Zensierte Ehrlichkeit

Schreiben ist zweifellos eine wunderbare Sache. Nur sollte man mit einem möglicherweise vorhandenen Talent nicht allzu offen hausieren gehen. Glauben Sie mir, das wird anstrengend. Schreib du, ist seit einigen Jahren einer der meist gesagten Sätze meines Freundeskreises. Nicht etwa, schreib was schönes, sondern der Imperativ: Schreib! Beschränkt es sich bei meinem Freund meist auf Beileids- oder Glückwunschkarten und Einkaufszettel, schöpft der Rest aus dem Vollen. Durfte ich mich bis vor kurzem noch finanziell an Geburtstagsgeschenken beteiligen, bin ich jetzt für den persönlichen Touch der wenig kreativen Geschenke verantwortlich. A zieht ins Ausland? Der bekommt einen Gutschein und Mitzi schreibt was über Australien. Irgendwas lustiges, bitten sie. B lässt sich scheiden und man legt im Freundeskreis zusammen, damit sie sich bei einem Wellness Wochenende vor dem anstehenden Gerichtstermin noch einmal erholen kann. Jeder steuert unkompliziert und ohne Aufwand einen Schein bei und ich muss die aufmunternde Worte für die beigelegte Karte finden. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich würde aufmunternde Worte finden, wenn ich das wollte. Und es wäre ein leichtes eine DIN A4 Seite amüsantes Geplänkel über eine vierköpfige Münchner Familie in Australien zu schreiben. Will ich aber nicht. Wenn ich schreibe, bin ich ehrlich. Viel ehrlicher als im Gespräch und wie man weiß ist reduzierte Ehrlichkeit eines der Geheimnisse guter Beziehungen und stabiler Freundschaften. Und doch, werde ich noch immer gebeten, etwas lustiges, spritziges oder tröstendes zu schreiben. Mittlerweile allerdings steckt man meine geschriebenen Worten nicht mehr in den Umschlag ohne sie vorher zu kontrollieren, zu korrigieren und gegebenenfalls auch zu zensieren.

So durfte ich die Auswandererfamilie noch mit einigen Anekdoten über Wombats erfreuen, wurde dann aber gebeten, die Auflistung potentiell tödlicher Tierarten des Kontinents wieder zu entfernen. Die frisch Geschiedene lächelte über meine 30 Gründe, warum ihr Leben als Single viel besser als jenes als Pärchen sein wird. Die Punkte 31 bis 33 hatte man mir im Vorfeld aber gestrichen. Dabei waren sie die ehrlichsten und lagen mir besonders am Herzen. Die waren wichtig und lauteten:

31: Dein Mann war ein promiskuitiver Vollidiot.
32: Chlamydien und HIV Tests gehören jetzt erst einmal der Vergangenheit an.
33: Jetzt kannst du endlich mal die 8 Gutscheine für ein Mädelswochenende einlösen, die du mir in den vergangen Jahren zum Geburtstag geschenkt hast.

Auch meinen Beitrag für eine Hochzeitszeitung musste ich ganz drei Mal entschärfen. Das erste Veto kam von der Trauzeugin, die mich daran erinnerte, dass mein Versprechen, während der Trauung nicht unangenehm aufzufallen, auch für den Inhalt der Hochzeitszeitung gelten würde. Meine Einleitung wurde gestrichen. Weil ich selbst sie aber recht gut fand, dürfen wenigsten Sie sie lesen:

„Ich musste der Trauzeugin versprechen nicht unangenehm aufzufallen und in der Kirche brav den Mund halten. Stattdessen werde ich auf die schönste aller Fragen antworten:
Hat einer der Anwesenden gegen diese Hochzeit etwas einzuwenden? Dann möge er jetzt sprechen oder für immer schweigen. Ganz ehrlich, wenn man mir mit so einer Drohung kommt, dann muss man damit rechnen, dass ich präventiv zu reden beginne. Für immer schweigen? Ich? Niemals. Ich heben also schriftlich die Hand und ergreife die Chance, die eine oder andere Frage in den Raum zu werfen.“

Das ist doch eine 1a Einleitung, oder? Es ist die Gelegenheit dem Brautpaar auf den letzten Drücker noch einmal die Konsequenzen ihrer Ehe vor Augen zu führen. Selbst ist es viel zu verliebt um noch klar zu sehen. Da braucht es jemanden, der sich die Zeit nimmt, diese Ehe noch einmal in aller Ruhe in Frage zu stellen. Ich hätte das gerne gemacht. Das zweite Veto kam vom Trauzeugen. Der Haarausfall des Bräutigams sei ein sensibles Thema und absolut nicht dafür geeignet Witze darüber zu machen. Fürs Protokoll, die Braut ist fast einen halben Meter kleiner als der Bräutigam und schwer verliebt. Man wird daher doch mal fragen dürfen, ob sie den kleinen, kahlen Wirbel am Hinterkopf ihres Zukünftigen überhaupt schon bemerkt hat. Ich mein…es gibt Scheidungsgründe, die noch weit banaler sind. Der dritte Einspruch kam als ich ersatzweise über die über die Unterwäsche der Braut sinnierte. Es ist die schönste die ich kenne. Aber vor einer Heirat ohne Ehevertrag, muss man den Zukünftigen doch darüber aufklären, dass das Familienbudget beim weiteren Erwerb von so teuren Seidenfetzen niemals für Fernreisen ausreichen wird. Ebenfalls abgelehnt. Das Brautpaar, dem ich die unzensierte Version noch in der Hochzeitsnacht mailte, amüsierte sich übrigens großartig. Insbesondere über den noch angefügten Passus, der von ihren Trauzeugen handelte.

Zum Glück lacht auch mein Freund über meine schriftliche Ehrlichkeit. Ihm schreib ich ab und zu ein paar persönliche Worte auf den Einkaufszettel. Zum Beispiel, dass er sich ein bisschen gesünder ernähren soll. Oder, dass es schön wäre, wenn er für mich Milch im Kühlschrank hätte, die noch nicht den Zustand der Klumpenbildung erreicht hat. Er schmunzelt immer und das mag ich. Dass er seit kurzem aber dazu übergegangen ist, sich ebenfalls schriftlich zu äußern, gefällt mir weniger. Letzte Woche ergänzte ich einen Einkaufszettel mit: „Schokolade“. Am Abend stand darunter: „Sicher? Nur noch zwei Monate bis zum Sommer.“ Find ich irgendwie nicht so lustig. Noch weniger konnte ich über das Post it in meinem Bad lachen. Darauf stand: „Wie würdest du eigentlich ohne all die Anti Aging Produkte aussehen?“ Dünnes Eis. Ich wage es zu bezweifeln, dass unsere Freunde jemals für uns eine Hochzeitszeitung planen müssen.

 

 

 

28 Gedanken zu “Zensierte Ehrlichkeit

  1. Liebe Mitzi,
    apropos dünnes Eis, ich habe bei mir auch festgestellt, ich kann mehr Ehrlichkeit abgeben als aufnehmen. Woher kommt diese „Energie“? Ich forsche noch. 😉
    Gruß Heinrich

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    1. Lieber Heinrich, ich bin gespannt ob Sie zu einem Ergebnis kommen. Fürchte aber, dass wir eigentlich die Antwort schon wissen. Das austeilen war schon immer leichter als das einstecken und es bleibt zu hoffen, dass wir daher immer nur mit einem schmunzeln und am Ende doch mit lieben Worten austeilen. Oder, noch besser, ab und zu einfach nicht alles sagen. Ich arbeite daran. Herzliche Grüße Mitzi

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      1. Liebe Mitzi,
        Sie haben die perfekte Lösung gefunden!
        Wenn man mit Humor (und maximal Ironie – aber nie Sarkasmus oder Zynismus) den Menschen sagt, wie man sie und ihr Tun empfindet, dann zählt das nicht als Austeilen und muss auch nicht auf die Waage gelegt werden.
        Sie schreiben hier viel über Freunde, was mich oft sehr nachdenklich gemacht hat. Aber gerade mein bester Freund hat eine Eigenschaft, die ich ihm NIE unter die Nase reiben werde. Außer, er würde mich danach fragen, ob es mir aufgefallen ist. Dann wäre ich ehrlich!
        Aber ihn ungefragt „ändern“ zu wollen hat nichts mit Ehrlichkeit zu tun.
        P.S. übrigens würde ich mindesten eine ganze Tafel Schokolade wetten, das SIE nicht ein einziges Anti-Aging-Produkt in Ihrem Bad haben! 😉 (Oder wenn, dann nur für Gäste 😉
        Gruß Heinrich

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      2. Lieber Heinrich, genau so ist es. Das ist alles nur für Gäste und auch nur weil ich ja weiß, dass wir Frauen dem Irrglauben des Nutzens hoffnungslos verfallen sind ;). Ich frage mich allerdings immer, warum man das auf die Tiegel drauf schreiben muss. Reicht doch, wenn der Nutzer weiß, welche Wunder er sich erhofft :).
        Ehrlichkeit ist etwas sehr feines. Ungefragt aber auch schnell etwas verletzendes und überflüssiges. Ich bin mir sicher, dass Sie hier bravurös auf dem schmalen Grad balanzieren.
        Herzliche Grüße
        Mitzi

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  2. Herrlich! Toll geschrieben und das ohne jede Aufforderung. Der Imperativ: „Schreib!“ ist mir noch nicht untergekommen. Dazu schreib ich anders als du, liebe Mitzi, nicht amüsant genug. Dafür kenne ich: „Kannst du mal eben … entwerfen!“, wobei den Leuten nicht klar ist, dass es bei mir kein „mal eben“ gibt. Da ich nichts einfach aus dem Handgelenk kann, ist alles immer gleich aufwendig und anstrengend für mich.

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    1. Danke dir, lieber Jules. Das „kannst du mal eben“, ist dem „schreib!“ sehr ähnlich und bedeutet letztendlich das gleiche. Nur, wie du eben ganz richtig sagst, ist ein Entwurf aus deiner Hand mit deutlich mehr Arbeit verbunden als ein kleiner Artikel von mir. Ich konnte nun oft schon beobachten wie liebevoll und durchdacht diese scheinbar kleinen Entwürfe von dir am Ende doch sind.

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    1. Dir würde ich auch mit Vergnügen eine Karte oder personalisierte Erzählung schreiben. Allerdings nichts zur Scheidung! Ihr zwei seid ein so sympathisches Paar, dass ich mir sicher bin, dass ich hierzu nie etwas schreiben muss 😍

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  3. Oh. Jetzt habe ich ein schlechtes Gewissen, weil ich Dich aufgefordert habe etwas über Deine Flixbusreise zu schreiben. Gut ich verzichte darauf. Du kannst auch ein schönes Bild darüber malen wenn Du willst.😉

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  4. Wie bekomme ich es hin, zu bestätigen, dass es mir ähnlich ergeht, ohne, dass ich dabei eitel wirke? Aber es ist wirklich so, dass man mir zu allerlei Gelegenheiten aufträgt, doch „etwas Schönes“ zu schreiben („Du hast doch so eine schöne Schrift… / Du machst das doch gern / Du findest doch die passenden Worte….“).
    Zugegeben, ich schreibe ja auch gern, auch gern schon mal schön, wenn ich mag.
    Und das macht es aus: Wenn ich mag. Wenn mir danach ist. Wenn ich in der Stimmung dazu bin und mich des Schreibenwollens nicht wehren kann/will.
    Du hast das toll beschrieben.
    Und ich bemerke gerade, dass Du mich gerade mit Deinem Beitrag aus meiner Schreibpause von immerhin einem Monat geweckt hast, denn beim Lesen fiel mein Blick auf eine Postkarte, die über meinem Schreibtisch hängt. Ich fand sie vor einigen Jahren in einem Buchladen in Bremen, und sie trägt nur das Wort SCHREIB!
    Hier: guck mal.

    Ja, dann mache ich das doch mal.
    Bald schon. 🙂
    Liebe Grüße!
    Lo

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    1. Lieber Lo, für heute (bzw am Tag Deines Kommentares) bist Du der Karte schon mal gefolgt. Aber selbst wenn nicht, eine Pause macht gar nichts, finde ich. Im Gegenteil, ich bin der Meinung, dass ich, wenn ich nichts zu erzählen habe, manchmal auch für einige Zeit verstumme.
      Ganz so leicht ist es mit den „Aufträgen“ nicht. Andererseits sind sie auch ein schönes Kompliment. Dir, ein schönes Wochenende und liebe Grüße.

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  5. Schreiben zu können ist sicher schon ein schweres Schicksal. Noch viel schlimmer ist es, wenn man PCs, Haushaltsgeräte oder Autos reparieren kann, oder gar etwas von Renovierungsarbeiten versteht! 😉

    P.S. neulich war ich zu einem Umzug eingeladen!
    Ich war der einzige, der sich verkleidet hatte – alle anderen haben Kisten geschleppt.

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    1. Lieber Heinrich,
      damit erinnern Sie mich an die viel zu lange Zeite meines Lebens, in der ich nicht NEIN sagen konnte. Handwerklich, so glaube ich, bin ich recht gut im Anstreichen und Tapezieren, was mir einen großen Freundeskreis eintrug, der diese Fähigkeiten in Verbindung mit meinem Sprachfehler des Nicht-nein-sagen-könnens sehr zu schätzen wusste.
      Mittlerweile ist mir der Sprachfehler abhanden gekommen.
      Einige der Freunde auch.
      😉

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  6. Wunderbar! Grandios erfrischend und herzlich! Hab mich bei diesen Zeilen wunderbar amüsiert und grinse noch immer gg – Hier gefällt es mir, hier bleibe ich 🙂 Danke für diesen tollen Beitrag- Glg Herta

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