Sicher ist sicher

Es geht nicht, sagt er und steht wie so oft vor dem Fenster, vor dem es im noch grauen März nichts zu sehen gibt. Es geht nicht, wiederholt sein Rücken und ich warte bis er mir sagt, was nicht zu gehen er glaubt. Mit jemandem wie mir, könne er nicht für den Rest seines Lebens den ersten Kaffee des Tages trinken. Es sei ihm unmöglich das Leben mit jemanden zu teilen, der den ersten Kaffee des Morgens auf diese Art und Weise trinkt, murmeln seine Schultern bevor er sich umdreht und mir die Zuckerdose aus der Hand nimmt. Erst kommt der Zucker in die Tasse, mit dem sauberen Löffel, dann schüttet man den Kaffee darauf. Das sei doch nicht so schwer. Seinetwegen könne der saubere Löffel den Zucker auch in den Kaffee kippen, das sei ihm egal. Er könne es aber nicht mit ansehen, wie ich den schwarzen, noch ungesüßten Kaffee umrühre und dann den beschmutzten, vor Kaffee triefenden Löffel in die Zuckerdose tauche um mir zwei randvolle Teelöffel in die Tasse zu kippen. Ich erspare es uns, ihm zu erklären, dass der Zucker meiner Dose durch diese Technik ein besonderes Aroma hat und nicke verständnisvoll. Ja, ein solches Verhalten sei schrecklich. An so etwas würden Ehen zugrunde gehen und wir könnten uns glücklich schätzen, nicht verheiratet zu sein. Ich mag die Falte, die zwischen seinen Augenbrauen erscheint und sage es ihm. Er will es nicht hören und erklärt mir weiter, dass er es als besonders provokant empfindet, dass ich zwischen dem ersten und zweiten Tauchen des Löffels den Kaffee – völlig sinnbefreit – umrühren würde. Als wäre es nicht dämlich genug ungesüßten Kaffee umzurühren, rühre ich ein zweites Mal so sinnlos. Dieses Zwischenrühren würde ihm besonders auf die Nerven gehen. Seit Jahren. Eine Ehe könne er aus diesem Grund ausschließen. Man tritt nicht vor den Altar, wenn man weiß, sich so etwas jeden Morgen mitansehen zu müssen.

Ich beruhige ihn, denn er wird ganz sicher nicht für den Rest des Lebens den ersten Kaffee des Morgens mit mir trinken. Viel zu oft wacht er vor mir auf und trinkt ihn alleine. Sehr oft schläft er in seiner Wohnung und wenn er den ersten Kaffee des Tages trinkt, sitze ich in meiner Wohnung. Er müsste sich also keine Sorgen machen. Allenfalls würde er drei bis maximal vier erste Kaffees des Tages an meiner Seite trinken. Vielleicht für den Rest deines Lebens, aber das sind dann immer noch nur 50 % und damit zu verschmerzen. Würde er mir also jetzt in diesem Moment einen Antrag machen, dann sei das völlig ungefährlich. Den Kaffee betreffend.

Die schöne Falte zwischen den Augenbrauen verschwand. Sie wich zwei noch schöneren in den Mundwinkeln. Trotzdem, würde er nicht verstehen, wie man so seinen Kaffee trinken kann. Überhaupt, meinte er, verstehe er vieles nicht. Ich sei so schwer zu greifen. Dass das nicht stimmt, zeige ich ihm, indem ich seine Hand auf meine Schulter legen und die andere auf mein Knie. Für einen fast 2 m großen Mann sei es doch ein leichtes mich kleines Persönchen zu fassen. Im Liegen sogar ohne sich anzustrengen und sich den Rücken zu verdrehen. Er müsse sich auch keine Sorgen machen, ich würde nicht mehr wachsen. Auch diesbezüglich wären wir auf der sicheren Seite, versicherte ich ihm.

Es bedarf einer seltenen Planetenkombination, wenn der Mann, der ab und zu mit einer Flasche Wein vor meiner Türe steht, sich so viele Gedanken macht. Er merkte es selbst, produzierte Falten und schüttelte den Kopf. Ob mich das nicht verunsichern würde, wenn er mir so klar zu verstehen gäbe, dass er mich nicht verstand. Mich nicht fassen könne und sich fragte warum er sich das Löffeldrama an so vielen Morgen ansehen würde. Ich verneinte. Nein, verstehen, müsse er mich nicht. Im Gegenteil. Das würde mich doch sehr unter Druck setzen, auch ihn verstehen zu müssen und Männer verstehen zu wollen, habe ich mir bereits kurz nach dem zwanzigsten Geburtstag abgewöhnt. Mir würde es reichen, wenn er mich lieb hat. Besonders dann, wenn ihm diese Tatsache völlig unverständlich erscheint.

Für den Mann, dem es zu intim erscheint seine Zahnbürste bei mir zu platzieren, kaufe ich dennoch eine Zuckerdose die er künftig sein eigen nennen darf. Sicher ist sicher. Beziehungen scheitern an weit kleineren Absonderlichkeiten.

42 Gedanken zu “Sicher ist sicher

  1. Der letzte Satz ist ein wahres Wort, liebe Mitzi, Selbst was man anfangs noch süß und liebenswert findet, kann nach vielen gemeinsamen Jahren nerven. Drum ist man auf der sicheren Seite, wenn kleine Eigenarten vor dem Zusammenziehen rundweg positiv gesehen werden. Dann dauerts nämlich noch eine Weile, bevor die Bewertung ins Gegenteil kippt.

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    1. Unbedingt, lieber Jules. Am Anfang sehen wir nichts, wegen der rosa Brille und später hilft uns vielleicht die Erinnerung an die Zeit als man es liebenswert fand. Früher oder später kommt der Moment, da möchte man dem anderen an die Gurgel springen. Wenn man es nur denkt und nicht tut, hat man vielleicht eine Chance 😉

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  2. Weißt Mitzi, mein mir Angetrauter konnte nie verstehen, warum ich nach dem Essen beim Aufräumen der Küche immer noch mit der Gabel bei der Pfanne am Herd stand und herum naschte. Warum ich mir nicht noch einen Nachschlag geholt hätte? Dabei ist es doch direkt aus der Pfanne am allerbesten. Heute nach 15 Ehejahren und beinahe doppelt so vielen gemeinsamen Jahren mache ich das nicht mehr. Dafür er! Muss man nicht verstehen, oder?

    Wir brauchen diese Kleinigkeiten. Worüber sonst Geschichten erzählen?
    Herzliche Grüße, Veronika

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    1. Das muss man nicht verstehen. Aber man kennt es. Jede, aber auch jede, gute Beziehung die ich kenne, beinhaltetet mindestens einen Partner, der nach dem Essen aus dem Topf oder der Pfanne nascht. ;).
      Liebe Grüße

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  3. Liebe Mitzi,
    amerikanische Forscher haben in einer Studie herausgefunden, dass Kaffee, der von Kaffeevollautomaten hergestellt wird, in völliger Unordnung in die Tasse fließt. Nicht nur die Konzentration lässt im Laufe des Einfüllvorganges nach, sondern die gleichmäßige Erwärmung des Porzellans und Verteilung der Aromen könnte theoretisch nur sichergestellt werden, wenn die Tasse sich (ähnlich einem Mikrowellenteller) beim Befüllen drehen würde.
    Solange das nicht implementiert ist, soll der verantwortungsbewusste Kaffetrinker den Kaffee zunächst einmal umrühren, unabhängig davon, ob später noch Zucker oder Milch hinzugefügt wird.

    Sie machen also ALLES richtig! Goldrichtig! Wenn ein unerfahrener Kaffeebanause das nicht zu würdigen weiß, hat er hoffenlich andere Eigenschaften, die Ihnen gefallen! 😉
    Gruß Heinrich

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    1. Lieber Heinrich, bis vor kurzem habe ich mein Umrühren gar nicht hinterfragt. Man macht ja vieles, das einem gar nicht auffällt. Seit heute Nachmittag habe ich intensiv darüber nachgedacht. Leider bin ich nicht zu einer so schlüssigen Erklärung gekommen, wie die, welche Sie mir gerade präsentieren.
      Meine Erleichterung ist groß. Ich hoffe Sie gestatten mir, dass ich Sie weiter reiche. Nächsten Sonntag. Oder vielleicht auch nicht, denn Ihre Hoffnung ist begründet – eine der wunderbaren Eigenschaften des Banausen ist es, manches einfach hinzunehmen. Erst mit einem Stirnrunzeln und dann mit einem Schmunzeln.
      Herzliche Grüße

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  4. Stimmt schon, an Kleinigkeiten zerbricht vieles, sie häufen sich an und werden am Ende zu was großen. Umso besser ist es, wenn man sich entgegen kommt, Dinge annimmt, Kompromisse eingeht oder vielleicht nur eine neue Zuckerdose einführt, anstatt stur zu sein, auf seine Dinge beharrt und am Ende getrennte Wege geht ♡

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  5. „Männer verstehen zu wollen, habe ich mir bereits kurz nach dem zwanzigsten Geburtstag abgewöhnt. Mir würde es reichen, wenn er mich lieb hat.“ das ist die perfekte lebens- und liebesweisheit denke ich. wer versteht sich schon selbst? wie soll einen da jemand anderes verstehen? wenig überraschend große zustimmung von mir und den text habe ich wieder einmal sehr genossen ❤ es würde mich auch narrisch machen (wie man wohl sowohl bei uns als auch bei euch sagt 🙂 ), aber ich stecke dafür abgeschleckte marmeladenlöffel ungeniert wieder ins glas zurück und esse striezel mit salami. über absonderlichkeiten darf ich mich nicht beschweren. glashaus und so 😀

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    1. Stimmt schon. Außer „Männer“. Menschen muß es heißen.
      Und wer sich wann was von wem gefallen lässt ist absolute Privatsache. Niemals einmischen. Gefährlich! Da landet man schnell selbst im Fokus! Also: Ja klar, ist schon OK.

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    2. Ich danke dir und glaube, dass wir alle im Glashaus sitzen – nur eben nicht immer im selben.
      Solange uns die Kleinigkeiten die uns narrisch machen auch zum Schmunzeln bringen, ist alles im grünen Bereich. Und mit den anderen werden wir auch noch fertig. Den eigenen und denen von anderen – es hilft ja nichts und wäre sonst auch etwas langweilig.

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      1. du sagst es. und der erfahrung nach sagen dinge, die einen am anderen narrisch machen, auch immer ein bisschen was über einen selbst aus. man kann und darf also allzeit lernen 🙂

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  6. Also mir sind ja schon viele Streithemen unter gekommen von der Taschentuchmarke bis zum Whats-App Emoji, aber die Art und Weise wie man seinen Kafee trinkt ist mir auch noch nicht untergekommen. Konflikpotenzial heraufzubeschwören ist keine Kunst, den Dialog zu sehen und einen Kompromiss zu finden schon eher.

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    1. Oder, wie in dem Fall, die Größe haben manche Dinge hinzunehmen. Und, wie schon gesagt, unabhängig vom Geschlecht. ( Seit der Story mit dem angeblich Frauenfeindlichen Gedicht muss ich da immer wieder dran denken! )

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    2. Schön gesagt.
      Mein etwas naiver Optimismus lässt mich aber glauben, dass man in der richtigen Kombination zweier Menschen, früher oder später Kompromisse findet. Sie mögen nicht die besten sein, aber man kommt klar. Außerdem ist pure und reine Harmonie auf Dauer für eine Beziehung auch nicht erstrebenswert. Ein paar Reibungen (harmlose) schaden manchmal nicht.

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  7. Liebe Mitzi, es tut mir furchtbar leid, es zu sagen, aber: er hat Recht.
    Zumindest wenn man den Kaffee wie ich mit der Nespresso-Maschine macht, wo, bevor man das Knöpfchen drückt, Zucker und Milch in die Tasse hineingegeben werden MÜSSEN, damit sich alles cremig vermischt … 🙂

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    1. Nicht verstanden? Irrelevant, vor allem in einer langen Beziehung! Zustimmung erfolgt nur um des lieben Friedens willen und um ein Ende zu finden.“Recht“ spielt keine Rolle.

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    2. Ach Herr Ösi, natürlich hat er Recht. Rational betrachtet.
      Aber wer will den morgens schon rational sein und denken. Ich will rühren, wo ich nicht rühren muss, will wunderweißen Zucker mit Kaffee beflecken, einfach so. 🙂
      Verraten’S aber bitte nicht, dass ich einfach stur bin und sehr genau weiß, dass ich rühren will und nicht muss ;).

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      1. Das hab ich in meinem morgendlichen Schnell-Schnell-Husch-Husch-Wahnsinn ganz vergessen, dass man den Kaffee auch gemütlich genießen kann und durch „scheinbar“ vermeidbare Löffeldrehungen die Hektik aus dem Alltag nimmt, bevor man ihn beginnt … 😉

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  8. Gehst Du etwa auch mit dem mit Butter verschmierten Messer ins Honigglas? Dann, liebe Mitzi, dann … haben wir leider keine gemeinsame Zukunft. Gut, ausnahmsweise könnte ich mal mein eigenes Honigglas mitbringen, soo schlimm ist das eigentlich auch nicht. Und da ich sowieso keinen Zucker in den Kaffee nehme, ist mir Deine Zuckerdose völlig egal. Puuh – da haben wir ja nochmal Glück gehabt!;-)

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    1. Nein! Niemals. Das ist ja widerlich.
      Ich bin erleichtert unsere gemeinsame Zukunft nicht völlig gegen die Wand gefahren zu haben ;).
      Aber….kein Zucker….das ist schon ein bisschen befremdlich. Gar keinen? Nicht mal ein bisschen?

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      1. Nein, gar kein Zucker, leider, nur mit warmer Milch und auf keinen Fall zu stark … hm, ich seh schon, ich reite mich immer tiefer rein, was kann ich dir als Ausgleich bieten – ißt Du morgens manchmal Rührei mit Speck und Würstchen? Außer beim Englisch Breakfirst hasse ich das wie die Pest, diese Fettdünste gleich nach dem Aufstehen, aber Dir könnte ich es vielleicht durchgehen lassen, also jetzt alle zwei Jahre einmal. Und was ich natürlich auch nicht leiden kann, wenn zuviel geredet wird, also plappern, Du weißt schon, Laute, die den Mund verlassen, schrecklich, wenn der Schlaf noch in den Gliedern sitzt, und außerdem mag ich es eigentlich auch nicht, wenn überhaupt jemand da sitzt, also mir jetzt gegenüber, im selben Raum. In einem anderen Raum, am besten natürlich in einer anderen Wohnung: Ü-ber-haupt kein Problem, da bin ich soo tolerant! Wenn wir uns darauf einigen könnten – ich will nicht übertreiben, aber ich bin eine ziemlich gute Partie.

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      2. Ich ahnte es. Das mit der guten Partie. Fettgeruch am Morgen geht gar nicht. Egal ob süß oder deftig. Aber das ist bei uns auch egal. Unsere Lösung hast du gerade präsentiert – zwei Wohnungen. Wir können uns mit unseren Macken gar nicht abschrecken. Zum Plappern sag ich nichts, ich will mich nicht zur schlechten Partie abstempeln 😉

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  9. Zum Glück trinken wir keinen Kaffee. Womöglich hätten wir sonst das verflixte siebte Jahr nicht überstanden…
    Und wir haben eine Halterung für zwei Zahnputzbecher, soviel Privatsphäre muss sein. 😉

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  10. Männer verstehen Frauen nicht? Frauen verstehen Männer nicht? Eltern Kindern, Kinder Eltern? Manche verstehen anderer Angewohnheiten nicht? – Käse! Quatsch! Es gilt festzustellen und zu -halten: Menschen verstehen Menschen nicht, das geht auch gar nicht, denn der Mensch versteht sich selbst ja nicht. Und da wir uns selbst nicht verstehen – wie könnten wir uns anmaßen, die anderen zu begreifen? Ja, allenfalls das können wir: sie betasten, anfassen, hoffenltich nicht angreifen, sondern sanft, womöglich liebend berühren. An der Oberfläche. Mehr geht nicht. Mehr geht doch bei uns selbst kaum!

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    1. Wie schön du das geschrieben hast. Daran liegt es wohl – wir verstehen uns ja selbst nicht. Das macht es etwas kompliziert, das lieben, aber eben auch nicht unmöglich.

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