Randnotiz – Geschlachteter Nikolaus

08:00 Uhr
Wie schön es doch ist, wenn man morgens im Büro einen Nikolaus vorfindet. Diesmal schlachte ich ihn nicht. Ich muss an meinem Ruf arbeiten. Ganz liebevoll werde ich ihn durch den Advent auf meinem Schreibtisch stehen haben. Er wird mich ermahnen, es ruhig und gelassen angehen zu lassen. Einen Kerl, der so lieb lächelt, schlachtet man nicht einfach.

08:10 Uhr
Ich hätte etwas frühstücken sollen. Mein Magen knurrt und ich rieche die Schokolade durch das Papier. Wenn ich ihn vorsichtig am Rücken öffne, dann kann ich ihm eine kleine Rippe entnehmen. Ganz vorsichtig. Und dann wieder einpacken, damit er den ganzen Advent neben dem Bildschirm steht und lächelt.

08:25 Uhr
Ich habe ihm den Kopf abgerissen. Den ganzen Rumpf abgetrennt. Bin ja kein Chirurg und weiß nicht wo Nikoläuse die Rippen haben, die man entfernen kann. Es war ein Versehen und weil mir das sonst keiner glaubt, fotografiere ich den sterbenden Nikolaus. Zu lange lasse ich ihn aber nicht leiden. Das hat er nicht verdient. Er lächelte so lieb.

09:00 Uhr
Welcher Depp schenkt mir einen Nikolaus? Es muss einer sein, der mich nicht mag. Einer der weiß, dass ich jetzt über ein schlechtes Gewissen habe, weil alle meine Kollegen die ihren jetzt bis Weihnachten auf dem Tisch stehen haben und ich, die kleine Blonde aus dem hintersten Zimmer, erbarmungslos zugeschlagen hat. Wüsste ich es nicht besser, würde ich vermuten er kommt aus Norddeutschland. Irgendwo bei Hamburg.

38 Gedanken zu “Randnotiz – Geschlachteter Nikolaus

  1. Gerade eben stieß mir das Wort „herrlich“ auf! Ist ja eigentlich fraulich. Da es aber auch mir als Kerl mit dem Schokonikolaus so ergangen wäre, passt sowohl fraulich als auch herrlich – also menschlich!

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  2. Liebe Mitzi!

    Ich glaube, Sie sind die Einzige in Ihrem Büro die es richtig gemacht hat. Einen Nikolaus muss man frisch verzehren. Genauso wie ein gutes Stück Fleisch. Die Kollegen mit ihren abgestandenen Schokonikoläusen werden keine Geschmacksfreuden mehr empfinden, wenn sie die Kerle so spät verzehren. Kopf hoch 🙂

    Herzliche Grüße
    Mallybeau

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  3. Einfach herrlich dein Bericht! Aber WER bitte lässt seinen armen Nikolo bis Weihnachten einfach stehen?!?! DAS wäre Grausamkeit!
    Gerade den Kindern erklärt, dass sie erst morgen wieder etwas von ihrem Schokonikolaus haben dürfen und dann meinen eigenen von Kopf bis Fuß verspeist. Ha, die Doppelmoral kann noch etwas von mir lernen 😉

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    1. Ich bin wirklich froh, dass ich hier nicht alleine dastehe mit meiner Gier nach Schokolade. Kinder muss man anschwindeln – sonst ist das wirklich ab und an zu viel Schokolade. Wir naschen meist, wenn sie schon im Bett sind und nennen es Führsorge 😉

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  4. Fresssäckchen – aber richtig so! Gott hat zwar aus einer Rippe angeblich eine Frau gebaut, deswegen haben Männer jetzt manchmal Defizite. 🙂 😉
    Ich habe sehr geschmunzelt und wusste beim ersten Satz, dass der so lieb lächelnde Kerl keinen Absatz weiter überlebt.

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  5. Wenn ich solch wunderbar gestaltete Objekte ihrer Bestimmung zuführe, in dem, dass ich die Schokolade verzehre, habe ich die Angewohnheit, die wunderbare Umhüllung aus Stanniolpapier vorher vorsichtig zu lösen und dann zu glätten, sodass das eigentliche Kunstwerk, wenn auch nur plan, erhalten bleibt und dann in irgendwelchen Büchern oder anders gearteten Schriftstücken eine beträchtliche Verweildauer hat, sodass dann mit dem unverhofften Wiederauftauchen des Kunstobjektes die Erinnerung an den Schokoladengenuss zurückkehrt.
    Genuss ohne Reue.

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    1. Das vorsichtige Auspacken und der Versuch dem hübschen Papier noch etwas abzugewinnen ist mir nicht fremd. Ich habe den Fehler gemacht, es nicht zwischen Seiten aufzubewahren.
      Danke für den Tipp 🙂

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