Ab nach Haar!

Haben Sie schon einmal versucht, mit einem Kaninchen einen vernünftigen Dialog zu führen? Nein? Dann lassen Sie es. Es wird nicht funktionieren. Nicht, wenn Sie – was ich unterstelle – halbwegs bei Verstand sind. Eigentlich sollte einen ja schon die Konstellation misstrauisch machen. Ein erwachsener Mensch und ein Karnickel führen ein Gespräch. In einem Roman mag hieraus ein charmantes und vielleicht sogar philosophisches Gespräch entstehen. Man muss nur an Alice im Wunderland und das weiße Kaninchen denken. Ganz anders ist es, wenn Sie sich in der realen Welt mit einem Kaninchen auf einen Kaffee verabreden wollen. Dann stoßen Sie schnell an Ihre Grenzen und zweifeln am Verstand. Nicht an Ihrem, an dem des Kaninchens. Das Kaninchen, mit dem ich mich zu einem Kaffee verabreden wollte heißt Petra und hat ein, für einen Nager, wahrlich greisenhaftes Alter – es ist so alt  wie ich. Wir kennen uns schon lange, haben während des Studiums zusammen gearbeitet und uns dann aus den Augen verloren, bis sie sich vor einem Jahr via Facebook bei mir gemeldet hat. „Hallo, ich bin´s. Petra aus dem Statistik Kolloquium. Erinnerst du dich noch an mich?“ Ich erinnerte mich gut. Petra hatte mich mit einer Nussschnecke und vier Espressi vor einem Nervenzusammenbruch kurz vor der Klausur gerettet und mich über weite Teile meines Studiums begleitet. Trotzdem war es gut, dass sie nach dem „ich bin´s“ Ihren Namen und eine ungefähre Zuordnung unserer Bekanntschaft mitteilte. Am Profilbild hätte ich sie nicht erkannt. Das zeigte nämlich das Bild eines unscharf aufgenommenen, Löwenzahn mümmelnden Kaninchens. Wir schrieben uns ein wenig hin uns her und vereinbarten, uns zu treffen, wenn Petra einmal wieder zu Besuch in der alten Heimat sei. Es war das letzte Mal, das ich von Petra hörte.

Bedeutend öfter, mehrmals täglich, las ich von ihr auf Facebook. Zumindest glaube ich, dass es Petra war, die die fast stündlich erscheinenden Posts verfasste. War sie es nicht, dann konnte Louis, ihr Kaninchen, virtuos mit dem Smartphone umgehen und war imstande sowohl Selfies zu posten als auch ausführlich über seinen Tag zu berichten. Es ist nicht so, dass mich Tiere nicht interessieren. Im Gegenteil, an manchen Tagen ist mir die Gesellschaft eines Fellknäuls sogar lieber als die eines ständig plappernden Menschen. Nur, wenn ein Tier allzu sehr vermenschlicht wird, dann steige ich aus. Ich stellte Petra auf stumm. Louis ging mir auf die Nerven. Leider begann er nach kurzer Zeit mir auch Direktnachrichten und E-Mails zu senden. Zum Beispiel:

„Hallo Mitzi. Hast du mein Foto auf Facebook gesehen? Ich habe einen Bruder bekommen. Mama Petra hat gesagt, wenn ich verspreche, ganz vorsichtig zu sein, dann darf ich auch wieder länger aus dem Käfig.
Ich habe nicht so ganz verstanden, was sie gemeint hat, denn ich bin doch immer vorsichtig.
In der großen Welt, in dem großen Zimmer, habe ich dann einen Freund gefunden. Er sieht ein bisschen komisch aus. Aber mir war das egal.
Billie kann nämlich prima spielen und kuscheln und er hat keine Angst vor mir gehabt, er mag mich!
Mama Petra hat gesagt, wir wären ein ganz niedliches Paar und dass sie sehr stolz auf mich ist, weil ich so schön mit Billie spiele.
Billie und ich haben jetzt eine eigene Facebook Seite. Like uns doch und teile unsere Kuschelfotos. Mama Petra würde sich ganz doll darüber freuen.“

Ich antworte keinem Kaninchen. Das fand Louis doof. Mama Petra wohl auch. Im Abstand von wenigen Tagen kamen weitere E-Mails. Personalisierte E-Mails.

„Du, Mitzi, wir vermissen dich auf unserer Seite und haben jetzt auch einen Blog. Unter http://www.billieundlouiskuscheln.de findest du ganz, ganz süße Bilder von uns. Like die Seite und du lernst Billie kennen.
Ich glaube, er war so einsam, wie ich. Er tut mir ein bisschen leid, denn er hat noch niemanden, zu dem er ins Glück reisen darf. Würdest du die Seite auf deinem Blog teilen, findet er vielleicht jemanden. Er ist ja nur Gast bei uns.“

Ich habe geantwortet. Nicht dem Viech, sondern Petra und vorgeschlagen, dass wir uns nächsten Samstag doch mal auf den Kaffee treffen könnten, wenn sie in der Stadt ist. Auf meine Mail von vor drei Monaten hatte sie nicht geantwortet und mich hätte wirklich interessiert, was aus ihr geworden ist. Sie war wunderbar schräg während unseres Studiums und auch wenn die Billie Sache irgendwie bescheuert fand…egal, Petra interessierte mich.

Leider bekam ich keine Antwort. Also schon, aber nicht von ihr.

„Mama Petra hat gesagt, der Kaffee geht klar. Sie erinnert dich daran, dass jedes Kaninchen SEINEN Menschen finden wird und besondere Kaninchen brauchen manchmal ein bisschen länger, bis sie ihn finden. Vielleicht können deinen Freunde dabei helfen, für Billie ein Zuhause zu finden. Oder für seine Kinder. Billie ist – was für eine Überraschung – eine Billiene und erwartet Nachwuchs.“

Ich gratulierte Louis zu seiner Potenz und schlug vor, dass Mama Petra für künftige vierpfotige Übernachtungsgäste getrennte Zimmer oder eine Kastration des Gastgebers in Erwägung ziehen solle. Außerdem bat ich ihn, Mama Petra auszurichten, dass ich statt des Kaffees eine Bar bevorzugen würde. Ich hatte das Gefühl, dass ich für das Treffen mit Petra einen Drink gut brauchen könnte.

Unsere Verabredung fand nicht statt. Louis übernahm es, mir die Absage schriftlich zu übermitteln:

„Mitzi, schlimmes ist passiert. Wie jeden Abend hat mich meine Mama in den, komplett eingezäunten, Garten gelassen, um Löwenzahn zu mümmeln. Ich hörte ihre Stimme wie sie nach mir rief – „Louis“ – doch die Stimme war schon weit weg … denn ich wurde entführt. Ich wollte zu ihr, doch die Fremden steckten mich in einen Karton und rannten mit mir davon. 
Ich hatte Angst, große Angst.
Mama Petra meldet sich, wenn ich wieder da bin. Bis dahin bitte teile meine Vermisstenanzeige.“

Ich empfahl Louis sich, da er anscheinend über einen funktionierenden Internetzugang verfügte, sich doch direkt an die nächste Polizeidienststelle zu wenden. Und wenn sein Akku dann noch Luft hatte, dann sollte er für sein Frauchen, sorry…seine Mama, doch gleich einen Platz in der Klapse reservieren. Und für mich auch. Schließlich unterhielt ich mich seit geraumer Zeit mit einem traumatisierten Karnickel.

Petra hat mir die Freundschaft gekündigt. Irgendwie bin ich darüber erleichtert.

46 Gedanken zu “Ab nach Haar!

  1. Es wäre ja fast interessant, eine Untersuchung darüber anzustellen, mit welcher bloggenden / twitternden / facebookenden Tierart sich die interessantesten Unterhaltungen führen lassen. Habe leider im Moment überhaupt keine Zeit dafür. Husch und wech! )))))))))))))))))))))))))))))))))))))))))))))

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  2. Köstlich ! Das erfolgreiche Absolvieren eines Statistikseminars ist also doch keine Garantie für längerfristige geistige Gesundheit 🙂 Ich habe einmal bei irgendeinem Spiel gegen einen Hamster verloren, das gab mir auch sehr zu denken …..

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  3. Wenigstens hat Louis für sich selber geredet. Es gibt ja auch diese drolligen (vermeintlich vom Tier stammenden) Texte, die permanent diesen Krankenschwestern-Plural à la „Wie geht’s UNS denn heute“ pflegen. Dazu gehört dann auch das Einbeziehen von Herrchen und Frauchen bei „WIR müssen heute zur Kastration“, obwohl bei mindestens einer der beteiligten Parteien die Lobotomie sinnvoller wäre…. 😉

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    1. Ein drastischer Gedanke, aber ein sehr amüsanter ;). Dieser Plural geht mir eh auf die Nerven. Auch im Umgang mit Kindern, Kranken oder Alten. Die Kombination von dem mit der Rollenübernahme eines Tieres….OMG 🙂

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      1. Ah…jetzt :))). Hätte ich noch Kontakt mit Mama Petra, wäre das ein schöner Hinweis auf eine der seltsamen E-Mails. Vermutlich ein letzter Hinweis.

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    1. Lieber Heinrich….ich fürchte mich doch tatsächlich auf den roten Knopf in Ihrem Link zu drücken. Ich möchte nicht daran schuld sein, die Welt in das Chaos zu stürzen. Viel wichtiger aber….ich habe Angst, dann den Kontakt zu Ihnen zu verlieren.

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      1. Liebe Mitzi,
        „sollte“ es mal eine Internetabschaltung geben, verlege ich einfach den Ort Lehrte. Lehrte ist es völlig egal, ob es ein Vorort von Hannover oder München ist. Das kriegen wir hin! 😉
        Gruß Heinrich

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  4. Ach Fräulein Mitzi, wie gut dass sie die Freundschaft mit einem sprechenden, Mails schreibenden, bloggenden und virtuell aufdringlichen Karnickel beendet haben. Bedenken sie wohin das noch geführt haben könnte… ich wittere hier die direkte Fährte nach Haar. Für das Karnickel selbstverständlich. Wenn sie über diesen virtuellen Schock hinweg sein werden, empfehle ich die Donnersbergerbrücke morgens um fünf Uhr – dort kann man im Sommer wieder echte Kaninchenfamilien beobachten.
    Herzliche Grüße
    Simone

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    1. Liebe Simone, schön, dass sie meine Entscheidung nachvollziehen können. Herzlichen Dank für den Tipp – gerade dort ist es besonders schön, die hübschen Kerlchen zu beobachten. Nur so früh….

      Herzliche Grüße

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  5. eijeijei. ich könnte hierzu vermutlich romane verfassen, aber ich glaube, ich belasse es dabei. manche kontakte hat man wohl besser einfach nicht. seitenlikeaufforderung anstatt persönlicher antworten finde ich ja auch total hip.

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      1. haha das sehe ich auch so 🙂 vor allem privatpersonen, die mit ihren hobbies nichtmal geld verdienen und „freunde“ damit beglücken, sollten da vorsichtig sein. aber sie hat ja deutlich gemacht, wo ihre prioritäten und was ihre konsequenzen sind.

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  6. Hallo Mitzi, so komisch es geschrieben ist und sich noch komischer liest – ich kann mir vorstellen, dass es so etwas gibt.
    Wenn ich also nur noch als Motorroller mit dir spreche und schreibe und dir von allen meinen Roststellen vorjammere, wäre ich dich auch bald los.
    Da bleibe ich doch lieber im Fb-Look mit schrägem Hütchen, da kann ich wenigstens halbwegs ICH, die Clara sein und gucken, was hier so getrieben wird.
    Hasenzähnige Grüße mit großem Motorengebrüll schickt Clara, der lila Motorroller

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    1. Kommt darauf an, ob ich die echte Clara dahinter noch erreiche ;). Eigentlich klingt es gerade ganz lustig. Roststellen habe ich auch zu bieten.
      Liebe Grüße an Clara und an den Motorroller

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  7. Oh ja, das kenne ich auch. Eine ehemalige Freundin von mir postet auf Facebook im Namen ihres Hundes. So sehr ich Tiere liebe, aber mit ihrem Hund und ihr habe ich auch keinen Kontakt mehr. Wenn das Tier das Leben so bestimmt dass es keinen anderen Gesprächsstoff mehr gibt, dann kann ich damit nichts anfangen. Lieben Gruß, Sylvia

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  8. Ich finde es ja schon gewöhnungsbedürftig sein Tier zu vermenschlichen… oder seine Tiere nach Lebensmitteln zu benennen wie die damaligen Hunde sowie Hamster meiner Grundschulkameraden: Sushi, Leberwust, Donut und Mett…. aber aus Sicht eine Tieres zu schreiben geht dann doch ein wenig zu weit. Aber solange es sie glücklich macht, es gibt immer irgendwo diese besondere Art von Tierfreunden auf dieser Welt.

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    1. Das sind ja mal ungewöhnliche Namen. Kreativ, aber doch seltsam.
      Ich stimme dir zu – solange es Freude bereitet, sollte es mir recht sein. Außerdem erfreut sich die Seite großer Beliebtheit. Es scheint an meinem Geschmack zu liegen 😉

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  9. Das ist wieder typisch! Die Webseite http://www.billieundlouiskuscheln.de/ hat bei mir nicht funktioniert, ja nicht mal ein Häschen wird angezeigt, sondern es kommt eine Fehlermeldung mit einem Button, es noch einmal zu versuchen. Sooft ich auf „Nochmals versuchen“ drücke, es kommt und kommt nix. Ich denke, auf Mama Petra und diesen Louis ist einfach kein Verlass … 😉

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