Meine Füße, mein Mann

Ein neues Profilbild muss her, sagt meine Freundin und beißt herzhaft in einen Schnitz Wassermelone. Hilfsbereit wie ich bin, schieße ich augenblicklich ein Foto und schicke es ihr. Das Bild ist perfekt. Profilbilder müssen natürlich und authentisch sein, so kann man es auf diversen Internetseiten nachlesen. Am besten nimmt man ein Bild, das spontan von einer nahestehenden Person geschossen wurde. Das bin ich und das Foto ist im Kasten. Meine Freundin ist verfressen. Wer sie kennt weiß das. Wer sie noch nicht kennt, ahnt es bei diesem Foto. Nur wenige Frauen stürzen sich so hingebungsvoll auf ein Stück Wassermelone wie sie. Authentizität erkläre ich und weiter, dass ein Profilbild das Naturell und den Charakter einfangen sollte. Auch das tut es. Beim Essen dreht sie sich deutlich sichtbar zur Seite, weicht der Kamera aus und vermittelt so – überaus zutreffend – den Eindruck, dass sie bereit wäre, um dieses Stück Wassermelone zu kämpfen. Stärke, erkläre ich ihr, dieses Bild strahlt Stärke und eisernen Willen aus. Es sei etwas zu authentisch murmelt sie mit vollem Mund und tippt mit klebrigen Fingern auf das Display des Handys. Hier im Mundwinkel ist Melonensaftsabber zu sehen. Das stimmt und das ist gut so. Der durchschnittliche Online-Dating-Mann stellt sich dann vor, dass ihr der am Hals nach unten und in den Ausschnitt rinnt. Wir haben das perfekte Bild. Mit dem spitzen Schulterblatt, das eine Größe 36 erahnen lässt und den Surfbrettern im Hintergrund erfüllt es alles, was sich ein paarungswilliger Mann erträumt. Dass die Bretter nicht uns, sondern zwei fünfzehnjährigen Jungs gehören, spielt keine Rolle. Beim Online-Dating hat man Authentizität vorzutäuschen und dabei zu lügen, dass sich die Balken biegen. Ich klatsche noch drei Filter über das Bild und versehe es mit dem Hashtag #nofilter. 

Weil ich erfahren und desillusioniert genug bin, überarbeite ich nach Sonnenuntergang auch ihr restliches Profil. Dass ich tagsüber ein wenig zu viel Sonne abbekommen habe, schadet dabei nicht. Im Gegenteil – ich will alles richtig machen und googele als gute Freundin vor dem Ausfüllen worauf man bei eben diesem zu achten hat. Mit klarem Verstand ist das nur schwer umzusetzen. Das Pseudonym  soll einzigartig, neugierig machend, raffiniert und unverwechselbar sein. „Tina“ ist noch frei,  ich tippe auf bestätigen und ergänze das bisher noch frei gebliebene „Lebensmotto“ um den Anfang des Liedtextes von „Biene Maja“. Zufrieden summend lade ich noch ein Foto von meinen eigenen Füßen hoch. Als Autorin, wenn auch im Hintergrund, möchte man ja doch ein Teil des Gesamtkunstwerkes bleiben. Weiter.

Größe: Passe gut unter den Arm.
Gewicht: Sonst noch was?
Beruf: Willste nicht wissen.
Politische Einstellung: Vorhanden.
Religion: Ebenfalls.
Traummann: Verhandelbar.
Beste Eigenschaft: Derzeit verfügbar.
Schlechteste Eigenschaft: —

Den Fließtext fülle ich auf der Autobahn. Mir wird beim Lesen und Schreiben im Auto immer schlecht. Das teile ich den potentiellen Kandidaten mit. Ebenso, dass ich neben Weltfrieden gerne einen Badesee hätte, der von Giesing aus mit dem Fahrrad erreichbar ist. Noch ein bisschen mehr über mich und fertig. Fast. Ein bisschen weniger über mich, mehr über meine Freundin und fertig. Wir sind uns ja ähnlich und wer mich aushält, packt sie allemal. Am Abend erkläre ich ihr, dass sie nun einfach abwarten müsse. Erst mal eine Woche lang gar nicht nachschauen und sich einreden, dass es einen eh nicht interessiert ob man angeschrieben wird oder nicht. Entspann dich, sage ich ihr und versichere abgeklärt und noch immer routiniert, dass sich nun alles von alleine ergeben würde. Steht ja auf der Startseite – hier verliebt man sich. Warum sollten die lügen. Ich strahle sie an und schnappe mir das letzte Stück Wassermelone. Leider habe ich mein Handy nicht in der Hand. Ihr wilder und wütender Blick würde sich herrlich für Xing eignen.

Sechs Wochen später sitzt sie auf meinem Balkon. Alles Mist. Besonders ihr Profil. Es sei ja witzig gewesen, was ich da geschrieben habe, aber Männer stehen nicht auf humorvolle Frauen. Nicht online. Obwohl…meine Freundin lächelt ein wunderschönes Lächeln, sagt eine Weile lang nichts und dann….obwohl, einer hätte sie doch angeschrieben. Gestern erst. Sie reicht mir ihr Handy und lässt mich lesen. Die Nachricht ist lang. Ironisch, etwas sarkastisch, nicht nichtssagend und zwischen den Zeilen lieb. Es ist die perfekte erste Nachricht. Ganz am Ende schreibt einer, den meine Freundin noch nicht kennt, der sie aber schon jetzt zum Lächeln bringt, dass ihr Profil ihn an eine erinnert, die er mal kannte. Die mochte keine Tauben, endet er und erkundigt sich abschließend nach dem Verhältnis meiner Freundin zu Tauben. Klick nicht auf sein Bild, schreit sie mich an, weil man das anfangs bloß nicht zu oft tun sollte. Sie hat es schon beim ersten Mal gespeichert und zeigt es mir.

Dem darfst du nicht antworten, sage ich ihr und starre konzentriert auf die Beinchen einer Hummel, die gerade landet. Ich höre sie atmen. Nicht die Hummel, sondern meine Freundin. Sie atmet lange, bevor sie ok sagt. Mehr muss sie nicht sagen. München ist ein Dorf und der mit der perfekten ersten Nachricht war mal meiner.

32 Gedanken zu “Meine Füße, mein Mann

  1. Liebe Mitzi,
    ich habe ja mit sehr vielen Dingen gar keinen Erfahrung. So hatte ich in meinem langen, langen Leben nicht einmal ein Profilbild! (Oder zählt der Heinrich Avatar bei WordPress etwa mit?)
    Aber ich vermute, dass es bei diesem ganzen neumodischen Krams bestimmt eine App für perfekte erste Nachrichten gibt! Haben Sie Ihre aufgehoben? Ist das der selbe Textbaustein?
    Gruß Heinrich
    😉

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    1. Lieber Heinrich,
      der Heinrich Avatar gehört unbedingt dazu. Auch wenn ich weiß, woher er stammt, weil Sie darüber berichtet haben…für mich sind das Sie und ich mag Ihr Avatar-Ich :).
      Solche Apps muss es geben – es gibt ja für alles welche. Hier aber nicht. Keine Textbausteine, sonst wäre sie ja nicht perfekt gewesen. Da kann einer mit Worten umgehen…Sie ahnen, dass mir das gefällt.
      Herzliche Grüße

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  2. „Nur wenige Frauen stürzen sich so hingebungsvoll auf ein Stück Wassermelone wie sie.“ Geht es nach diesem Kriterium, dann musst du mich unbedingt in den Kreis deiner Eng-Freundinnen aufnehmen. In Marokko habe ich in den zwei Wochen mindestens zwei komplette Melonen verschluckt, aber nicht im ganzen.

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  3. Ja, aber wenn München ein Dorf ist, wäre es nicht einfacher für die Frau (oder für den Mann) anstatt in komplizierten Apps Profile zu erstellen, am Viktualienmarkt oder im Biergarten, zwischen zwei Bissen von der Wassermelone, das Gegenüber gleich anzusprechen – beziehungsweise bei vollem Munde – einen vorgefertigten Handzettel zu überreichen, was die tagelange Warterei auf eine Antwort auf das angenehmste würde verkürzen können … ? 🙂

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    1. Lieber Herr Ösi, das wäre so viel leichter. Wir Münchner haben das probiert, aber es klappt nicht. Leider sind wir halt auch ein Dorf voller Deppen, die nicht mal die banalsten Paarungsriten drauf haben.

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