noch wirklich hier, würdest du dir jetzt einen Gin Tonic bestellen, ihn in Ruhe trinken und dann, fünfzehn Minuten später, wortlos meine Hand nehmen und mich vom Schlachtfeld dieses Tisches ziehen. Du hättest nichts gesagt. Wärst in der Runde gesessen und nur am Spiel deiner Gesichtsmuskeln hätte man erahnen können, wie zuwider dir dieses Gespräch ist. Wahrscheinlich nicht einmal das. Abscheu und Widerwillen ist nur schwer zu erkennen, wenn sie sich hinter einem süffisanten Schmunzeln verbergen. Ich hätte es gesehen und sehe es auch jetzt in deinem Rücken. Idioten, sagt dein Rücken und ich sage es auch. Laut und deutlich. Nur ohne das süffisante Schmunzeln, das die Schärfe aus den Worten genommen hätte. Glückwunsch murmelt dein Rücken und ich vermisse deine Hand, die mich aus dem emotionalen Schlachtfeld dieses Abends führt. Jeder Blick ein Vorwurf und jeder Atemzug ein zerbrochenes Glas. Mund halten. Drei Atemzüge lang, dann entschuldigen, aufstehen und gehen, sagt dein Rücken und ich höre auf ihn. Schadensbegrenzung war eine deiner Kernkompetenzen.

Meine nicht. Ich bin still. Wochen- und Monatelang. Dann sage ich etwas und es ist nie das richtige, nie das passende und immer im falschen Tonfall ausgesprochen. Du lachst und schüttelst den Kopf. Sagst, du würdest es mögen. Hättest es immer gemocht. Diese plötzliche, unberechenbare Meinungsäußerung, die meist aus nur wenigen Worten besteht. Immer deplatziert, zu impulsiv und ausnahmslos viel zu emotional. Ich habe vergessen zu bezahlen, fällt mir ein und ich schaue zurück. Dicht an meinem Ohr höre ich dein Lachen und es erinnere mich, dass eines meiner letzten Worte „Idioten“ war. Eine zehn Euro Rechnung fällt vermutlich nicht mehr ins Gewicht. Es steht mir nicht zu, über die Probleme anderer zu urteilen. Sie als hausgemacht zu bezeichnen ist übergriffig, unfair und dumm. Noch nie hat einer von außen in das Innere zweier Streitender blicken können. Und doch geht mir die Banalität ihrer Zweikämpfe auf die Nerven. Dieses Paar, von dem keiner mehr sagen kann, wie es überhaupt in unsere Mitte kam, braucht die Bühne um sich zu bekämpfen und vergiftet die schönen Abende, die wir haben. Ohne sie hätten. Und trotzdem, in meinem Alter beschimpft man streitende Paare nicht, sondern hat darüber hinweg zu sehen. Wieder höre ich dich leise lachen und ahne, dass ich künftig auch keine Gelegenheit mehr dazu haben werde. Wer andere vor dem Dessert als Idioten bezeichnet, wird kaum mehr eingeladen werden. Ob mich das traurig machen würde, fragst du und ich schäme mich ein wenig, weil es mich  kein bisschen traurig macht. Still gehst du neben mir und ich wundere mich, weil ich dich lange nicht mehr gesehen habe. Ein banaler Pärchenstreit, ausgetragen auf großer Bühne, reicht nicht um dich auftauchen zu lassen. Sicher, höre ich dich wortlos fragen und weiß nicht was du meinst. Sicher, dass es banal ist, hilfst du mir auf die Sprünge und siehst mir hinterher, als ich kopfschüttelnd zurück gehe. Zu den Idioten.

Da sitzen zwei und streiten sich. Hysterisch angehauchtes Angiften, weil es sich nicht schickt in einem Restaurant zu brüllen. Verletzen sich mit jedem Bissen und versuchen den Zuschauern ihre blutigen Gabeln in die Hände zu drücken, damit sie Stellung beziehen, applaudieren und urteilen. Idioten. Dumme, dumme Idioten. Niemanden außer ihnen interessiert es, ob er den Klodeckel nicht nach unten klappt oder sie ihn mit ihren Selbsthilfebüchern in den Wahnsinn treibt. Und weil sie, die giftende Idioten, das steigende Desinteresse am Tisch bemerkt, zieht sie die letzte Waffe. Die funkelt so schick und grell, dass man ihr zuhören muss. Auch die, die gerade einfach abgehauen ist – ich- , muss es. Ob sie will oder nicht.

Ich nehme den Idioten, der übrig geblieben ist, an der Hand. Seine Frau ist weg. Es gehört zu ihrem Auftritt, dass sie abhaut. Geht und schreit, dass  sie kann nicht mehr. Ich stell ihn vor das Damenklo. Bleib, sie kann nicht mehr, sag ich und gehe zurück zum Tisch, an dem jetzt keiner mehr sitzt. Oh, sie kann noch. Wer lächelnd so giftet und sich so theatralisch im Klo einsperrt, der kann noch. Der kann noch ganz lange. Ist doch so, frage ich dich und sehe dein Bild, das sich im leeren Weinglas spiegelt. Du zuckst mit den Schultern. In 99,9 Prozent der Fälle vermutlich ja. Und deshalb sitze ich jetzt hier. Wegen einer 0,1 prozentigen Wahrscheinlichkeit, das eine nicht mehr kann und es diesmal ernst meint.

 

 

13 Gedanken zu “Geht nicht mehr

  1. Meist sind es die, die nicht so ein Theater machen, die nicht mehr können. Ich finde es immer traurig, wenn eine Beziehung dieses Stadium erreicht.
    Du hast es faszinierend aus der Perspektive des Aussenstehenden geschrieben. Ein Text, den man sehr oft lesen kann.

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  2. Was ich den Idioten sagen würde, hängt davon ab wie gut ich sie und ihre Eigenarten kenne. Aber es könnte auch sein, dass ich genervt die Arena verlasse. Schwierig wird es für mich immer, wenn ich zu zweit anwesend bin und meine Frau das ganz anders sieht als ich.

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    1. Ja, dann ist es schwerer. Man kann und will den Partner ja nicht einfach sitzen lassen. Ich bin meist diejenige die sich ihren Teil denkt und nichts sagt, weil ich Streit einfach nicht mag und besser darin bin, still zu sein. Meistens…nicht immer.

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  3. gefällt mir mal wieder sehr, wie du dich beschreibst als Zuschauerin eines Dramas, die besser daran täte zu gehen, aber dann doch nicht geht. Dir ist natürlich klar, dass die Themen, über die sich das Paar streitet, vollkommen nebensächlich sind. Der Streitgrund liegt etliche Etagen tiefer. Und nur der würde mich auch interessieren, wenn ich als Ehetherapeutin herangezogen würde. Aber vielleicht wollen sie ja gar keinen Therapeuten und haben sich in ihrem Drama häuslich eingerichtet.

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    1. Danke, Gerda. Die Etagen darunter, die sind es die es so schwierig machen an solche Paare ranzukommen. Ich kenne eines, das sagte einmal bei einem solchen essen „wir reden heute nicht miteinander, weil wir uns heute nicht mögen“. Das fand ich erstaunlich ehrlich und damit konnte jeder umgehen. Wahrscheinlich auch, weil es jeder kennt. Die Tage an denen man sich nicht mag, obwohl man sich sehr gerne hat.

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  4. ich finde durchaus nicht, dass man über sowas hinwegsehen muss. ich finde durchaus, dass man idioten beim namen nennen kann. und dass du bleibst, wegen diesem verschwindend geringen prozentsatz ist einer der punkte, der dich zu einem der schönsten menschen macht, die ich ein ganz kleines bisschen kennen darf.

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  5. Wer in einem Restaurant, das ja gewissermaßen eine Belohnung darstellt, nicht selbst kochen zu müssen, sondern verwöhnt zu werden, streitet und brüllt, der ist für mich eindeutig ein Idiot, nein, schlimmeres, und hat, in seinen läppischen Problemchen versunken, überhaupt nichts verstanden.
    Wie immer: furios und leidenschaftlich verfasst … Große Klasse! … 😉

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