Naher Abschied

Es ist dumm sein Herz an Gebrauchsgegenstände zu hängen. Weiß man doch, dass sie ein Verfallsdatum haben. Eines haben müssen, da sie ja wie der Name sagt, zum Gebrauch bestimmt sind. Noch dümmer wäre es, sie nicht zu gebrauchen, um ihren Verschleiß zu verhindern. Aufbewahrt in einer Schublade werden sie schnell vergessen und in einem Karton unter dem Bett schaffen es nur die wenigsten Dinge, Freude zu bereiten. Ein gutes, viel zu teures Parfüm kippt irgendwann um und ein herrliches Kleidungsstück gerät aus der Mode oder ändert sich nicht im gleichen Maße, wie es der eigene Körper tut. Gebrauchsgegenstände müssen mit großer Freude benutzt und  verschließen werden. Nur so erfüllen sie ihren Zweck. Besonders gilt dies für geschenkte Gebrauchsgegenstände. Diese müssen unbedingt noch viel intensiver genutzt werden. Es war eine Aufmerksamkeit. Werbegeschenke aus dem Unternehmen einer Freundin. Vielleicht aus der letzten Saison übrig geblieben. Vielleicht auch für mich zur Seite gelegt. Ich weiß es nicht und habe mich damals vor all den Jahren nicht erkundigt. Und doch erinnere ich mich, dass mir dieses Geschenk vom ersten Moment an sehr viel bedeutete. Kurz bevor ich für unbestimmte Zeit nach Italien aufbrach, war ein jedes Geschenk etwas besonderes. Jedes einzelne war ein Stück Heimat, das ich mit in die Ferne nehmen konnte. Fast alles, was man mir in dieser Zeit mit auf den Weg gab besitze ich noch heute. Den ein Meter großen Teddybären, die Halskette meiner Mutter und die vielen Bücher, die mich durch die anfänglichen, einsamen Tage begleiten sollen. Am ausdauerndsten begleiteten mich die geschmuggelten oder zur Seite gelegten Werbegeschenke.
Es war eine Wundertüte an deren Inhalt ich mich noch genau erinnern kann. Oben auf zwei Bikinis. Einer hellblau und einer babyrosa. Knapp genschnitten mit weißen Bändern, die im Nacken und an der Hüfte verknotet wurden. Nie hätte ich mir diese Farben gekauft und niemals hätte ich auch nur einen dieser beiden Bikinis nach dem ersten Bad im Meer wieder her gegeben. Über zwei Jahre lang habe ich am Strand nichts anderes getragen. Und nicht nur dort. Die Oberteile ersetzten den BH auch abends, weil die weißen Bänder im Nacken auf sonnengebräunter Haus so schön leuchteten. Besonders im Abendlicht am See oder im Schwarzlicht einer Diskothek. Noch heute symbolisiert nichts meine Sommer in Italien so gut, wie diese beiden Bikinis. Kein Foto zwischen April und Oktober auf dem die weißen Bänder nicht in meinem Nacken verknotet zu sehen sind. Ebenfalls begleitet hat mich ein rotweiß karierter Stoffbeutel mit Henkeln aus Bambusholz. Auch ertrug im Etikett den Namen einer Zeitschrift und war Teil der Wundertüte. Perfekt für den Strand, für das Büro und überhaupt konnte man in ihm seine halbes Leben durch den italienischen Sommer schleppen. Sein Stoff riss in der gleichen Woche, in der sich auch die Bänder des letzten der beiden Bikinis verabschiedeten. Zweieinhalb Jahre im Dauereinsatz – mehr kann man von Stoff nicht erwarten. Es war in Ordnung. Meine Zeit in Italien war vorbei und zurück in München hätte ich für diese herrlichen Dinge keine Verwendung gehabt. Ich begrub sie in einer Mülltonne an meinem Lieblingsstrand am Gardasee und verabschiedete mich schweren Herzens, aber mit der Gewissheit, sie bis zum letzten Tag genutzt zu haben.

Zurück in München begleiteten mich die Dinge, für die ich in Italien weniger Verwendung hatte. Seit Jahren erkennt man meinen Arbeitsplatz am Mauspad. Ich kenne niemanden sonst, der ein rundes, goldenes mit der Aufschrift „VOGUE“ besitzt. Ich besaß sogar drei davon. Eines Silber, zwei in Gold. An das Schmunzeln von Arbeitskollegen habe ich mich längst gewöhnt. Weit von Fashion entfernt, lege ich auf diese Pads besonderen Wert. Sie gehören zu meinem Büroplatz. An nichts sonst hänge ich – aber eines dieser Mauspads muss rechts neben der Tastatur liegen. Zwei sind hinüber. Haben Risse bekommen und als die Maus zu oft zu haken begann, musste ich auch sie begraben. Traurig, aber zu Hause liegt noch immer eines neben meinem Rechner. Es ist das letzte und ich spüre, dass es nicht mehr allzu lange durchhalten wird. So viele Jahre sind eine lange Zeit. Wie lange, merkte ich mit erschrecken, als ich feststellte, dass ich nur noch zwei halbe GLAMOUR Bleistifte habe. Und das, das ist etwas das mich sehr, sehr traurig macht.

Auch sie waren Teil der Wundertüte gewesen. Eine unglaublich große Anzahl Bleistifte in allen nur denkbaren Pastellfarben. Immer und immer wieder konnte ich das Glas mit Stiften auffüllen und mich an der sanftbunten Pracht freuen. Alles wichtige habe ich mit diesen weichen Bleistiften geschrieben. Unterwegs begleiteten sie mich seltsamer Weise nie – aber zu Hause schrieb und schreibe ich nur mit diesen Bleistiften. Es gibt keine besseren. Vielleicht liegt es daran, dass meine liebsten Gebrauchsgegenstände fast immer eine Geschichte erzählen. Vielleicht, weil ich mit ihnen nach Italien, wieder zurück und noch drei Mal umgezogen bin. Womöglich ist es auch nur Gewöhnung. Trotzdem fürchte ich mich vor dem Tag, am dem ich das letzte Wort mit dem letzten Stummel schreiben werde. Spätestens dann, werde ich wieder ganz in München angekommen sein. Die Stoffe meines Abenteuers sind zerschlissen, die Vogue vom Tisch verschwunden und das Glas mit den Stiften leer. Ich habe ein bisschen Angst vor diesem Tag, weil ich ahne, dass er mich traurig machen wird.

Die letzten Stifte nicht zu benutzen ist natürlich keine Alternative. So herrliche Schreibgeräte müssen über das Papier gleiten. Tun sie es nicht, sind sie nichts besonderes. Dann könnte ich sie schon heute wegwerfen.

Liebe Wundertütenschenkerin, weißt du eigentlich welch große Freude du mir damals gemacht hast? Es ist an der Zeit noch einmal danke zu sagen. Jetzt wo der Abschied naht.

45 Gedanken zu “Naher Abschied

  1. Die Stummel der Glamour-Stifte – wenn sie wirklich zu kurz geworden sind, um noch leserlich damit zu schreiben – solltest Du aufheben. Eine hübsche Dose oder Schachtel findet sich bestimmt. Schließlich sind es Veteranen. 🙂

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      1. An so etwas dachte ich, dachte mir aber auch, dass Du sie nicht von Anfang an gesammelt hast – so wie ich es auch nicht getan hätte (aus dem Vollen schöpfend), um mich später über mich selbst zu ärgern.

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      2. Ich hoffe der Link funktioniert. Die letzten beiden Stunden habe ich meine Schreibtisch-, die Küchen- und die Kramschublade ausgemistet. Mich gut genug kennend und hoffend fündig zu werden. Was soll ich sagen…es sind noch einige. Bei der Menge frage ich mich wie viele es wohl am Anfang gewesen sein müssen :).
        Glückliche Grüße

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  2. Als ich noch viel zeichnete, mit diesen wunderbaren Buntstiften von Stabilo, habe ich, wenn sie bis auf Stummel runtergespitzt waren, sie in einen Halter gesteckt. Man kann derlei Teile kaufen, kann sie aber auch selber basteln aus einem alten Kugelschreiber. Solche Bikinis, von denen du schreibst, liebe Mitzi, kenne ich auch, also nicht aus eigenem Tragen, sondern vom Anblick an einer Exfreundin her. Hat mir immer gut gefallen, also sie und die Bänder des Bikinis, wenn sie am Nacken hervorlugten.. Ein besonderes Mousepad habe ich auch, in Form des Steins von Rosetta, mit dessen Hilfe Champollion die Hieroglyphen erstmals übersetzt hat. Ein ehemaliger Blogfreund, Prinz Rupi, hat es mir aus dem Londoner Nationalmuseum mitgebracht. Es hatte scharfe Kanten, wie eben der Stein, aber ich habe es fast zehn Jahre benutzt.

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    1. Vielen Dank, lieber Jules, für die Anregung die Stummel noch etwas länger am Leben zu erhalten. Ich werde es sicher aufnehmen um den Abschied (deine Frage im zweiten Kommentar….der Abschied von den Stiften) heraus zu zögern.
      Vielleicht kommt dein Pad eines Tages wieder zum Einsatz und schlummert derzeit nur.
      Liebe Grüße aus der Sonne – endlich, endlich, endlich.

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      1. Hallo Lu,
        ja, ich bin sehr zufrieden. Ein wenig unsicher war ich diesmal, weil die Textauswahl ein bisschen nachdenklicher und ruhiger war. Etwas lustiges zu lesen ist leichter – die Lacher geben direktes Feedback. Ich bin aber froh es gemacht zu haben. Es war ruhiger, aber mindestens genauso schön. Die Stimme blieb mir erkältungsbedingt am Ende weg und zum Glück hat man es mir nachgesehen.
        Ich wollte es am 1. Mai fertig haben. Keine Chance. Mein Hauptjob fordert mich zu sehr. Ganz sicher aber in diesem Jahr, hoffentlich im Spätsommer und diesmal mit fast ausschließlich neuen Texten.
        Liebe Grüße

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  3. und wieder einmal verstehe ich dich besser als mir lieb ist. ich kenne das hängen an solchen dingen auch furchtbar gut. es ist etwas anderes, weil größer, aber grade habe ich wieder erlebt, wie emotional ich an meinem ersten auto hänge. ich habe es übernommen, als es 8 jahre als war und fuhr es über seinen 17. geburtstag. es wurde in der familie weitergegeben und nicht wertgeschätzt, das brach mir das herz. als ich letzte woche hörte, dass es nun in guten händen quasi „restauriert“ wird, kamen mir glatt die tränen. ups.

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  4. Ach Mitzi—ist das goldig.Ich bin ja so begeistert, wie alle hier.Das ist doch so wunderbar nach zu fühlen.Mir ging und geht es ähnlich mit Klämmerchen.Die gab es mal bei Obi,sie sind aus Metall und haben eine unglaubliche Beißkraft.Sie werden gehütet wie ein Schatz und jetzt bin ich drei Jahre in Rente und benutze sie hier zu allem möglichen. Aber so eine schöne Gedankenkostbarkeit wie Du sie hier präsentiert hast ..habe ich nicht zu den Klämmerchen.Aber ich konnte nachfühlen.Danke hierfür.

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    1. Danke, Pamela. Ein schönes Gefühl, dass mir meinen Abschiedsschmerz nachfühlen könnt. Es ist einer den man gut übersteht, aber doch…. Man muss sein Herz an Klämmerchen nicht hängen, aber sie zu schätzen und zu hüten, das finde ich absolut nachvollziehbar. Wie schön ist es doch etwas gefunden zu haben, für das man Verwendung und immer wieder Freude hat.

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  5. Liebe Mitzi Irsaj,

    Sie haben mir mit ihrem Blobeitrag ein wunderbares Stück Glück geschenkt. Das ist so gekommen: Ich habe nach dem Lesen hier nach Glamour-Bleistift gegoogelt und bin dabei auf den schwarzen Bleistift gestoßen. Das ist er! Mein liebster Bleistift, mit dem ich so gerne schreibe. Er stammt aus eine Museum und trägt daher den Werbeaufdruck von dort, sodass ich nicht nach seinem Markennamen suchen konnte. Dank ihres Postings habe ich ihn nun sogar einen Händler gefunden, wo ich meinen so gern gemochten schwarzen Bleistift nachkaufen kann. – Ich danke Ihnen!

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    1. Liebe Monika, das freut mich zu hören! Und da soll noch mal einer sagen, das Werbegeschenke nur Schund sind. Ich freue mich, dass Sie fündig wurden.
      Herzliche Grüße

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  6. Gebrauchsgegenstände sind sehr wichtig. Ich habe zum Beispiel ein Schweizer Messer, von dem ich allerdings nur den Korkenzieher benötige. Mit der immer stärker werdenden Verbreitung des Schraubverschlusses, liegt die Allzweckwaffe nun oft tagelang tadellos tatenlos herum … 😉

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  7. Solche Dinge habe ich auch. Stifte, in die immer wieder neue Tinte/Patronen/Minen hineinkommen. Wäscheklammern, uralte, die ich noch immer nutze. Und eine ururururalte Kanne, bei der ich ein Zerschellen wirklich zutiefst bedauern würde.

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    1. Da ist es ein großes Glück, wenn man sein Herz an Stifte hängt, die nicht verschwinden sondern die immer wieder neu befüllt werden können. Ich drücke dir die Daumen, dass die alte Kanne nie zerbricht und dir noch lange Freude bereitet.

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  8. Hi Mitzi, ich habe Dich, nein, diesen Deinen Beitrag mal verlinkt, als Erinnerer an ein Thema, das mich schon zeitlebens beschäftigt. Was sind wir doch manchmal materielle Wesen…. (wobei ja die Luft, die wir atmen und das Futter, was wir essen auch nicht immaterieller Natur sind😉)
    Liebe Grüße, Olaf
    P.S. Danke für die kurzweilige Story 😊

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    1. Hallo Olaf, ich hab gerade deinen Beitrag gelesen und mich darin wieder gefunden. Ich habe ihn auch dort kommentiert und finde, dass du ganz wunderbare Erinnerungen bei dir hast. Besonders die Wand gefällt mir besonders gut. Liebe Grüße Mitzi

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    1. Es ist ein alter Text, der versehentlich in den Entwürfen gelandet ist und den ich jetzt wieder hervor geholt habe. Allein das noch mal gelesen war für mich schön, weil es mich wieder an den wunderbaren Bikini erinnert hat.

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