Versprechen

Es war kalt, als ich vor sechs Wochen in der Mittagspause telefonierte und hoffte, dass mich die Wintersonne ein wenig wärmen würde. Sie tat es nicht. Dass ich nicht fror, lag am warmen Lachen am anderen Ende der Leitung. Wirklich, fragte er und ich nickte bevor ich es in einem Satz bestätigte. Diesmal würde ich wirklich kommen und reichlich Zeit im Gepäck haben. Schön, sagte er und ich rechnete es ihm hoch an, dass er kein Wort darüber verlor, dass ich das einst gegebene Versprechen über ein Jahrzehnt lang nicht erfüllt hatte. Es ist erschreckend leicht, gegebene Versprechen aufzuschieben und es braucht einen guten Freund, der über Jahre hinweg geduldig wartet, nicht drängt und doch keinen Zweifel darüber lässt, dass er nicht aufgeben wird. Nächste Woche löse ich mein Versprechen ein und es ist vieles, aber sicher keine Verpflichtung. Es ist etwas schönes, etwas auf das man sich freut und etwas bei dem man sich fragt, warum es manchmal so schwierig ist, es einfach zu machen. Kommst du runter auf einen Kaffee? Die Frage verkam mit den Jahren zu einer Floskel und erst vor sechs Wochen wusste ich, dass irgendwann der Moment kommt, in dem sie auch der geduldigste Freund nicht mehr stellen wird. 

Ich verdanke ihm viel, diesem Freund. Bestimmt genauso viel wie dem mutigsten meiner Freunde und doch stand und steht er immer in der zweiten Reihe. Unsere Freundschaft ist anders. Längst nicht so tief, aber doch ähnlich beständig. Wir kennen uns kürzer, wissen weniger voneinander und doch genug um uns seit vielen Jahren wichtig zu sein. Er zeigte es mir jedes Jahr, indem er mich besuchte. Einmal nur, einen Nachmittag lang, aber diese Stunden nutzte er. Lies seine Freunde die ihn begleiteten stehen oder wechselte, wenn sie am Tisch saßen, die Sprache, damit wir uns in Ruhe unterhalten konnte. Es mag seltsam erscheinen, eine Freundschaft über viele Jahre an einem Biertisch am Münchner Oktoberfest zu pflegen, aber es funktioniert. Zwei Leben, zwei Familien, zwei Freundeskreises, wenig Zeit und eine Distanz von 450 Kilometern führen dazu, dass man sich auf das Wesentliche beschränkt, wenn man sich sieht. Erzähl! So fing er jedes Jahr an und mit jedem Jahr wurde sein Deutsch ein wenig schlechter. Verstanden hat er mich dennoch. Das Wesentlich. Und fast immer antwortete er, wenn ich die Aufforderung erwiderte, dass er das tun würde, wenn ich runter nach Verona auf den versprochenen Kaffee kommen würde. Natürlich hat auch er trotzdem  erzählt, ich kenne die Eckdaten seines Lebens und noch immer meldet er sich regelmäßig wenn ich ihm Briefe, Schadensmeldungen oder Rechnungen auf Deutsch übersetzen soll. Und doch ist es an der Zeit, dass ich in seiner Stadt bin, mir Zeit nehme und in seine Sprache wechsle. 

Nur durch ihn spreche ich sie. Der mutigste meiner Freunde legte den Grundstock. Gelehrt aber hat er sie mich. Wir waren Kollegen und er verbrachte Stunden damit mir Italienisch beizubringen. Er tut es noch heute. Seit ich ihm letztes Jahr erzählte, dass ich mich bei einem Essen mit italienischen Freunden blamiert hatte, ruft er öfter an. Einfach so, sagt er, aber wir wissen beide, dass es seine Art ist, dafür zu sorgen, das Vergessen aufzuhalten. Es funktioniert. Stockte und stolperte ich am Anfang, plappere ich jetzt wieder. Es ist wieder da. Sagte ich im Oktober, dass man die Vignette „auf das Auto machen muss“, sage ich heute, dass „man sie oben links an die Innenseite der Windschutzscheibe zu kleben hat“. Irgendwo in meinem Kopf war es ja noch…all das Italienisch, das ich einmal konnte. Auch wegen ihm holte ich die alten Lehrbücher wieder raus. Grammatik muss man lernen, sagte er, da nützt es nicht zu plappern. Die alten Bücher tun es noch immer und es ist seltsam, sie wieder auf dem Tisch liegen zu haben. Ab und zu zweifle ich ihren Inhalt an. Dann melde ich mich bei Luca und frage ihn. Über die Alpen höre ich dann sein Lachen. Ihm sei schon klar, warum mir das Kapitel der Personalpronomen fremd vorkommen würde. Schließlich hätte ich sie über Jahrzehnte falsch benutzt und er nur aufgegeben. Nun gut, dann werde ich ihn nächste Woche überraschen und sie überaus korrekt benutzen. Um sie geht es aber nicht. Nicht um Pronomen, Zeiten und Wortschatz. Es geht um einen banalen Kaffee. Einen den zu trinken, ich vor Jahren versprochen habe. Leichtfertig versprach ich mindestens einmal im Jahr runter zu kommen. Auf einen Kaffee. Auf ein Glas Wein und auf einen Teller Pasta. Getan habe ich es nie. Die wenigen Male als ich kam, war er nicht in der Stadt, weil ich mich erst am Brenner meldete. Diesmal nicht. Diesmal komme ich alleine, angekündigt und ganz ohne Pläne. 

Von Dienstag bis Donnerstag bin ich in Verona, schrieb ich vorhin noch einmal. Ich bin alleine und ich habe nichts vor. Sein Lachen hörte ich wenig später durch das Telefon hinweg. Doch, ich hätte etwas vor, denn wie ich mich sicher erinnern würde, hätte ich mein Versprechen damals nicht nur ihm, sondern vier anderen gegeben. Der Hund seit tot, aber die restlichen drei würden mich erwarten. Ich werde mich also auf reichlich Kaffee, Wein und Pasta einstellen. Es ist auch wirklich an der Zeit.

15 Gedanken zu “Versprechen

    1. Lieber Heinrich, wenn das WLAN mitspielt, dann hoffe ich sehr, Sie und die anderen mitnehmen zu können. Foto Blogs gibt es sicher bessere, aber um ein bisschen Italien werden Sie nicht herum kommen.
      Dass Sie warten ist übrigens ein sehr guter Grund, wieder zurück zu kommen.
      Herzliche Grüße

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  1. Liebe Mitzi, ich wünsche Dir, dass Du heil in Verona ankommst. Und ich wünsche Dir ganz viel Freude mit Deinen Freunden. Und komme bitte gesund wieder zurück! 🙂

    Liebe Grüße, Werner

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  2. Ich hoffe du hattest eine schöne Zeit in Verona 🙂 Und auch wenn ich Italien nicht ganz so zugeneigt bin wie du, bekomme ich jedes Mal wieder Lust runter zu fahren. Erstaunlich was Emotionen und Worte so alles anstellen können

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