Gedankenleser gesucht

Nie würde ich mir von einem Mann den Mund verbieten lassen. Völlig ausgeschlossen, dass ich es tolerieren oder akzeptieren würde, dass mich ein Mann bittet den Mund zu halten. Trotzdem, und das ist erstaunlich, bin ich in vielen Momenten sehr, sehr froh wenn mir einer, und nur dieser eine, mit einem Blick signalisiert dass ich genau das bitte tun soll. Den Mund halten.

Würde ich die obigen Sätze nicht für Sie aufschreiben, sondern im Kreis meiner engsten Freunde laut aussprechen, dann würden sich drei Männer ansehen und sich fragen, bei wem bitte, ich schon jemals aufgrund eines Blickes verstummt wäre. Nicht bei ihnen, da wären sie sich sicher. Ganz im Gegenteil, wenn man gerade hofft, dass ich nichts mehr sagen werde und sich entspannt zurück lehnt, dann schieße ich gerne noch einmal nach und man kann sich sicher sein, dass Menschen die mich nicht kennen, spätestens dann davon überzeugt sind, eine komplette Idiotin vor sich sitzen zu haben. Meine engsten Freunde, befinden sie sich in einem Raum, beginnen dann gerne Anekdoten von mir zu erzählen. Die sind für alle, außer für mich, auch lustig. Besonders lustig, weil Bekannte und weniger enge Freunde, nicht wirklich ernst nehmen, was sie hören und deshalb hemmungslos lachen. Man hat mir geraten, das besser nicht richtig zu stellen und einfach mit zu lachen.

Zum Beispiel wenn ich in einer Diskussion über die Entwicklungsmöglichkeiten des Immoblienmarktes bei der Erwähnung von Erlangen, etwas über Ostimmoblien erzähle. In so einem Fall will mich der klügste meiner Freunde retten und erinnert mich an die Lage von Erlangen, indem er etwas über Mittelfranken sagt. Nur sagt das mir nichts und ich rede weiter. So lange bis er mir ins Wort fällt. „Mitz, das liegt in Bayern!“ Damit könnte es gut sein. Würde ich mich nicht erkundigen was genau er jetzt meint, Franken oder Erlangen. (Übrigens beides, falls Sie wie ich Erlangen mal wieder mit Erfurt verwechselt haben.) Der beste meiner Freunde hat vor längerem aufgegeben, intervenierend einzugreifen. Er ist vorsichtig, seit vor Jahren im größeren Rahmen über das Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“ diskutiert wurde und ich mich nach dreißig Minuten erkundigt habe, ob es sich beim Dativ um den „Wem-Fall“ handelt und worin der Witz dieses Titels eigentlich liegt. Er ist damals für eine gute Stunde verschwunden und kam erst wieder als ein anderes Thema diskutiert wurde.

Ich bin nicht blöd. Ganz im Gegenteil. Ich denke einfach schneller und kurviger als die meisten anderen Menschen und neige dazu meine Gedanken verbal kund zu tun. Synchron sozusagen. Ich denke und spreche gleichzeitig, und weil ein Mensch viel schneller denken als sprechen kann, komme ich manchmal durcheinander und spreche das aus, was noch gar nicht mein letzter Gedanke war. Oder sein sollte. Auch der mutigste meiner Freunde kennt solche Momente und sah mich nach Beendigung eines Satzes oft lange abwartend und interessiert an, bevor er begriff, dass nichts mehr kam, wo unbedingt noch etwas kommen sollte. Wo noch etwas kommen müsste, weil man eine Aussage in manchen Situationen nicht einfach verbal zwischen zwei Gesprächspartner schmeißt, sondern gut dran täte ein oder zwei erklärende Sätze anzufügen. Bei ihm war es umgekehrt, ich redete nicht zu viel sondern zu wenig. An einem Abend, wir kannten uns noch nicht lange, stand ich vor auf der Straße vor seinem Küchenfenster und rief hinein, dass ich jetzt wieder nach Hause fahren würde. Ich rief es unfreundlich und seine Antwort abwartend. Es dauerte ein paar Wochen bis er begriff, dass ein solcher Satz bei mir unbedingt hinterfragt werden musste, weil mir gar nicht bewusst war, dass ich nur die Hälfte von dem sagte oder brüllte, was ich eigentlich dachte. Im Fall des Küchenfensters zum Beispiel, dass ich seit 30 Minuten versuchte die bescheuerte Parklücke an der Ecke der Straße in Beschlag zu nehmen, es aber nicht schaffte, jetzt in der Einfahrt stand und er doch bitte rauskommen und das Auto für mich einparken solle. Sollte er das nicht machen, dann würde ich jetzt wieder nach Hause fahren. Mich zu bitten weniger zu sagen würde ihm vermutlich nicht einfallen. Er bittet mich allerdings auch nicht mehr, mich zu erklären und geht davon aus, irgendwann den Sinn meiner Worte schon zu begreifen. Meist ist das gut, manchmal aber auch weniger. Dann wenn ich ihm sage, dass ich ein Hotelzimmer in Luzern gebucht habe und er nur „fein, bis morgen“, sagt. Da könnte er schon fragen warum ich das mache, wo wir uns doch in Lugano treffen. Er tut es nicht. Er vertraut darauf, dass ich mir schon irgendwas gedacht habe. Hätte ich sicher auch, wenn ich nicht nebenbei telefoniert und so meine Gedanken durch gesprochene Sätze unterbrochen hätte.

Mich bitten, den Mund zu halten, tut nur einer. Er sagt es nicht. Wenn ich denke und rede zugleich, dann sieht er mich nur an. So lange bis Worte und Gedanken wieder in Einklang sind. Der Mann hat eine Engelsgeduld. Die muss er haben. An unserem ersten Abend schon sagte ich ihm, dass er lernen müsse meine Gedanken zu lesen. Sonst würde es auf Dauer nicht funktionieren.

28 Gedanken zu “Gedankenleser gesucht

  1. Es gibt noch eine Steigerung. Keine Ahnung, ob die mit dem Alter kommt…. es gibt auch Menschen *räusper*, die diskutieren schon mal im Kopf vor und geben nur ein kurzes Endstatement zur Verwunderung des Umfeldes.😎

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    1. Dazu neige ich. Wenn man sich dabei allerdings allzu sehr beeilt und fertig ist, während das Umfeld noch überlegt und diskutiert, wirkt das leicht klugscheißerisch, wie ich aus eigener, leidvoller Erfahrung weiß.)

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  2. Ein wahrer Parforceritt der Selbsterkenntnis und gleichzeitig eine „Gebrauchsanleitung“ für Mitzi – also für die, die Mitzi noch nicht kennen, oder nicht mutig genug sind, sie näher zu erforschen. 😉

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    1. Eine Anleitung, die Sie nicht mehr brauchen, Heinrich. Ich habe das Gefühl, dass Sie mich ganz gut kennen. So gut das hier geht. Aber manchmal ist das über das Lesen von Erzählungen oder Kommentaren erstaunlich gut möglich 😉

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  3. Liebe Mitzi!

    Gedankenlesen macht mir Angst. Aber ein wenig mehr Einfühlungsvermögen bei vielen Menschen würde auch schon einiges weiterhelfen. Gut, dass Sie damit reich beschenkt sind und uns mit Ihren gefühlvollen Geschichten verzaubern 🙂

    Herzliche Grüße
    Mallybeau

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  4. Ich sage dazu nur: Ist der Ruf einmal ruiniert lebt es sich ganz ungeniert 😀 Habe mir sagen lassen, dass einen deshalb sogar Leute mögen können… Auch wenn dann Sätze wie Weshalb bin ich noch einmal mit dir befreundet? Zum Alltag gehören und die dummen Gesichter diverser Professoren…

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  5. Vom Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“ habe ich ebenfalls gehört, aber Grammatik, immer schon der Pferdefuß gewesen, andererseits Erlangen und der Immobilienmarkt, die Siemensianer jammern was das Zeug hält, obwohl … , doch seien Sie froh, wegen der bescheuerten Parklücke, in Erlangen kommen Radfahrer wie Kamikaze aus allen Himmelsrichtungen geschossen, da nützt bestes Gedankenlesen nix, nur eine 360° Rundumsicht, die man nicht hat … und verzichtet dann freiwillig eine Parklücke anzusteuern … 😉

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    1. Ach, Sie wohnen im Osten? Und das ist jetzt wirklich ernst gemeint, weil ich grad zu faul zum Googeln bin. Wahrscheinlich eher nicht, wobei ich das nicht wissen kann. Also schon, ihr Blog gibt Hinweise aber ich ordne die Kollegen nie geografisch ein. Schön wäre es, wenn Sie in Erding wohnen würden. Da fahrt von München eine S-Bahn hin und dass die Bayern nicht verlässt, da bin ich mir sicher.
      Es ist ein Kreuz.

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