Wegen des Clowns. Und wegen dir.

Er weiß es noch nicht, aber er wird heute Nacht heute bei mir bleiben. Ich fasse den Entschluss, als wir das Kino verlassen. Noch aber sage ich es ihm nicht.  Zu offensichtlich ist es, zu gewollt und ich schäme mich ein wenig. Ich lade ihn auf einen Drink ein. Ein Absacker nach dem Film. Rede und lache seinen Einwand, morgen früh raus zu müssen, einfach weg. Es ist leicht, ihn zu einem weiteren Glas zu animieren. Zu leicht, denke ich mir auf dem Weg zur Bar und frage mich kurz ob es schon immer so leicht war. Vor leeren Gläsern sitzend, bitte ich ihn, mich nach Hause zu bringen. Meine Wohnung liegt auf deinem Heimweg und meine Straße ist mir heute zu dunkel. Er kann nicht ablehnen. Dunkle Straßen sind ein Argument, dem man sich nach Jahren der Freundschaft nicht erwehren kann. Vielleicht kann man sich als Mann einem solchen Argument auch nie erwehren. Ich habe nicht gelogen. Heute ist mir die Straße zu dunkel und ich könnte sie nicht alleine gehen. Nicht wegen der Dunkelheit und nicht, weil ich weiß, dass irgendetwas nicht stimmt.

Es dauert, bis ich meinen Schlüssel in den Tiefen der Handtasche finde. Das Treppenhaus ist dunkel. Die Lampe vor dem Lift ist kaputt. Das ganze Haus, mein Haus, ist dunkel. Kaffee, frage ich und sehe ihn dabei nicht an. Als ich es doch tue, ist sein Blick fragend und sein Lächeln für einen kurzen Moment irritiert. Zu oft ist die Frage nach einem Kaffee, spät abends vor einer Haustüre, eine ganz andere. Ich frage nicht noch einmal, halte ihm die Türe auf und laufe die Stufen nach oben. In seine Augen will ich jetzt nicht blicken. Möchte darin nicht das leise gemurmelte „ernsthaft?“ sehen, das ich eben hörte.  Das frage ich mich selbst. Aber er muss heute Nacht bei mir bleiben. Ernsthaft, er muss. Als ich ihm den Kaffee reiche, ist er wieder neutral. Sein Blick und auch der Rest. Wir stehen oft in meiner Küche und trinken Kaffee. Normal, sein Lachen, normal, mein Plappern, normal und gewöhnlich wie alles zwischen uns in den vielen Jahren unserer Freundschaft. Bis ich ihn bitte, nicht nach Hause zu fahren. Dann ist es nicht mehr normal. Bitte bleib, sage ich. Bleibt heute Nacht bei mir.

Ich wollte lachen. Wollte genau in diesem Moment lachen und es ihm erklären. Ich wollte lachen, auch weil meine Stimme so ganz anders geklungen hatte, als ich ihn bat und kann es nicht, weil nichts an diesem Satz ihn zu amüsieren scheint. Höre ihn ein zweites „ernsthaft“ fragen und will es ihm jetzt wirklich erklären. Kann es nicht, weil er mir mit dem Handrücken über die Wange streicht und ich mich wundere, wie sehr mich diese kleine Geste aus der Bahn wirft. Wundere mich wie viel ich in seinen Augen lesen kann. Augen die ich mein halbes Leben lang kenne. Selbst diesen Blick kenne ich, nur dass der sonst nicht mir gilt. Ich sollte lachen. Wenigstens das. Weil ich sehe, dass es nicht das ist was er wollte, und schüttle den Kopf, als er gehen möchte. Es fällt mir schwer, ihn zu bitten hier zu bleiben. Selten musste ich bisher darum bitten, und ich mag diese Rolle nicht.  Es ist unfair. Ich bin unfair. Ich locke ihn mit etwas, an das er bisher noch nie gedacht hat, das jetzt aber in seinem Kopf ist.

Ich habe ihn soweit. Es war leicht. Leichter als wenn ich ehrlich gewesen wäre. Dann wäre er längst gegangen. Jetzt muss ich es sein. Muss ehrlich sein, sonst fackele ich heute Nacht zwei Jahrzehnte Freundschaft wegen eines Kinofilms und einem Bauchgefühl ab. Schüttle mich, klatsche in die Hände und erkläre, dass er gerne beide Kissen habe könne, ich würde nur eine Decke brauchen. Die nehme ich mit auf das Sofa, das Bett überlasse ich ganz ihm. Gute Nacht und schlaf gut. Ach und sorry, aber du weißt ja….Stephen King, ES und Clowns überhaupt. Ich kann sonst nicht schlafen. Als ich die Tür zum Schlafzimmer schließe, höre ich ihn leise aufstöhnen. Miststück, ruft er mir hinterher und ich bin erleichtert, dass ich ihn nach kurzer Pause doch noch lachen höre.

Ich kann nicht schlafen. Wer Stephen King begriffen hat, der weiß, dass zwei getrennte Räume keine Sicherheit bieten. Und wer ihn so lange wie ich kennt, weiß, dass er am nächsten Morgen geht, ohne ein Wort gesagt zu haben. Übertreibt es nicht, sagt er als ich ihn bitte zu rutschen und mich ebenfalls in das Bett lege. Wir schaffen es auf 1,60 m so weit auseinander zu liegen, dass ein ganzer Meter unberührt zwischen uns ist. Unter dem Bett womöglich ein Clown.

Es ist eine große Freude mit dir befreundet zu sein, sagt er, bevor kopfschüttelnd, mir zu liebe, unter das Bett schaut, sich dann zur Seite dreht und es zulässt dass ich dicht an seinem Rücken liege. Nur in den Nacken dürfe ich ihn atmen, das mag er nicht. Er mag es auch nicht zu reden. Das ist ok. Beides. Aber eines muss sein. Wir schlafen wenig in dieser Nacht. Wir reden. Nicht über mich, nicht über ES, den dummen Film, sondern über ihn. Endlich kann ich ihn fragen. Es redet sich anders, wenn man unter einer Decke liegt. Es geht ihm nicht gut. Schon lange nicht. Ohne einen Horrorfilm der mir schlaflose Nächte bereitet, hätte er es mir nicht erzählt.

 

21 Gedanken zu “Wegen des Clowns. Und wegen dir.

  1. Es ist wirklich gut, Freunde zu haben, und sehr gut, sich auf diese wirklich verlassen zu können. Auch, dass er es zugelassen und mitgemacht hat, so wie Du es gebraucht hast. Und: Das Du damit mehr über ihn erfahren hast, als Du sonst erfahren hättest. Freunde sind wunderbar und kostbar! Gut, dass Du sie hast!

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  2. Awww… Fräulein Mitzi! Von ihnen hätte ich auch nichts anderes erwartet, als dass sie mit ihrem umwerfenden Charme auch die besten Freunde herumkriegen nachts für sie erschreckende Clowns zu vertreiben und Ihnen den Rücken warm zu halten … was für ein schöner Text!

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  3. Das ist – ich sag’s mal ehrlich, wie ich es empfinde: Übergriffig und manipulativ. Gar nicht gut, das Hinführen aufs sexuelle Glatteis, dann einmal in die Hände geklatscht – haha, war nur Spaß. Du kannst froh sein, solche Freunde zu haben, die Dir das nicht verübeln. DEN Humor hätte ich nicht.
    Warum gehst Du in einen solchen Film, wenn Du doch vorher weißt, welche Wirkung er auf Dich hat?

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    1. Danke, für die ehrlich Meinung. Ich kann und will dir gar nicht widersprechen. Es ist dünnes Eis. Zu dünn vielleicht. Und unfair, weil der Zweck – und da meine ich nun nicht den Clown – bekanntlich ganz oft die Mittel nicht heiligt. Deshalb…ja, du hast recht.
      Zur letzten Frage. Den zweiten Teil bzw. die aktuelle Verfilmung schaue ich mir nicht an. Oder wenn, dann gleich mit jemanden, der weiß, dass er auf meinem Sofa schlafen muss. Den anderen Teil, das schaffen einer Atmosphäre in der einer endlich spricht, das würde ich wieder tun. Allerdings ehrlicher. Heute weiß ich, wie dünn das Eis schnell wird und wie schnell Grenzen überschritten sind.

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      1. Ach soo – das hat mich auch wirklich gewundert, daß Du, wie ich fälschlich dachte, Dir die Neuverfilmung ansiehst, obwohl Du ja neulich schon erzählt hattest, daß das fatale Folgen hätte. Eine alte Geschichte also, da kannst Du glücklicherweise inzwischen gewiß sein, daß bei Deinem Freund nichts Negatives hängengeblieben ist. Gut!

        Und ich bin froh, daß Du nicht eingeschnappt bist wegen meiner Kritik.:-)

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      2. Ich will mich gar nicht rausreden mit „alter Geschichte“. Ist zwar richtig, aber das Eis war damals gleichermaßen dünn.

        Kritik ist immer in Ordnung. Muss in Ordnung sein. Und wenn einem etwas an einem Verhalten -egal ob real oder geschildert- aufstößt, dann soll man das ruhig sagen können.
        Liebe Grüße

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  4. mein reader hat mir diesen text unterschlagen, scheint mir. was soll denn das? er ist wundervoll. ich hoffe allerdings sehr, dass du ihm nicht eine idee eingepflanzt hast, an die er besser nicht hätte denken sollen. für euch beide. aber du kennst eure freundschaft und du weißt, wie du mit ihr umgehst. dass er dir zum schluss erzählt hat, was er dir sonst nicht erzählt hätte, war vielleicht etwas sehr wichtiges für euch beide, das ist schön!

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    1. Ein schmaler Grad. Da es aber schon lange zurück liegt (damals lief der die erste Verfilmung in eine „King-Nacht“) kann ich erleichtert sagen, dass nichts falsch hängen geblieben ist. Rückblickend banal, das was es war. Damals sehr wichtig.

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  5. Toll erzählt… wenn ich auf deine Seite komme, muss ich jedesmal die Geschichte von Anfang bis Ende lesen,,, Immer ohne Eile, sondern mit Genuß… Eine Pause sozusagen, zwischen den vielen Blogs, die ich versuche, am Wochenende durchzugehen! Weil sie alle von tollen Menschen geschrieben sind…Alles Liebe, Nessy

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  6. „Man glaubt zu schieben, aber man wird geschoben.“ So kann es einem gehen als Mann, und welche Motive die Frau haben kann, hast du hier wunderschön offengelegt, liebe Mitzi. Andererseits ist natürlich schon der Gang in einen Film mit beidseitigen Erwartungen verbunden, so dass nicht klar ist, wessen Erwartung wie prägend war. Schön jedenfalls, dass in deinem Fall die freundschaftliche Nähe nicht zu Komplikationen geführt hat.

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