Biologisches Unkraut

Was ist das wohl sein könne beginnt eine drei Minuten lange Sprachnachricht meiner Freundin Mimi. Detailliert beschreibt sie mir einen Pilz. Von den Lamellen bis zum Stiel schildert sie mir sein Aussehen und endet mit der erneuten Frage, was das wohl sein könne. Ein Pilz, tippe ich, an der Supermarktkasse stehend, in das Handy und beschließe den Redeschwall nicht weiter zu kommentieren. Ja, schon, ein Pilz, höre ich wenig später in einer weiteren Sprachnachrichtund schichte meine Einkäufe in die den Korb. Es stelle sich aber die Frage, welcher genau es sein könne. Mimi beschreibt die Kappe und ich rufe sie an um ihr zu sagen, dass ich erstens, das Brot für unseren Grillabend vergessen habe und sie doch bitte zweitens, einfach den Verkäufer am Marktstand oder im Supermarkt fragen soll. Ich schlage es vor, obwohl ich bereits ahne, dass meine Freundin sich weder am Vikualienmarkt noch an einem anderen Gemüsemarkt befindet. Meine Ahnung bestätigt sich, als sie mir ein Foto schickt. Mimi kniet auf dem feuchten Waldboden und beäugt einen einzelnen Pilz.

Ich ignoriere die Frage nach der Pilzgattung und erkundige mich lieber, ob es sein kann, dass sie auf dem Heimweg einen Abstecher durch den Grünwalder Forst gemacht hat. Das wäre blöd. Denn wenn sie jetzt noch dort auf dem Boden hockt, dann schafft sie es nicht mehr zum Bäcker und ich muss mich wohl oder übel im Supermarkt ein zweites Mal anstellen. Sie ist im Forst. Genauer gesagt, schon fast wieder draußen. Oder drinnen, denn sie ist über einen Zaun geklettert, um den vermeidlichen Steinpilz näher in Augenschein zu nehmen. Der würde sich nämlich als Beilage zum Grillzeug machen. Obwohl ich Steinpilze sehr schätze und sie nie verschmähe, wenn mein Vater sie von einem Spaziergang mit nach Hause bringt, ist mir heute das Brot wichtiger. Ein einzelner Steinpilz reicht nicht für acht Erwachsene. Mimi das zu sagen, wäre aber sinnlos. Seit sie sich gesund ernährt und mehrere Volkshochschulkurse zu unglaublich gesunden und wahnsinnig biologischem Essen, das am Wegrand wächst, gemacht hat, kniet sie häufig in der Wiesen und Wäldern und sucht nach ihrem Abendessen. Ich versuche es also anders und erinnere sie an die freilaufenden Wildschweine im Forst und betone deren Aggressivität gerade im Juli. (Nur am Rande…meines Wissens nach gibt es die nicht, solange Sie nicht so doof sind und versuchen, die Frischlinge zu streicheln). Mimi zieht nicht. Nicht bevor sie weiß ob es ein Steinpilz ist. Ich bitte um eine Nahaufnahme und rufe ein zweites Mal an. Das sei kein Steinpilz. Sicher, fragt sie und ich bejahe. Eindeutig kein Steinpilz. Was dann? Das weiß ich nicht, aber ich bitte sie, nicht daran zu knabbern, weil ich zwar keine Ahnung habe was Mimi da sieht, es aber definitiv kein Steinpilz ist. Als ich nur ihren Atem höre und das Gefühl habe mit einem Kind zu sprechen werde ich deutlicher. Nein, Mimi, das darfst du dir nicht in den Mund stecken. Das ist bäh und das macht dem Bauch aua. Sie lacht. Wie ein Kind. Und ich fauche wie eine Mutter, Finger weg, sonst bist du tot.

Ich kaufe das Brot jetzt selbst und verfluche in Gedanken die Bio-Idioten. Gerade steht einer vor mir. Kauft die Avocado aus Übersee, wirft sich eingeschweißten Salat und abgepacktes Fleisch in den Wagen und hinterfragt nichts – aber auch gar nichts – solange auf dem gekauften Mist nur Bio drauf steht. Das macht mich wütend. Ja, ich versuche nachhaltig einzukaufen und ja, ich möchte keine gentechnisch veränderten Produkte konsumieren aber Bio alleine reicht eben nicht. Die Bio-Anhänger in meinem Umfeld schalten das Hirn aus, seit ihnen ein Etikett das Denken abnimmt. Und schlimmer noch – sie stecken sich alles in den Mund, was draußen wächst, weil mehr Bio schließlich nicht geht. Hübsches Halbwissen. Ob die Hunde den Löwenzahn angepinkelt haben interessiert sie nicht, dass die Blätter eine Buche jung sein sollten auch nicht und das die Hollunderblüten direkt an der Schnellstraße wachsen auch nicht. Hauptsache Bio. Ich sag es Ihnen….Durchfall ist nur das kleineste Problem meiner Bio-Freunde. Früher oder später vergiftet sich noch einer aus versehen, weil ein VHS Kurs einen noch lange nicht zur Kräuterhexe macht.

Ich helfe meinen Freunden manchmal beim Kräutersammeln aus. Da bin ich firm. Ich bin am Land aufgewachsen und habe mir unter der Anleitung meiner Oma und meiner Mama tatsächlich nur das in den Mund geschoben, das schmeckt und gut verträglich ist. Bei Kräutern kenne ich mich aus. Um Mimi eine Freude zu machen, habe ich ihr im Frühjahr einen Blumenkasten mit Planzen geschenkt, die ich alle samt selbst bei mir daheim am Land ausgebuddelt habe. Sauerampfer, Giersch und ähnliches. Sehr gesund und für Bio-Menschen ein Traum. Mimi ist mir auch dankbar. Als wir uns nach dem Grillen noch ein wenig unterhalten, erzählt sie mir, dass im Salat wieder ganz viel Giersch war. Den würde sie besonders mögen, obwohl meine Aussage, dass er wie Petersilie schmecken würde, eigentlich nicht stimmt. Er schmeckt gut, aber anders. Ich zucke mit den Schultern. Geschmäcker sind ja verschieden. Als es dämmert, gieße ich auf Mimis Balkon, die Blumen und Kräuter. Auch den Giersch, den ich ihr im Frühjahr gebracht habe. Er blüht. Hübsche gelbe Blüten sehe ich und schnalze leise mit der Zunge. Das ist jetzt blöd. Giersch blüht nämlich weiß.

Ich verabschiede mich schnell und konsultiere die Familien Whats App Gruppe. „Was sieht aus wie Giersch und blüht gelb?“ Die Antworten beunruhigen mich.

31 Gedanken zu “Biologisches Unkraut

    1. Jedenfalls ist sie nicht schnell tödlich ;).
      Ich zitiere Wikipedia: Pflanzenart seit Jahrhunderten in der Volksmedizin zur Linderung der Schmerzen bei Rheumatismus und Gicht (Podagra) Verwendung fand.

      Giersch gilt bei Gärtnern als lästiges Unkraut; er wuchert und lässt sich wegen seiner unterirdischen Triebe nur schwer bekämpfen. Andererseits ist Giersch ein wohlschmeckendes Wildgemüse.

      Meine Mutter verwendet es tatsächlich recht oft. Die sagt auch, dass es NICHT gelb blüht 😉

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  1. Irgendwann habe ich aufgehört, mir über die Giftigkeit solcher Pflanzensachen allzu viele Gedanken zu machen. Meine Methode lautet: Wenn ich am nächsten Morgen tot aufwache, weiß ich, dass das Zeug giftig war und lasse in Zukunft die Finger davon. Genial einfach. 😉

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      1. Ja, das ist dann so ähnlich wie mit der „best before“-Hysterie. Es wird blindlings alles zsammgfressn – egal welcher Schweinkram drinsteckt. Aber wehe, das „magische“ Datum wird auch nur um einen Tag überschritten. Da ist dann ein Heulen und Wehklagen, weil man bestimmt schon vom Anschauen tot umfällt. 😉

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  2. Einfach essen. Was ich kenne, von Kennern aufgetischt wird und ich mag. Den Giersch gab es vor einiger Zeit bei einer Wanderung mit Kräuter-Darbietung. Interessanter Geschmack, den Namen konnte ich mir merken, gleichwohl nicht die Blätter, und an Blüten erinnere ich mich nicht.
    Für Pilze gibt es (ehren-) amtliche Beratungsstellen. Vermutlich gibt es auch bald Pilz-Apps …
    Herzlich Bernd

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  3. Ach die Mimis dieser Welt. Meistens sind das zum Glück nur Phasen. Da sind mir die mitzis wesentlich lieber 🙂
    Ich hab leider null botanisches wissen, was ich immer traurig finde. Mein Opa weiß viel, aber jetzt komme ich nicht mehr recht mit ihm in den Wald und als wir noch so viel gemeinsam spazieren gegangen sind habe ich das wissen nicht zu schätzen gewusst 😦

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  4. Liebe Mitzi,
    ihre Geschichten sind auf jeden Fall wesentlich köstlicher als alles wo BIO draufsteht.
    Echtes BIO gibt es selten und ist schwer in die Alltagstauglichkeit zu integrieren. 😉
    Gruß Heinrich

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  5. Steinpilze haben übrigens keine Lamellen sondern eine Röhrenschicht auf der Hutunterseite. Unter den Röhrlingen gibt es keine gefährlich giftigen Pilze, nur solche, die unangenehme Magen-Darm-Beschwerden verursachen können. Alle gefährlich bis tödlich giftigen Pilze dagegen sind Lamellenpilze.

    Die wohlschmeckende Pflanze könnte Liebstöckel gewesen sein. Das ist ein Doldenblütler wie Giersch, blüht aber gelb.

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  6. Nun ja, BIO oder nicht. Für mich ist entscheidend, dass das Ganze schnell zubereitet ist.
    Obwohl! Stimmt nicht!
    Ich nehme auch Wein, der mit einem Korken verschlossen ist. Drehverschluss wäre schneller … 😉

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      1. Genießer, das bin ich. Die endlose Zubereitung hat immerhin den Vorteil, dass man schon während des Kochens ständig prüfend probiert und sich das edle Geschirr sparen kann, da man die Köstlichkeiten bereits in der Küche verspeist. Der Weinpegel, der sich während einer langen Zubereitung stetig hoch schaukelt, ließe ohnehin kein gemütliches Genießen nach dem Kochen zu … 😉

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      2. Ach so. Ja, das passt nun wieder gut zu meiner Vorstellung ;). Das Probieren verdirbt nicht den Appetit, wie Sie schreiben ist es eigentlich als Mahlzeit zu verstehen und die benötigt eine schöne Weinbegleitung 🙂

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      3. Ich könnte es auch so ausdrücken: erst mit der richtigen Weinbegleitung macht das Kochen wirklich Spaß. Dann darf es gern auch Stunden dauern … 😉

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  7. Ein wenig finde ich es schade, dass der Garten bei uns hinter Haus so unfassbar sauren Boden hat, dass dort fast nichts wächst. Zumal es mit der Sonnenlichtausbeute auch nicht allzu rosig aussieht. Irgendwie bin ich allerdings auch froh darüber, denn mein grüner Daumen hält sich wirklich in Grenzen.

    Meine Erfahrungen sagen jedoch, dass Kindermagendarmtrackt so einiges abkann. Ich war habe mir nämlich alles einverleibt zum leiden meiner Eltern…

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    1. Den grünen Daumen habe ich leider auch nicht – ob etwas gedeiht ist reine Glücksache. Den robusten Magen teilen wir uns ebenfalls. Angeblich habe ich gerne kleine Steinchen geschluckt – warum auch immer.

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  8. Also wo Bio drauf steht … muss also auch Bio drin sein. Das ist so, wie die Geschäftsidee meines Freundes: Brennholz-Verleih.
    Lass es im Dschungel schneien, Andreas

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