Denk an den Bach!

Wir sind die letzten Menschen. Du und ich. Es gibt niemanden außer uns beiden. Ich habe es mir oft gewünscht und mir dabei vorgestellt, dass wir uns einen Ort suchen würden, an dem die Einsamkeit schön und nicht bedrückend ist. Niemanden gibt es außer uns beiden. Alle die wir liebten sind an einem Ort an dem es ihnen gut geht. Man muss sich nicht sorgen. Sie sind nicht gestorben, sie sind nur nicht hier. Nur du und ich. So kurz vor dem Einschlafen denke ich oft daran.

Es gibt keine anderen Menschen, also gibt es auch keinen Strom und kein Internet. Wir müssten für uns selbst sorgen. Oft habe ich mir vorgestellt, wie wertvoll es dann wäre eine große, gut ausgestattete Buchhandlung vorzufinden um sich alles nötig anzulesen. Weder du noch ich wüssten ja, wie man einen Apfelbaum beschneidet, damit er im kommenden Jahr Früchte trägt. Außerdem bräuchten wir Bücher für die langen Winterabende, weil wir wissen, dass auch mit dem liebsten und interessantesten Menschen an der Seite an manchen dunklen Abenden alles gesagt ist. Und Spiele. Karten und Würfel, sollten reichen. Und natürlich Stifte, um sich das zu schreiben, was man nicht auszusprechen vermag. Denn auch das wird kommen – Zeiten in denen wir wortlos verstummen. Womöglich weil du den Apfelbaum im Frühjahr (oder Herbst, das gilt es herauszufinden) falsch beschnitten hast. Natürlich brauchen wir einen Unterschlupf mit Ofen und außerhalb der Stadt. Inmitten unbewohnter Häuserschluchten würde uns die Einsamkeit schnell an den Rand des Wahnsinns bringen. Ich denke an unsere kleine Hütte, in der ein Holzofen steht und in dessen Schuppen reichlich Holz vorhanden ist. Könntest du den Kamin kehren? Einer von uns müsste es lernen, weil ich weiß, dass sich das alte Ruß ohne Säuberung irgendwann entzündet und unser kleines Holzhaus wäre abgebrannt bevor wir den ersten Eimer Wasser gefüllt hätten. Ach ja, das Wasser….selbst auf unserer Hütte kommt es aus der Leitung und der kleine Bach ist zehn Minuten entfernt. Ist es uns zu weit dort jeden Tag geduldig aus dem kleinen Rinnsal Wasser zu schöpfen? Im Sommer sicher noch nicht, aber im Winter wird es mühsam, zumal ich gar nicht weiß ob unter der Eisschicht in den kalten Monaten überhaupt Wasser rinnt. Überhaupt, das Eis…..wenn der Bauer die Straße nicht mehr räumt und der Förster, die Bäume rund um die Lichtung nicht mehr im Auge hat….ich sorge mich, dass uns im Schlaf eine fallende Fichte erschlägt. Oder nur fast erschlägt und einer verletzt oder noch schlimmer, einer alleine übrig bleibt. Ich fürchte wir müssen uns einen anderen Ort suchen.

Du wirst ein Haus bauen müssen. Dafür pflanze ich den Baum, der angeblich auf der Liste eines jeden Mannes steht. Als Architekt und Schreiner hast du einen Beruf der weit sinnvoller ist als der meiner. Ich werde wohl keine Bilanzen mehr lesen müssen, du aber wirst uns ein Dach über den Kopf bauen müssen, das uns sicher durch den Winter bringt und zugleich an einem Ort steht an dem wir unser Essen anbauen können. Denn das müssen wir, weil wir uns bald nicht mehr in die Supermärkte wagen wollen. Ist dort, nach dem Stromausfall erst einmal alles vergammelt, wird es schnell eklig und versifft. Nach ein paar Jahren können wir erst wieder hin. Dann wenn sich alles zersetzt hat und Maden, Würmer und Ratten sich ihr Futter andernorts suchen. Womöglich zum Richtfest unseres Häuschens. Vielleicht ist dann das Bier noch gut, ganz sicher aber der Wein – den werden wir für den Rest unseres Lebens trinken. Irgendein roter wird schon halten. Sonst stoßen wir eben mit Schnaps an. Den bräuchten wir eh zum Desinfizieren und zum Betäuben bei möglichen Zahnschmerzen. Obwohl nein, wenn eine Welt nur aus dir und mir besteht, dann gibt es darin keine schmerzhaften Krankheiten. Das muss vorausgesetzt sein.

Warum, höre ich dich fragen und weiter, dass es inkonsequent sei diese Forderung zu stellen, weil ein maroder Zahn schließlich nicht unwahrscheinlich sei, als die Möglichkeit morgen früh aufzuwachen und festzustellen, dass außer uns niemand mehr auf der Welt ist. Ich bitte dich den Mund zu halten und fange von vorne an. Also…wir sind die letzten Menschen. Du und ich. Es gibt niemanden außer uns beiden. Und es gibt keine faulen Zähne, wirfst du ein und ich nicke. Nur du und ich und keine faulen Zähne. Wir bauen uns ein Haus, also du und ich schaue dir dabei zu, weil ich es ausgesprochen anziehend finde, wenn der Mann den ich liebe, imstande ist ein Haus zu bauen. Du darfst es aber nicht zu nah an einem Bach oder Fluss bauen. Das wäre zwar praktisch, aber wir müssen an die Schneeschmelze und mögliche Überschwemmungen denken. Denkst du daran?….Du musst daran denken, ja? Nicht einschlafen, nicht bevor wir wissen wohin wir wollen. Das ist wichtig, falls wir morgen früh aufwachen und feststellen, dass wir die letzten Menschen auf der ganzen Welt sind. Es wäre doch zu blöd, wenn wir gerade mit Schnaps auf unser neues Haus anstoßen und dann der Bach das Fundament wegspült.

28 Gedanken zu “Denk an den Bach!

  1. Liebe Mitzi!

    Eine wunderschöne und melancholische Geschichte zugleich. Ich glaube, der Herbst lädt zu solchen Gedankenspielen geradezu ein.
    Spontan musste ich an den Film „The last man on earth“ und an Janoschs Geschichten vom Tiger und vom Bär denken …
    Ich wünsche Ihnen in jedem Falle ein gemütliches Häuschen in sicherer Lage und einem vollen Vorratsspeicher 🙂

    Herzliche Grüße
    Mallybeau … weit weg vom Bach

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  2. Bin mit einem Freund unterwegs gewesen, jetzt bin ich …mehr als angetüddert 😎 . Er muss morgen zum Zahnarzt, wollte auch schon mit mir zusammen ziehen – (also nicht der Zahnarzt!) Warum? Weiss ich bis heute nicht. Aber er ist Realist, gibt mir noch 4-5 Monate in der jetzigen Beziehung. Und dann? Naja, wir werden sehen, meinte er.
    Ob er ein Haus bauen kann, weiss ich nicht. Flugzeuge kann er. Ist schon mal was, nicht wahr.

    Was wäre das Leben ohne Melancholie? Und Du, liebe Mitzi, triffst einfach den M-Nagel auf den Kopf ❤

    PS: Wenn man 630 km auseinander lebt, wie findet man dann zusammen, so ohne Elektrizität oder Sprit? OK, es waren viele Ouzos 😀

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    1. Liebe lunarterminiert,
      bei 630km lohnt sich schon ein Wurmloch, mit dem man unendliche Entfernungen in Sekundenbruchteilen überbrücken kann.
      Ich weiß, da ist schwer ranzukommen, aber vielleicht leiht Ihnen ja jemand ein Wurmloch für 4-5 Monate?!?
      Gruß Heinrich

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    2. Er gibt dir (am Rande…auch in nüchtern Zustand?) noch 4-5 Monate? Na, das ist doch mal eine klare Ansage mit der Frau etwas anfangen kann.

      630 Kilometer….da kann man leicht aneinander vorbei laufen. Am besten macht ihr schon jetzt (für alle Fälle) einen Treffpunkt aus. Auch für den Fall, dass aus den 4 Monaten 40 werden 😉
      Cheers 😉

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  3. Liebe Mitzi,
    gut, dass Sie an den Bach gedacht haben! Ich rechne sehr damit, dass ich mit meiner Liebsten mal in die von Ihnen beschriebene Situation komme. Ich habe zwar weder Architekt noch Schreiner gelernt, aber so*n Haus baue ich locker. Da habe ich schon viel schwierigere Dinge gebaut!
    ABER an den Bach hätte ich nicht gedacht! Huii, das hätte böse enden können.
    Dank Ihnen ist nun auch der Bach berücksichtigt und SOLLTE ich etwas vergessen haben, bin ich sicher, dass meine Liebste mich darauf aufmerksam machen wird.
    Frauen sind eben doch sehr viel umsichtiger!
    Gruß Heinrich

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    1. Lieber Heinrich, wenn Sie kein Haus bauen können, wer dann? Notfalls bauen Sie es in anderen Galaxien. Jetzt wo Sie auch an den Bach denken, ist auch die letzte Hürde genommen, sollte es einmal dazu kommen. Und wenn ich etwas vergessen habe, Ihre Liebste erinnert Sie.
      Herzliche Grüße

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  4. Mir ist von Marlen Haushofer “Die Wand“ eingefallen, wo sich die Frau mehrere Jahre durch die Einsamkeit schreibt. Und das BUCH “world war z“, wo die nützlichen wertvoller sind als die Dienstleister.
    Ein wunderbarer Text und eine schöne Liebeserklärung – danke!

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    1. World war z, kenne ich nicht. Die Wand dagegen begleitet mich seit vielen Jahren. Als mir das Buch in die Finger fiel war ich überrascht. Viele Monate zuvor hatte ich, nur für mich, eine lange Erzählung geschrieben, die anders änderte, der von Haushofer doch sehr ähnlich war. Nur, dass „die Wand“ deutlich besser war. Ich glaube, dass die Vorstellung viele schon einmal hatten.
      Liebe Grüße

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    1. Es gibt viele Möglichkeiten. Als Kind habe ich den Gedanken oft durchgespielt und bin, warum auch immer, zur Überzeugung gelangt, dass ich mich im Vertrauten Umfeld wohl am Wohlsten fühlen würde.

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      1. Nachher dachte ich freilich, dass die Phantasie von zwei letzten Menschen verschiedenen Geschlechts ja ein Zurück auf Los bedeutet. Wenigstens eins wird schon mal von vorne an besser gemacht: Nicht zu nah an Bächen zu bauen. 😉

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      2. Es wäre ein spannendes Projekt. Wobei die Chance, dass man den Neuanfang gründlich gegen die Wand fährt, gegeben ist. Und dann hätte man niemanden mehr, bei dem man sich darüber ausheulen könnte. Dann müsste man doch zurück und sich vielleicht mehr anstrengen und nicht so schnell aufgeben. Oder man bleibt ganz alleine zurück.
        Ich glaub, ich bleib lieber noch eine Weile unter anderen.

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  5. Liebe Mitzi, sehr sehr schön zu lesen, uns sehr schnell beschlossen: ICH möchte nicht zu den zwei letzten Menschen auf Erden zählen, egal mit wem, wer also der oder die andere sein sollte.
    Ich dachte an den Film mit Tom Hanks „Verschollen“, wo er auf einer Insel als Überlebender eines Flugzeugabsturzes sein Leben fristet. Besonders die Sache mit dem Zahn und dem fehlenden Zahnarzt wurde ja doch thematisiert.
    Es ist besser, dass du unter lieben Menschen wohnst, oft fühlt man sich da doch besser.
    Liebe Grüße zu dir

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    1. Liebe Clara, übrig bleiben möchte ich auch nicht. Das ist eine gruselige Vorstellung. An Tagen wo mich aber alle nerven, da wünsche ich sie mir manchmal einfach weg ;).
      Inmitten von lieben Menschen ist es aber auf Dauer eindeutig schöner.
      Liebe Grüße

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  6. „Du wirst ein Haus bauen müssen.“
    Ich bedaure sehr, meine Damen, romantische Träume platzen zu lassen, aber bei Killerphrasen wie dieser „du wirst bla bla bla … müssen“, meine Herren! ja wo bleibt der Aufschrei, wo bleibt der Ruf nach Gleichberechtigung, wo bleibt „Jetzt schauen wir mal nach, ob wir tatsächlich die letzten einzig Verbliebenen sind“, wo bleiben die Ausreden, die wir sonst parat hatten, wenn es darum ging, sich vor Unangenehmen zu drücken? Ich fasse es einfach nicht! Jetzt, wo ich denke „endlich, kein Chef mehr da, der mir dies und das befiehlt“, jetzt kommt die Chefin im Befehlston … 😉

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    1. Lieber Herr Ösi, so in etwa könnten die Antworten ausfallen. Es ist wohl ganz gut, dass mein Gegenüber eingeschlafen ist bevor ihm noch erörtern konnte, dass sich einer um das Holz kümmern müsse und wir in meinem Tagtraum die Gleichberechtigung neu definieren müssten ;).

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