Aufgeblüht

Hier werden wir glücklich werden, sagte er mir und ließ den ersten Karton, von vielen auf den Boden fallen. Hier beginnt der Rest unseres gemeinsamen Lebens, behauptete er, als wir in die Nähe seiner Eltern und den Ort seiner Kindheit zogen. Du wirst dich hier wohlfühlen, war er überzeugt und überließ es mir, dafür zu sorgen, dass es so sein würde. Mit einigen Jahren Italien im Nacken, dem Diplom in der Tasche und einer erschreckenden Planlosigkeit was den Rest des Lebens betraf, war es gut, dass mir einer sagte, dass ich nun angekommen sei. Hätte er es nicht so überzeugend behauptet, ich hätte es womöglich hinterfragt.

Was zum Teufel ich hier eigentlich mache, erkundigte sich vor vielen Jahren, der klügste meiner Freunde, als er mir kurz vor Weihnachten. Er war mir in die Küche, in der ich den Rest meines Lebens begonnen hatte, gefolgt. Ich lebe jetzt hier mit ihm, teilte ich dem Klügsten mit und er leerte eine halbe Flasche Bier, bevor er mich aufstoßend beglückwünschte und mir kopfschüttelnd gegen die Stirn tippte. Mehr sagte er nicht. Es wäre sinnlos gewesen, mir damals mehr zu sagen. Hundert Quadratmeter, Kinderzimmer, zwei sichere Jobs und ein Blick auf den Wald. Perfekt. Der klügste meiner Freunde sah es in meinen Augen, schüttelte resigniert den Kopf und raunte mir beim Abschied zu, dass dieses Kartenhaus ein Witz sei. Ein schlechter. Die nächsten fünf Jahre hielt er den Mund.

Das  ist ein Witz, lachte der mutigste meiner Freunde vor vielen Jahren an hl. Abend und ignorierte den Mann, von dem ich behauptete, er wäre der richtige, mit einer so unverschämten Arroganz, dass der nie wieder ein Wort mit ihm sprach. Zwei Stunden, saß er im Wohnzimmer, das ich eingerichtet hatte und verschwand an diesem Weihnachten viel früher als sonst. Fünf Jahre lang kam er nicht wieder, weil man den hl. Abend nicht zu dritt ausklingen lassen konnte, wenn zwei von dreien sich nichts zu sagen haben.

Der älteste meiner Freunde schrieb mir vier Jahre nach diesem Weihnachten eine Karte. Er säße gerade betrunken in Thailand am Strand. Sentimental blicke er auf den andauernden Move seines Lebens und gerade würde ihm auffallen, dass wir uns nach all den Jahren tatsächlich auseinander gelebt hätten. Etwas das er nie für möglich hielt, das nun aber wohl eingetreten sei. Lass dich nicht unterkriegen, wünschte er noch und erwähnte nicht, dass er es bedauerte, dass ich ihn weder in Hongkong, noch in New York oder Singapur besucht hätte. Das Leben in einer perfekten hundert Quadratmeter Wohnung mit Kinderzimmer und Abstellraum würde einen auf Trab halten, das verstand er, wie er mir vor langem bei einem unserer letzten Telefonate mit süffisantem Unterton mitteilte.

Die Karte steckte in meiner Handtasche als ich ein  Jahr später aus der perfekten Wohnung mit Waldblick auszog. Sie lag auf dem Fensterbrett als ich zwischen Kartons in einer lauten fünfunddreißig Quadratmeterwohnung stand . Spät im Herbst rief ich den klügsten meiner Freunde an. Ich sei wieder da, sagte ich und eine Weile war es still. Dreißig Minuten später stand er neben mir und schleppte schweigend die schweren Kartons nach oben. Dass ich auf dem Sofa schlief, weil für ein Bett kein Platz war und man dieses nur betreten konnte, wenn man zuvor über eine Bank kletterte, gefiel ihm. Seine Frau, die ich kaum kennen gelernt hatte, richtete schöne Grüße aus. Es sei kein Problem, wenn ich nicht alleine schlafen wolle, würde es reichen wenn ich mit einer Zahnbürste vorbei kommen würde. Kein Witz, sagte er – jederzeit.

Sechs Wochen später, an Weihnachten, stand der mutigste meiner Freunde vor der Tür. Er kündigte sich nicht an. Mit einer kleinen Unterbrechung von fünf Jahren kam er immer an hl. Abend und nicht einmal meine nicht funktionierende Heizung war ein Grund, diese Tradition zu ändern. Wir heizten mit 25 Teelichtern und balgten uns um die Wärmflasche. Der Christbaum stand auf der Bank zwischen Tisch und Sofa, weil auf dem Boden kein Platz war. Er war hässlich, aber Weihnachten war wieder schön.

Beide, der Klügste und der Mutigste, sagte mir, dass diese fünf Jahre der Freischuss waren, den eine gute Freundschaft verträgt. Künftig könne ich gerne ans andere Ende der Welt auswandern, in einer Kommune glücklich werden oder mich einer Geschlechtsumwandlung unterziehen – sie würden damit klar kommen. Aber wenn ich noch einmal aufhören würde, ich selbst zu sein, dann würden sie mir den Kopf waschen. Danach sprachen sie es nie wieder an. Einer von ihnen hat seinen Freischuss längst selbst eingelöst. Als er wieder aufwachte, stellte ich ihm für einige Wochen eine Zahnbürste in mein Bad und sagte nichts. Es wird nicht der letzte gewesen sein. Eine gute Freundschaft verträgt so manchen Aussetzer. Manche muss man aussitzen. Die schlechten Witze, die ernst gemeint sind, zum Beispiel.

Gestern ging ich die Straße entlang, in der mir einer sagte, dass ich dort glücklich werden würde. Am Balkon hängt noch immer die orange-grün gestreifte Markise und weil in den Fenstern Licht brannte, vermutete ich, dass dort nun andere Menschen versuchen, glücklich zu werden.

40 Gedanken zu “Aufgeblüht

      1. meine Frage war in solchen Fällen: * soll ich ihn töten?*

        wurde diese Frage nicht mit JA beantwortet … habe ich die Lady ihrem Schicksal überlassen …

        wissend … dass jedes vernünftige Wort … im Wind verhallt …

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  1. Liebe Mitzi!

    Dieser schönen Gedankenwanderung bleibt nichts hinzuzufügen. Wunderbar unaufdringlich wie der leise rieselnde Schnee lassen sich diese Zeilen lesen.
    Wie passend zum ersten Advent 🙂

    Herzliche Grüße an die Wortakrobatin
    Mallybeau

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      1. Unbedingt. Ein Speedating, stelle ich mir gerade vor, würde ich beginnen mit: „Servus, ich bin der Speed und ein Verfechter des Freischussgedankens, allerdings verlässlichkeitsbasiert, wenn es auch manchmal vielleicht nicht so ausschau. Und du so?“

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  2. Schon die erste Ortsangabe deines autobiographischen Textes „(…) als wir in die Nähe seiner Eltern und dem Ort seiner Kindheit zogen.“ lässt ja nichts Gutes ahnen, liebe Mitzi. Man weiß schon, dass da Anpassung von dir erwartet wurde. Du solltest primär das gut finden, was dieser Mann gut fand, und dich in einen hübschen Käfig sperren zu lassen. Dabei warst du als junge Frau doch mehr wie ein Zugvögelchen, das gerade erst aus Italien zurück kam und dort Erfahrungen gemacht hatte, die weit über dem eingeschränkten Horizont lagen eines Ortes seiner Kindheit. Da warst du nicht geeignet für die Käfighaltung. Wer dich gut kannte von deinen Freunden, hat das sogleich geahnt. Und uns Leser setzt du mit dem oben zitierten Satz sogleich auf die richtige Fährte. Toll gemacht!

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  3. Wie schön, dass der Text, den ich gestern nur im Feedreader fand, jetzt auch hier steht.
    Vor vielen Jahren war ich unendlich verliebt in den … … falschen Mann, doch das habe ich nicht gleich begriffen und es musste mir u.a. von anderen gezeigt werden.
    Mehrere sagten zu mir, wenn ich mit ihm zusammen bleibe, dann kommen sie nicht mehr zu Besuch. Und im Laufe der Zeit merkte ich erst, wie recht sie hatten. – Ich habe aber noch die Kurve gekriegt, bevor er mich – jähzornig wie er werden konnte – im Streit erschlagen konnte.
    Manchmal ist das Leben komplizierter als zu anderen Zeiten 🙂

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    1. Das klingt nach einer sehr komplizierten und unschönen Beziehung. Es sollte einem zu denken geben, wenn liebe Freunde nicht mehr zu Besuch kommen wollen. Sollte….aber manchmal ist man so blind und festgefahren. Beglückwünschen wir uns, dass wir es doch noch gemerkt haben.
      Liebe Grüße

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      1. Liebe Michi, diese Beziehung war mehr als kompliziert. Am Ende habe ich mich von meiner Cousine abholen lassen, die in der Nähe wohnte. Ich hatte wirklich Angst, dass er mir was antut. Ich habe selten jemand erlebt, der so jähzornig werden konnte

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      1. Auch immer unter dem Aspekt gesehen, liebe Mitzi, warum denn genau so und nicht ganz anders…
        ein kurzes Geflatter eines Schmetterlings mehr, und schon hätte alles ganz anders passieren können…
        Leben im Fraktalkosmos!
        Liebe Grüße zur Nacht vom Lu

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  4. mein bester freund und ich hatten auch so einen 5 jahre andauernden aussetzer und seitdem wissen wir, dass uns zeit und raum auf dieser welt nichts anhaben können. hut ab, dass du den mut hast, dir einzugestehen, dass du an einem ort doch nicht glücklich werden kannst. das ist eine gabe, wenn sie das leben auch nicht immer leicht macht. andere bleiben den rest ihres lebens bei dem versuch.

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    1. Weniger eine Gabe, als ein Tritt. Ohne ins Detail zu gehen, irgendwann kann man die Augen nicht mehr verschließen, egal wie sehr man es versucht.
      Es war nicht mein Verdienst. 😉 Vielleicht einfach nur Glück. Egal. Ich bin entwischt. 🙂

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  5. Liebe Mitzi,
    in Beziehungsfragen bin ich ein Dummkopf. Selbst wenn es ein Fach in der Schule gewesen wäre, man es studieren kann oder es unzählige Praktika gäbe, ich bleibe so.
    Ich hatte nur eine schlechte und nun eine gute Beziehung. Das ist aber nicht der Grund für meine Dummheit! 😉
    Sie haben sehr viel gelernt und vor allem behalten! Das ist grandios!
    Gruß Heinrich

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    1. Ach, lieber Heinrich, ich hab vielleicht viel gelernt und erinnere mich daran. Aber verliebt, das weiß ich, vergesse ich wieder alles.
      Gegen nur zwei Beziehungen hätte ich übrigens gar nichts einzuwenden. Aber das kann man sich manchmal ja nicht aussuchen :).
      Herzliche Grüße von Ihrer noch immer lernenden und durch jede (gäbe es sie) Prüfung rasselnde Mitzi

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