Parolacce e sassi

Unsere Abschiede werden leichter, sage ich zu meiner Freundin und bin froh, dass sie nur nickt. Weißt du, erkläre ich ihr, als ich mich auf die dritten Bank innerhalb von 200 Metern setze, ich brauche jetzt nicht mehr lange um mich zu verabschieden. Durch ihr Lächeln lässt sie mich wissen, dass es ihr nichts ausmacht, sich mit mir auf jede freie Bank entlang des Strandes zu setzen und mir beim Starren auf das Meer zuzusehen. Es gibt schlimmere Orte, meint sie schmunzelnd an Bank vier und blickt mir mir Richtung Genua. Sie weiß so gut wie ich, dass es nicht das Meer ist, von dem ich mich nur schwer verabschieden kann. Es ist der mutigste meiner Freunde und seit sie ihn kennt, versteht sie es. Er macht es einem leicht, ihn zu mögen. Wahrscheinlich nicht jedem, aber jenen, die er selbst sympatisch findet. Cret…., setzt die spontanste meiner Freundinnen an und versucht sich an eines der neu gelernten italienischen Worte zu erinnern. Energisch schüttle ich den Kopf. Nein, das bitte nicht, das ist eine Autofahrvokabel und von denen – ganz im ernst – möge sie sich bitte keine merken. Io sono, tu sei, lui é versuche ich sie Verben konjungierend abzulenken und ahne dass es zwecklos ist. Sie saß im Auto neben dem mutigsten meiner Freunde, als wir die kurvige Küstenstraße entlang fuhren. Am Tag des Radrennens Mailand – Sanremo. Der Schwall nicht übersetzbarer Schimpfworte, der auf sie einprasselte hat sich weit besser festgesetzt als alles was ich ihr beizubringen versuchte. Ich könnte mir gut vorstellen, dass sie künftig jemanden mit den Worten „Vattene, cretino“ bittet, ein wenig zur Seite zu gehen. Warum soll es ihr andres gehen als mir. Man merkt sich das, was man vergessen sollte.

Ich merke mir alles und will nichts vergessen. Nicht einen Moment. Kein Lachen, kein Lächeln, keine Umarmung, keine Sekunde. Und deshalb sitze ich auch auf der vorletzten Bank ein paar Minuten und versuche meiner Freundin vorzuschwindeln, dass ich mit Abschieden schon viel besser umzugehen weiß. Sie sagt nichts und lässt mich, weil sie ahnt, dass eine solche Freundschaft einen anständigen Abschied verdient hat. Die letzte Bank lasse ich aus. Es reicht. Ich muss mir das Salz vom Körper waschen, die Fahrräder müssen zurück gebracht werden und einkaufen wollen wir auch noch. Vatt was?…setzt sie an und ich vervollständige inklusive Übersetzung. Ob man das zu dem Polizisten, der uns angehalten hat, hätte sagen können? Nein, bitte nicht. Nur ganz kurz schaue ich noch einmal über meine Schulter zur Bucht und zum Balkon des mutigsten meiner Freunde und dann nach vorne. Wir sehen uns ja wieder. Das tun wir seit über zwanzig Jahren und es ist albern ihn so sehr zu vermissen. Nein, das es ist nicht, aber es ist albern den letzten Abend am Meer mit Tränen in den Augen zu verbringen. Unter meine Kontaktlinsen ist schon so viel Meerwasser, Sand und Sonnencreme, dass Wimperntuschen Tränen keinen Platz mehr haben. Vielleicht bezahlen wir morgen auf der Autobahn besser bar, meint meine Freundin und unter meinen Kontaktlinsen sammeln sich dann doch Wimperntuschen Tränen – vor Lachen. Eine Mautstelle ist nun wirklich kein Problem. Außer ich sitze neben dem Fahrer. Zum Geburtstag schenke ich ihr einen Telepass. Dieses wunderbare kleine Ding, das alle Schranken automatisch öffnet und das es uns künftig ersparen wird, panisch nach einer runtergefallenen Kreditkarte zu suchen. Der Pass wird sich lohnen, da sind wir uns sicher. Längst hab ich sie angesteckt. Meine Bine ist jetzt schon so weit, dass sie für ein Stück Pizza – ein ganz besonderes – für einen Abend mit mir an den Lago Maggiore fährt. Selbstredend auch ans Meer, damit ich dort eine Handvoll schwarzer Steine einsammeln kann. 

Am letzten Abend sitzen wir auf unserer Terrasse und ich bin nicht mehr traurig. Warum auch. Die Wellen unter uns branden seit tausenden von Jahren und werden es weiter tun. Sie warten, bis wir wieder kommen. Das müssen sie, denn meine Heimat ist München und dort sind die Menschen ohne die ich nicht leben kann. Alle außer einem. Einen gibt es, den ich immer ein wenig vermissen werde. Aber das ist in Ordnung. So wie das Meer nicht verschwindet, bleibt auch er. Nur einen Anruf entfernt. Oder 450 bis 700 Kilometer. Das ist nichts, sagt die spontanste meiner Freundinnen und schenkt die letzten Tropfen Wein in unsere Gläser. Eine Tankfüllung nur. Das ist nichts. Wir stoßen an und ich weine ein bisschen, weil ich das immer tue, wenn ich sehr, sehr glücklich bin. „Rompere i coglioni“ murmelt meine Freundin und ich stöhne angesichts der neuen Vokabeln. Wolken ziehen auf und es wird kühl. Ich spür es nicht. Meine Herz hat so viel Sonne getankt, dass mir ein wenig Wind nichts anhaben kann. Vielleicht ist es auch das Gefühl der Freundschaft, das mich warm hält. Ganz bestimmt sogar. Mit einem schwarzen Stein in der Hand fahre ich morgen nach Hause. Vorbei an Verona und über den Brenner. Vor mir die liebsten meiner Menschen, hinter mir der mutigste und liebste meiner Freunde. So viel schönes in einem einzigen Leben. 

22 Gedanken zu “Parolacce e sassi

  1. Tatsächlich ist es mir gelungen, „Vattene, cretino!“ astrein und ohne Google Translator ins Deutsche zu übersetzen, wogegen ich mit den anderen italienischen Worten völlig falsch lag … 😉

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