Italienische Tage

Auf der Straße vor meinem Fenster fährt ein Mofa vorbei. Es rattert, stottert, stoppt und läuft eine Weile im Leerlauf bevor es knatternd und stinkend wendet und die Straße zurück fährt. Das muss es wohl, denn wäre es nur einmal unter meinem Fenster vorbei gefahren, dann hätte der Lärm seiner dünnen Reifen und seines scheppernden Auspuffes womöglich nicht gereicht um mich zu wecken. In Italien wird man so geweckt. Jedenfalls dann, wenn man in einer kleinen Seitenstraße mit Kopfsteinpflaster wohnt. In München auch. Auf wundersame Weise knattern die Mofas in München aber nur im Hochsommer so laut unter meiner Wohnung vorbei. Im Halbschlaf und noch in den Traumresten gefangen bin ich mir nicht sicher ob ich in München bin. Es ist so heiß, dass ich mir die Haare zum Schlafen nach oben gebunden und die Bettdecke vor Tagen schon gegen ein dünnes Leintuch ausgetauscht habe. Es ist das gleiche blasgrüne Tuch in dem ich schon in Verona geschlafen habe. Alt und an manchen Stellen fadenscheinig dünn – perfekt für Nächte in denen es nicht mehr abkühlt. Hässlich ist es, höre ich und schiebe den, der es sagt zur Seite, so wie ich es vor Jahren mit einem anderen gemacht habe. Italienische Nächte sind herrlich. Für Intimitäten, die ein Minimum an Körpereinsatz voraussetzen, aber nicht zu gebrauchen. Es ist zu warm.

Zu warm zum Denken. Das macht nichts. An italienischen Tagen beschränkt man das sowieso besser auf ein Minimum. Morgens um sechs geht es noch, sofern man den Milchkaffee durch einen Espresso mit drei gehäuften Teelöffeln Zucker und einen Eiswürfel ersetzt. Der Zucker ist verhandelbar, der Eiswürfel nicht. Auch morgens um halb sieben, muss man unbedingt darauf achten, im Schatten zu bleiben. Die Münchner wissen das nicht und blinzeln verschlafen in die Sonne. Ich könnte es ihnen sagen. Könnte ihnen verraten, dass in jedem Körper ein kleines Heizkraftwerk inne wohnt, dass man an italienischen Tagen auf keinen Fall vor zehn Uhr morgens in Betrieb nehmen darf. So lange es nur irgend geht muss man einen kühlen Kopf, einen lauen Bauch und frische Zehen behalten. Sonst kommt man nur schwer durch den Tag. Nach ein paar Jahren Italien weiß ich das. Die Münchner nicht. Sie stehen morgens in der Sonne und kollabieren am frühen Nachmittag. Ich könnte meinen Kollegen verraten, dass ihr Lüften um neun Uhr morgens Blödsinn ist. Vor zwei Stunden schon habe ich es in allen Zimmern gemacht und gebe die Hoffnung nicht auf, dass das uneinsichtige Volk die Fenster danach nicht mehr aufreißt. Sinnlos – sie machen es und schwitzen ab elf trotz Klimaanlage. Ich sitze am Schreibtisch und bewege allenfalls den Kiefer und die Finger. Das muss so sein, sonst schwitzt man erbärmlich – in erster Linie, weil die Lüfter durch das Öffnen der Fenster die Bemühungen der Klimaanlage ad absurdum führen.  Mittags rennen sie nach draußen um den schönen Sommer zu genießen. Ich verteile großzügig Sonnencreme und stelle für die, die sie ablehnten, Quark in den Kühlschrank um ihre roten Nasen am frühen Nachmittag zu behandeln. Ich selbst verlasse das Büro natürlich nicht, da sich im Umkreis von einhundert Metern  kein See und kein Fluss befinden in dessen Wasser ich mich stürzen, nein, sanft gleiten lassen könnte.

Abends schleiche ich im Tempo einer Achtzigjährigen zur S-Bahn und achte darauf im Schatten zu bleiben. Unter meinen Achseln sind keine Schweißflecken stelle ich zufrieden fest und biete Kollegen die ich treffe an, unter die ihren ein wenig Deo zu sprühen. Ich hab es präventiv dabei und weiß ja, dass die uneinsichtigen meist doch einen Sprint zur Bahn einlegen. Verabredungen zum Essen lege ich auf nach neun Uhr und treffe mich ausschließlich beim Italiener oder Griechen. Die fragen sich wie ich, wie man bei den Temperaturen vorher auch nur einen Bissen herunter bekommt. Gar nicht. Verdauen ist anstrengend. Gegessen wird nach Sonnenuntergang. Vorher setzt man sich an den Eisbach oder die Isar und hält die Füße ins Wasser. In Verona ging das nicht – die Adige (die auf deutsch einen Namen hat, den ich mir nicht merken kann) ist in der Stadt nur schwer zugänglich und Abkühlung verschafft man sich am besten in klimatisierten Läden. Ich empfehle Gucci in der Innenstadt. Dort herrschen Temperaturen um die sechzehn Grad und es gibt bequeme Sofas auf denen man rasten kann. Keine Sorge, man muss nichts kaufen. Ab einer gewissen Preisklasse der Waren ist das Personal zu höfflich um einen rauszuschmeißen. Wenn es doch passiert – Supermärkte gehen auch. Allerdings ohne Sofa.

35 Gedanken zu “Italienische Tage

  1. Liebe Mitzi,
    ich habe gerade gegrübelt, warum ein blassgrünes Tuch für Intimitäten, die ein Minimum an Körpereinsatz voraussetzen, nicht zu gebrauchen ist.
    Erst dann habe ich gemerkt, dass ich für diese Temperaturen zu schnell gelesen habe.
    Es ist einfach ZU warm! 😉
    Gruß Heinrich

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  2. Bei mir am Arbeitsplatz sehen zwei Ventilatoren, sehr angenehm. Das Blöde ist: Sobald man aus dem künstlichen Wind heraustritt, schießt einem der Schweiß um so mehr aus allen Poren. Also besser nicht aufstehen, sitzenbleiben, bis die Sonne untergeht. Das verschafft mir ein hübsches Plus auf dem Zeitkonto. Ich hoffe nur, die Kollegen werden nicht langsam mißtrauisch, da ich immer bei Heißwetter Rücken kriege und deshalb natürlich nicht so gut laufen kann.

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    1. Mit Ventilatoren habe ich es so gar nicht. Wahrscheinlich weil meine Kontaktlinsen die nicht mögen ;).
      Aber das mit dem Zeitkonto ist eine Überlegung wert. Bewegen tue ich mich ja eh schon nicht mehr….

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  3. „Learnt is learnt“ würde vermutlich unser längst verschiedener Bundespräsident Lübke murmeln, , könnte er deine fachfraulichen Anweisungen lesen,. Du kennst die Anekdote? Wie er in Afrika den Arbeiterinnen beim Stanzen sinnend zuschaute und anerkennend murmelte: yes, learnt is learnt. (damit war sein englischer Sprachschatz erschöpft.) Jedenfalls weißt du, wie man sich bei Hitze zu verhalten hat. Und ja, du vergisst den deutschen Namen der Adige immer, weil er peinlicherweise in der ersten Strophe des Deutschlandliedes vorkommt, nicht wahr?

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    1. Learnt is learnt…genau ;).
      Ja, stimmt…die Etsch kommt da vor. Ich habe es nicht mehr gewusst und die erste Strophe auch gar nicht mehr ganz parat gehabt. Dann schon lieber Adige, von der wir schön die Finger lassen.

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  4. Ein Glück, dass du deine „Grundausbildung – Hitze“ vor Jahren in Italien verleben durftest und nun auch noch zum Ausbilder für Kollegen und Freunde wirst. Eine echte Hilfestellung, wenn zumindest eine „einen kühlen Kopf“ bei heißen Temperaturen behält.

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  5. Danke für den Schmunzler am frühen Morgen. Ist schon gleich nicht mehr so heiß; ach so, das kommt ja noch. 🙄
    Als Kind war ich mit den Eltern oft in Südtirol in den Ferien. Da waren an fast allen Häusern die Fensterläden -bis auf kleine Öffnungen- geschlossen. Ich mache das heute noch so, bei mir daheim. 😉
    Ansonsten gilt für mich: Beweg´ dich nicht (oder kaum).

    Liebe Grüße,
    Werner 🙂

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  6. italienische tage, das klingt viel schöner als hundstage, wie diese zeiten in unverkennbar charmantem wienerisch genannt werden. ich halte es da wie du, nur mit dem lüften vor 9 wird es schwierig, weil ich da noch nicht lange im büro bin. allerdings haben wir jetzt die klimaanlage an, die beschattung zu und das fenster bleibt auch zu. so lässt es sich – mit kaltem wasser und nachmittagseis (wahlweise obst) einigermaßen durch den tag aushalten.

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  7. Sechzehn Grad bei Gucci finde ich irgendwie kalt, da die Temperatur ja künstlich herunter gekühlt werden muss.
    Um dies zu ertragen, wäre ein Minimum an Körpereinsatz, sprich Intimitäten nötig, die das Personal – so höflich es ist – vermutlich nicht zulassen würde … 😉

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