Ein Rätsel U-Bahn Gedanken

Ich komme gerade vom Kurs. Gewaltfreie Kommunikation. Sagt die, die mir beim Hinsetzen ihren Rucksack ins Gesicht rammt.  

Da lernt man Rücksicht, berichtet sie in ihr Handy. Gegenüber anderen und gegen sich selbst. Vor allem letzteres vermute ich, weil sie sich schräg auf den Sitz fallen lässt, ohne den schweren Rucksack abzunehmen. Zwei Drittel der Sitzbank nimmt sie ein und presst ihr knochiges Knie gegen meinen Oberschenkel.

Ich rutsche ein Stück, weil ich Berührungen von Fremden nicht mag und überlasse ihr drei Viertel der Bank. Dankbar und ohne jede Rücksicht, beansprucht sie den gewonnen Platz und referiert telefonierend über die fehlende Rücksicht in Großstädten.

Und über Freundlichkeit. Dann kann sie doch sicher ein Stück rutschen, bitte ich sie und werde von Großstadtkalbgroßen Augen böse angefunkelt. Warte, raunt sie ihren unsichtbaren Telefonpartner an und bittet mich zu wiederholen. Nein, sie fordert mich angriffslustig funkelnd auf und fletscht dabei die Zähne wie der ausgehölte Kürbis der Nachbarskinder. Sie soll sich – bitte – nicht so breit machen. Warum, fragt sie und verzieht das Gesicht, als hätte ich sie aufgefordert, jetzt sofort vor der U-Bahntüre einen Tanz an der Haltestange hinzulegen.

Weil ich hier sitze, informiere ich sie leise, falls sie das nicht gesehen hat. Der, der mich begleitet, erstickt an einem Kommentar und hält nur den Mund, weil nicht ihm, sondern mir der Platz streitig gemacht wird. Würde ich ihn jetzt ansehen, würde er etwas sagen. Ich tue es nicht. Lächerlich, den verbleibenden schmalen Streifen eines Sitzplatzes nicht selbst verteidigen zu können.

Morgen, eine Thermomixpräsentation bei ihr zu Hause. Nein, die blöde Schnalle würde sie nicht einladen, es reicht, dass sie ihr ein Geschenk zum Geburtstag kaufen müsse. Ich denke mir, dass es sicher fein ist, ihre Bekannte zu sein und hinter dem Rücken als blöde Schnalle bezeichnet zu werden. Thermomix ist auch für mich nichts. Denke ich und sage es nicht, weil ich ja eh nicht eingeladen bin. Thermo ist auch die Flasche, die sie jetzt umständlich aus dem Rucksack hervorkramt und ihr Knie dabei noch fester und penetranter gegen meinen Schenkel presst. Die blöde Schnalle heißt Ines und man könne ihr grenzdebiles Grinsen nicht ertragen, höre ich, während neben dem Knie nun auch ein Ellbogen gegen mich drück.

Heißer Tee tropft auf meine Hose und ich rücke so weit ab, dass ich fast vom Sitz falle. Sie merkt es nicht einmal.  

Geht´s noch? Sagt der, der mich begleitet ruhig, aber ohne zu lächeln. Ein paar Knie werden eingezogen und ein schwerer Rucksack vom Rücken auf den Schoß gestellt. Gerade sitzend und mir genügend Platz lassend, telefoniert sie weiter. Schenkt dem, der mich begleitet ein entschuldigendes Lächeln und ich könnte kotzen.

Fürchtest du dich manchmal, frage ich den, der mich begleitet und er schüttelt den Kopf. Er hat die Frage verstanden. Mich interessieren keine grundsätzlichen Lebensängste, ich erkundige mich nach Iditoten in Bus und Bahn. Wovor, fragt er mich und beantwortet die Frage selbst. Davor als unfreundlich zu gelten? Davor, dass einer eine Fresse ziehen würde? Dass ihn einer blöd von der Seite anmachen würde? Er sei freundlich sagt er. Sei es einmal, sei es zweimal. Beim dritten Mal wäre er es nicht mehr. Das käme aber selten vor. So einfach ist das.

So einfach ist das, denke ich mir und würde gerne noch einmal zurück in die U-Bahn springen. Ich denke es nur, aber er ahnt meine Gedanken und nickt. Mach das mal, fordert er mich auf. Es sei schwer zu ertragen zu sehen, wie klein wir uns machen würden. Korrigiert sich. Nicht immer, aber eben in solch dummen Situationen. Abschließend merkt er an, dass es auch unsexy sei, wenn eine Frau sich bei banalem Mist immer nur ducken würde. Er lacht.

Um drei Uhr nachts lacht er nicht. Ich wecke ihn, als ich ihm mit Hilfe meiner Füße, auf seine Seite des Bettes zu rollen  versuche. Es ist anstrengend und ich frage ihn, ob das nun sexy ist. Auf verstörende Weise ja, lacht er und wirft mir ein Kissen ins Gesicht. Ich werfe zurück und wir balgen uns, bis ich keine Luft mehr bekommen. AUA! Rufe ich und sofort hebt er die Hände und lässt mich los. Triumphierend zwinkere ich ihm zu und teile ihm mit, dass er bei einem Größen- und Gewichtsunterschied von jeweils dreißig Zentimetern und Kilos keinen fairen Kampf erwarten könne. Zu billig, entgegnet er.

Ich kenne die einzige Stelle an der er kitzlig ist. Er lässt es gelten. Aber darum geht es nicht, das wissen wir beide. Bei ihm ducke ich mich nicht. Bei ihm ist es leicht sich, trotz dreißig Zentimeter Größenunterschied, auf Augenhöhe zu begegnen. Warum es das, bei rücksichtslosen Personen in der U-Bahn nicht ist, ist mir ein Rätsel.

29 Gedanken zu “Ein Rätsel U-Bahn Gedanken

  1. Hmm, warum? Wahrscheinlich, weil du sie nicht kennst und nicht weisst, wie sie reagieren könnten? Weil wir angelernt bekommen haben, selber freundlich und nett zu Fremden, auch wenn sie rücksichtlos sind, zu sein. Weil sich das so gehört, nett zu sein und zu ertragen, weil wir den rücksichtslosen eh nicht mehr sehen. Ich kenn nur diese Wut im Hals und diese Gedanken, was ich tun würde, wenn ich könnte,… aber ich tu es nicht. Ich würde dann gerne Voodoo machen können, kann ich aber nicht. 😉 Grüsse Kat.

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    1. Mhm…aus genau den Gründen. Voodoo….ich bin froh, es nicht zu können. So impulsiv wie ich in Gedanken bin, würde ich ein Schlachtfeld hinterlassen, dass mir Augenblicke später schon wieder leid tut 😉 Aber den Gedanken, dass es schön wäre, den kenne ich sehr gut.

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    2. Ja, es ist wirklich komisch, dass man sich gegen Dreistigkeit nicht ebenso dreist wehrt.
      Mir geht es auch so. Ich glaube, ganz bestimmt nicht auf den Mund gefallen zu sein, ich kann auf der Bühne stehen und frei sprechen und spontan und schlagfertig sein.
      Doch, wenn jemand dreist ist, bin ich zunächst höflich, freundlich.Eigentlich meist viel zu lange.
      Mir gefällt es, was „der, der Dich begleitet“, gesagt hat: dass er einmal und auch ein zweites Mal freundlich ist – und beim dritten Mal nicht mehr.
      Ich kann auch unfreundlich – aber es fällt mir schwerer.
      Ein schöner Text, liebe Mitzi, der mir die Bilder der Situation vermittelte.
      Lieben Gruß!

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      1. Danke, Lo. Es ist schon mal beruhigend, dass es uns fast allen so geht. Im Grunde bin ich auch froh darüber. Natürlich wäre etwas mehr „Moment mal, so bitte nicht“ schön, aber das Gegenteil, ein ständiges Aufbrausen oder sogar Aggressivität empfinde ich als noch schlimmer. Meine Begleitung gefällt mir da gut. Er strahlt eine solche Ruhe aus und zugleich die Art von Selbstbewusstsein, dass ihm meist wohl gar niemand blöd kommt.
        Liebe Grüße

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      1. Die Schoko-Weihnachtsmänner haben dein Bild von mir dauerhaft versaut. Da kann man nichts machen.
        Aber mein Lächeln wäre ok. Für mein Chucky ich bist du mir zu sympathisch. Glaub ich. Sonst würde ich ein bisschen boxen.

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  2. Köstlich! Köstlicher! Am köstlichsten! Liebe Mitzi, da ich solche Szenen immer und immer wieder in den Berliner Verkehrsmitteln erlebe, dachte ich, diese Geschichte ist aus meinen Verkehrserfahrungen geschrieben. Aber ich habe nicht so ein schönes Wort wie „Großstadtkalbgroßen Augen“ in meinen Geschichten.
    Ich finde das Leben in einer Millionenstadt teilweise belastend, reduziert auf die Verkehrsmittel aber superbelastend.
    Liebe Grüße von einer Leidensgefährtin

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    1. Danke, liebe Clara. Genau so muss man es sehen, als eigentlich köstliche Unterhaltung. Man schafft es nur nicht immer und dann wird es schnell belastend. So sehr ich es mag in den Öffentlichen zu fahren und zu beobachten, manchmal ist es superanstrengend.
      Wir überstehen auch das 😉

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  3. Wir haben als Kind bestimmt alle eingetrichtert bekommen, in der Öffentlichkeit nicht negativ aufzufallen. Dazu gehört leider auch, sich nicht laut zu beschweren, wenn einem Unrecht widerfährt.

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  4. Manchmal kann ich mich gegen Dreistigkeit wehren, manchmal nicht, das kommt auf meine Tagesstimmung an. Als Mädchen wurde uns ja leider eher das Wegducken beigebracht als das breitbeinig Hinstehen das die Jungs übten.

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  5. die bekannte von ines, ein weit verbreitetes problem in großstädten. diese frage, die du stellst, oh die stelle ich mir auch, so oft. aber ich nehme auch an, dass es mit einem gewissen wertesystem zusammenhängt, in dem wir aufgewachsen sind…

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    1. Ganz sicher sogar. Vielleicht auch unabsichtlich. Man rüffelt niemanden von der Seite an, erklärte uns Mama und meinte dabei wahrscheinlich gar nicht, dass wir uns ducken sollen. Auch wenn es mich oft ärgert, bin ich lieber bei banalem still, als mich lautstark über alles aufzuregen. Den Mittelweg suche ich noch.

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      1. das verstehe ich so furchtbar gut! man hat auch keine lust, immer auf konfrontation zu gehen, das ist ja auch anstrengend und regt einen dann vielleicht noch mehr auf. manchmal hat man auch das gefühl, dass schweigen das kleinere übel ist. ich zumindest in meiner harmoniebedürftigkeit.

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