Nachverhandelt U-Bahn Gedanken

Da sind zwei, die schauen sich vorsichtig an, weil sie etwas hatten, das sie jetzt nicht mehr haben und noch nicht so recht wissen, was sie jetzt haben. Die Beziehung wollten sie beide nicht mehr und doch ist da immer eine leichte Melancholie, wenn sie sich sehen. Es war ja schön, das was sie hatten, nur eben schon so lange und so gewohnt, dass man sich nicht mehr sicher sein konnte, ob es nicht doch nur noch eine gute Freundschaft war. Wohl nicht, denn jetzt sitzen sie sich gegenüber und verstehen nicht recht,  warum es auf einmal so schwer geworden ist, ungezwungen miteinander zu sprechen. Begreifen nicht, warum sie die Worte des anderen auf die Goldwaage legen und etwas vermissen, das sie doch selbst ohne großen Schmerz aufgegeben haben. Freundschaft ist jetzt kein Zustand, sondern das ist das Ziel und deswegen sitzen sie sich jetzt tapfer in der U-Bahn gegenüber und tun so, als wäre da nie etwas anderes als eben diese Freundschaft gewesen. Sie wollen so tun und sie müssen es auch, denn neben ihm sitzt bereits eine neue Freundin die ihn fragend ansieht.

Da sind zwei, die schauen sich an, weil sie etwas noch nicht haben und sich nicht sicher sein können, dass es das werden wird, was sie sich erhoffen. Das ist normal, man weiß es am Anfang ja nie. Aber es fühlt sich seltsam an, wenn man zwischen zweien sitzt, von denen man weiß, dass sie einmal als Paar sehr glücklich waren. Da kann man sich leicht sagen, dass es wohl doch kein so großer Erfolg war, wenn es am Ende auseinander ging. So rational denkt das Herz nicht. Nicht das, von der, die hier mit ihrem neuen Freund sitzt und auch nicht die von denen, die sich vor kurzem getrennt haben. So ein Herz klammert sich ja viel länger an Erinnerungen als es der Verstand tut und ist ein Meister im Verklären der Dinge. Das weiß auch die, die unsicher auf ihre Vorgänger blickt.

Da blickt eine auf das frische Glück und fragt sich, ob sie es auch wieder finden wird. Und einer mag ihren bedrückten Blick nicht sehen, weil er sie nie traurig wissen wollte und es auch jetzt nur schwer erträgt. Er erinnert sich wie sehr ihn ihr Lachen verzaubert hat und lächelt sie kurz an. Das half immer und tut es noch. Das sieht auch die andere, die Neue. Misstrauisch hinterfragt sie jedes liebe Wort und jede freundliche Geste und wird der Zurückgebliebenen bald die Luft zum atmen neiden, obwohl sie noch vor vier Stationen erst dachte, die hätte nichts mehr, während sie selbst jetzt alles hätte.

Da sind drei und ein jeder fühlt sich unwohler als der andere. Wir wissen, wie sie sich fühlen. Wir waren schon alles. Zurückgebliebene, Verlassende und Neue. Keine Rolle war schön und ich höre dich leise sagen, dass du dir den Freundschaftsblödsinn nicht noch einmal antun würdest. Die erste Frau, die du geliebt hast, bestand darauf und du – so sagtest du – warst jung und dumm genug, es zu versuchen. Würden wir uns trennen, wir würden uns nicht wiedersehen, sagst du und ich weiß, dass ich nichts dagegen tun könnte. Aber versuchen würde ich es und weil du um meine Hartnäckigkeit weißt, schmunzelst du. Damals entschieden wir uns, einer Trennung einfach aus dem Weg zu gehen. Um uns ging es an diesem Tag aber nicht. Wir waren nur stille Beobachter einer Szene in einer kaum besetzten U-Bahn.

Ich sitze etwas näher als du an dem unfreiwilligen Dreieck und rücke ein Stück, als jene, die ich in Gedanken „die Neue“ nenne, aufsteht. Sie will sich über die beste Verbindung von A nach B erkundigen und geht ein paar Meter, um einen Blick auf den Plan zu werfen. Obwohl sie, „die Vergangene“, es leise murmelt höre ich es deutlich. Es war ein Fehler, sagt sie kaum dass die andere weg ist und springt auf. Im letzten Moment, bevor die Türen sich schließen, verlässt sie die U-Bahn, ohne sich noch einmal umzudrehen. Obwohl ihr Platz nun leer ist, hat sie viel zurück gelassen. Das spürt auch die, die sich nun wieder setzt und verwundert Fragen stellt. Nichts, bekommt sie zu hören. Nichts sei passiert, Lena spinne eben manchmal. Und, so denke ich, Lena wusste genau, dass ein winziger Satz reicht, um längst geklärt gelaubtes auf den Tisch zu werfen und neu zu verhandeln.

Fast auf den Tag genau einen Monat später, sehe ich zwei der drei wieder. Ihren Namen kenne ich nun, den seinen noch immer nicht. Sein Arm liegt auf ihren Schultern und sie streiten sich im Scherz darüber ob der Film vom Vortag nun gut oder schlecht gewesen ist. Sie sind wieder ein Paar, das sieht man. Ich frage mich, was aus der anderen, der Neuen, geworden ist und empfinde Mitleid. Bei den Nachverhandlungen dieses, wieder zueinander gefundenen Paares, saß sie sicher nicht mit am Tisch.

 

30 Gedanken zu “Nachverhandelt U-Bahn Gedanken

  1. Ich vermute, auch eine erfolgreiche Nachverhandlung hinterlässt Narben.
    Aber letztendlich sind Narben besser als offene Wunden.
    ……
    Blöder Satz! °Heinrich, fiel Dir nichts Besseres ein?
    Doch! Aber darüber möchte ich nicht schreiben – nicht einmal nachdenken!
    Bist du feige? Oder gibt es etwas, was du nicht vernünftig aufgearbeitet hast?
    Kann sein, lass mich zufrieden! Man kann und muss nicht alles aufarbeiten.
    Wenn du das für dich richtig findest, dann mag es ok sein. Warten wir mal ab. 😉

    Gefällt 2 Personen

  2. Wie fein beobachtet, liebe Mitzi. Der erste Absatz ließ mich denken an das Gedicht „Sachliche Romanze“ von Erich Kästner, 1. Strophe:

    Als sie einander acht Jahre kannten
    (und man darf sagen: sie kannten sich gut)
    kam ihre Liebe plötzlich abhanden.
    Wie andern Leuten ein Stock oder Hut.

    (…)
    Du schreibst: „Wir waren schon alles, „Zurückgebliebene, Verlassende und Neue“, scheinst überhaupt eine Expertin in Herzensdingen zu sein. Nur deshalb kannst du das Beobachtete so hellsichtig interpretieren.

    Gefällt 2 Personen

    1. Ein feines Gedicht, lieber Jules.
      Lieben Dank für das Raussuchen.
      Expertin….ich weiß nicht. Der Trottel der mit Anlauf gegen Wände rennt, trifft es oft besser. Aber ich renne gerne ;). Verstricke mich gerne und bisher erweisen sich Kopf und Herz als erstaunlich robust.
      Liebe Grüße

      Gefällt 1 Person

  3. Ja, wir waren alles schon. Das hilft. Und das erklärt wahrscheinlich auch, warum es beim 1. Mal so besonders schlimm ist, man kann nicht auf Erfahrungen zurück greifen. Das mag ich am Älter-werden. Und erst heute sehe ich, wie verletzlich sehr junge Menschen sind und wie viel da schief gehen kann. Ich wünsche „deinem“ Paar, dass sie sich nun behalten und wertschätzen. So eine kleine Trennungsepisode finde ich durchaus hilfreich- hinterher. Finde ich.
    Viele Grüße!

    Gefällt 1 Person

    1. Wenn man lächelnd und erleichtert auf eine Trennung zurück blickt und sich wieder gefunden hat, dann tut sie oft wirklich gut. Man schätzt den anderen wieder mehr und erinnert sich, was man eigentlich hat und das es womöglich nicht selbstverständlich ist.
      Auch mit dem Alter stimme ich dir zu. Der Schmerz bleibt. Auch alle anderen Emotionen. Aber man ahnt, dass es besser wird.
      Liebe Grüße

      Like

  4. Für mich ist alles, was mit Liebe zusammenhängt, nicht oder kaum mit dem Verstand zu erklären, sondern wirklich nur mit Herz und „Bauch“ zu begreifen.
    Dennoch betreffen Trennungen auch den Verstand – und für den ist es dann um so schwieriger, weil er ja vorher nicht so stark involviert war.
    Liebe Grüße zu dir

    Gefällt 1 Person

  5. Liebe Mitzi!
    Ich wurde gestern von Chris (http://lustaufbrot.com/) zum Blogger Recognition Award nominiert!
    Weil ich mich so darüber gefreut habe, möchte ich die Nominierung gerne an dich weitergeben, weil ich deinen Blog so gerne mag.
    Du findest deine Nominierung hier: http://meinglutenfreierbackofen.blog/2017/11/08/ich-wurde-nominiert/
    Liebe Grüße von Stephfanny von „Mein glutenfreier Backofen“

    Gefällt 1 Person

  6. Wie treffend und behutsam Du das beschreibst, ist bewundernswert.

    Mir und einer Freundin ist das auch schon passiert: Uns war die leidenschaftliche Liebe abhanden gekommen, aber nicht die Zuneigung. Also haben wir unsere Liebesbeziehung in eine Freundschaft umgewandelt – ich weiß nicht, ob wir es geschafft hätten, wenn einer von uns schon bald mit einem neuen Partner angekommen wäre, aber das hat glücklicherweise etwas gedauert. Selbst da war es noch eine Klippe, die wir aber erfolgreich gemeistert haben. Puh! – man muß auch mal Glück haben.:-) Inzwischen sind die neuen Partner alle schon längst wieder ex, aber wir sind immer noch beste Freunde.

    Gefällt 1 Person

    1. So ähnlich geht es mir mit meinem besten Freund. Es war eine harte Zeit, weil wir uns trennten, als wir noch liebten aber irgendwie der Wurm drin war. Unsere Partner verzweifelten, weil wir unsere gemeinsame Wohnung in eine WG umwandelten. Ein dummer, unglaublich dumme Idee. Aber auch wir hatten Glück. Ich möchte ihn nicht missen. Die Zuneigung blieb, die Freundschaft kam und die Schmetterlinge fliegen lange nicht mehr. Ein großes Glück, so eine Freundschaft.

      Like

      1. Ich erinnere mich, Du hattest mal von der WG erzählt. Das sind nochmal verschärfte Bedingungen – manchmal macht man es sich unnötig schwer. Um so besser, daß es gut gegangen ist – es klingt vielleicht banal, aber wenn man es durchlebt hat, weiß man, daß es das nicht ist: Eine Freundschaft, die solche Krisen überstanden hat, ist so leicht durch nichts zu erschüttern. Davon zehrt man sein Leben lang.

        Gefällt 1 Person

    1. Na zwischen zwei Männern möchte ich auch nicht hocken.
      Möglich, dass der zweite Versuch scheitert. Ich drücke präventiv und ohne sie zu kennen die Daumen, dass das Richtige passieren wird. Was auch immer das dann ist.

      Gefällt 1 Person

      1. Liebe Mitzi, da geb ich Ihnen Recht, obwohl ich – glücklicherweise – niemals zwischen zwei oder mehreren Männern gehockt bin, also, zumindest nicht so, wie man jetzt denken könnte. Wir sind, sobald wir die Frauen außer Reichweite wissen, ziemlich große Tratschen und haben in dieser Hinsicht, wie auch in anderen Hinsichten, emanzipatorisch gewaltig aufgeholt … wenngleich noch sehr viel „Arbeit“ auf uns wartet … 🙂

        Gefällt 1 Person

Hinterlasse einen Kommentar