12 Monate Rosen und Schornsteine – Oktober

Die Beschriftung ist falsch, denke ich als ich fröstelnd im Rosengarten stehe und das Bild für den heutigen Beitrag knipse. Es ist kein Oktoberbild. Heute am 29. Oktober ist der goldene Oktober, den ich in seiner Herrlichkeit und mit seiner Wärme so genossen habe, längst vorbei. Heute ist bereits ein Novembertag, so wie Ende September bereits ein herbstlicher Oktobertag gewesen ist. Das heutige Foto schwindelt. Vielleicht, weil es von gestern ist und es den kurzen Moment zeigt, an dem die Sonne hinter den schweren Wolken zu erahnen ist und sich der kalte, zischende Wind für einen Moment gelegt hat. Die Detailaufnahmen zeigen einzelne tapfere Rosen, die sich mit kräftigen Farben gegen ihr Ende zu wehren scheinen.
Es ist zu spät. Die Pracht des Herbstes ist vorbei. Nur noch wenig Bäume brennen im Sonnenlicht farbenfroh und der trostloseste Monat des Jahres steht bevor. Ein Zwischenmonat, dem die bunte Schönheit des Oktobers fehlt und der die heimelige Ruhe des Dezembers noch nicht erreicht hat. An fast allen seiner dreißig Tage, mag ich diesen Zwischenmonat. Warme Heizungsluft, eine Kanne Tee und tief unter einem Berg von Decken vergraben stundenlanges Lesen, während draußen der Sturm tobt. Schön. Heute ist ein Zwischentag. Noch kann ich den November nicht genießen. Heute an diesem Tag, der kein Oktober- und noch kein Novembertag ist, macht er mich unruhig und bedrückt mich.

Wie der Mai ist der Oktober ein Monat, der besonders mit Euch verbunden ist. Ende Oktober ist euer Geburtstag. Wäre unser Geburtstag gewesen, verbesserst du mich und ich schiebe die Tränen in meinen Augen auf den scharfen Wind, der jetzt doch aufkommt. Nicht wäre, korrigiere ich dich, sondern ist. Für mich und einige andere wird er es bleiben, denn wir stehen noch hier und denken an euch. Feiern wird ihn niemand mehr. Es macht keinen Sinn, anlässlich der Geburt eines Menschen die Gläser erklingen zu lassen, wenn der Todestag bereits bekannt ist. Der Rosengarten gehört heute nur uns. Der einzige Spaziergänger hat ihn eben verlassen und bei diesem Wetter sitzt niemand auf den Stühlen und keiner streift durch die Beete verstorbenen Pflanzenschönheiten. Nur wir drei stehen hier und drehen uns mit unseren Erinnerungen im Kreis. Den ganzen Tag schon.

Facebook erinnert mich an deinen Geburtstag und schlägt mir vor, dir zu gratulieren. Facebook weiß nicht, dass es dich nicht mehr gibt. Mein Handy, das schon lange keine Anrufe von dir mehr erhält, weiß nicht, dass du nicht mehr bei mir bist. Es wird mich auch weiterhin  an deinen Geburtstag erinnern. Als ob ich ihn nicht wüsste. Als ob mir nicht schon Tage vorher das Datum im Nacken sitzen würde. 

Ich sitze in der S-Bahn und bin hundemüde weil ich die zweite Hälfte der Nacht nicht geschlafen habe. Ich habe von dir geträumt und weil ich den Traum nicht abschütteln konnte, habe ich das gemacht was ich als kleines Kind tat, wenn böse Träume noch  präsent waren. Ich baute mir eine kleine Höhle aus all meinen Stofftieren. Das Liebste von ihnen hielt ich fest im Arm. Ein paar von ihnen habe ich noch heute noch. Sie liegen nicht in meinem Bett, aber ich hole sie wenn ich keine Luft mehr, vor lauter an dich denken und traurig sein, bekommte  Dann liegen sie neben mir und mein Gesicht auf der Brust des größten von ihnen, dem großen Hund, der eigentlich ein Bär ist. Kein Herzschlag ist zu spüren in dieser Stofftierbrust. Das ist gut, dann seid du gegangen bist vertraue ich nicht mehr darauf, dass ein kräftig schlagendes Herz das auch weiter tun wird. Die Stofftierbrust ist zuverlässiger.

Ich sehe dein Bild in der Scheibe. Heute deutlicher, weil es früh morgens noch dunkel ist. Ich will dich nicht sehen. Du akzeptierst es weil du weißt, dass ich manche Träume nur schwer ertragen. Ich lenke mich ab. Ich schreibe eine Nachricht mit Glückwünschen. Wünsche Freude, viele Gründe zum Lachen, Erfolg bei den Plänen für das kommende Jahr und ganz viel Gesundheit. Ich wünsche es nicht dir, sondern einem anderen. Einem Menschen der alles Glück der Welt verdient hat und am gleichen Tag Geburtstag hat. Und doch denke ich bei jedem einzelnen Wort, wie gerne ich auch dir – euch – all das schreiben würde. 

Noch immer träume ich von dir. Ich träume viel. Tat es schon einen als Kind und freute mich, wenn ich mich nach dem Aufwachen deutlich an jeder Einzelheit des Traumes erinnern konnte. Ich würde viel dafür geben, mich nicht an die Träume zu erinnern, die von dir handelten. Ich wache auf und bin glücklich. Glücklich weil du bei mir warst. Ein ganz normales und banales Glück. Bis zu dem Moment, wenn mir bewusst wird, dass es ein Traum war und du schon lange nicht mehr bei mir bist. Dann spielt es keine Rolle wie lange du schon gegangen bist. Der Schmerz nach einem Traum von dir, ist der gleiche, wie in den ersten Tagen als du gegangen bist. Genauso frisch, genauso schmerzhaft und genauso eiskalt wie damals. Könnte ich die Träume von dir los werden und würde es mich kosten nie wieder träumen zu können, ich würde auf alle anderen Träume verzichten. Nur nicht mehr so aufwachen, nicht mehr langsam begreifen, dass das Glück nicht real war und eiskalt zu wissen, dass es nur ein Traum war. Es ist grausam, einen Menschen vom Glück träumen zu lassen und ihm im Moment des Erwachens dieses Glück wieder aus den Händen zu reißen. Dann mag der Kopf schon lange verstanden haben, das träumende Herz wird es nie begreifen und bei jedem Erwachen auseinanderbrechen.

Pathetisch und übertrieben klingt das. Aber sagen Sie das jemanden der so real träumt, dass er in seinen Träumen lauthals lacht und eben so weint. Ich werde ich nicht los. Ich hab dich viel zu lange festgehalten. Jetzt bist du der Eiswürfel in meinem Magen der so gut verstaut und eingebettet ist, dass er nicht mehr schmelzen kann. Das erste Mal seit all den Jahren, bitte ich dich zu gehen. Sage dir, dass ist an der Zeit ist, dass auch die letzte Erinnerung an dich verblasst und du nicht mehr so nahe bei mir bist. Du bist nicht mehr hier, das ist in Ordnung. Aber jetzt musst du ganz gehen.

Am Abend bitte ich einen anderen zu gehen. Sage ihm, dass hier noch kein Platz für ihn ist. Ihr seid euch ähnlich und ihr wisst beide, wie ich bin, wenn ich von dir geträumt habe. Der, den ich bitte zu gehen, steht auf und drückt mir einen Kuss auf die Stirn. Er wünscht mir eine traumlose Nacht und sagt, dass wir uns morgen sehen. Morgen ist es besser, sagt er und ignoriert, dass ich ihn gebeten habe für immer zu gehen.

Morgen ist es besser. Dann ist dein Geburtstag vorbei. Wieder einer.

 

Oktober


September


August

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Juli

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Juni

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Mai

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April

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März
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Februar
img_3596Das Zeilenende schrieb im Februar auf seinem Blog: „Zwölf Monate lang begleite ich ein Motiv. Es springt einmal im Monat vor die Kamera und lässt den Augenblick für die Ewigkeit gefrieren. Am letzten Sonntag im Monat werfe ich einen Blick auf das Bild: Was hat sich verändert, was bleibt gleich?“ und lädt zum  mitmachen ein. 

Ich schulde einem, der es selbst nicht mehr sehen kann, die Fortsetzung einer Momentaufnahme

Weiter Teilnehmer sind bei Zeilenende aufgelistet. Alles was ich bisher gesehen habe ist sehens-, lesens- und sogar hörenswert dank eingefügter Klangbilder.

21 Gedanken zu “12 Monate Rosen und Schornsteine – Oktober

  1. Liebe Mitzi, ich denke oft, dass wir uns in Bezug auf unseren Schmerz und den Menschen, der nicht mehr da ist, sehr ähnlich sind. Ich glaube, bei mir war diese „Präsenz“ ca. 10 Jahre zu spüren. Aber eines habe ich nicht: Ich habe nie geträumt von ihm. Wenn ich hier von der Enttäuschung lese, dass er ja nur eine Traumfigur war, dann war das vielleicht gut. Ich träume auch sonst nicht – halt, das stimmt ja nicht, jeder Mensch träumt, aber ich kann mich ganz selten bis nie an meine Träume erinnern.
    Liebe Grüße lasse ich hier

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    1. Liebe Clara,
      auf die Träume könnte ich verzichten. Noch. Vielleicht würde ich sie irgendwann aber auch vermissen. Die Erinnerungen möchte ich schon heute nicht mehr missen.
      Es ist beruhigend, dass man mich hier versteht. Auch wenn man niemandem einen Verlust wünscht, tut es gut zu ahnen, dass man nicht alleine so empfindet.
      Herzliche Grüße

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      1. Liebe Mitzi, ich habe gerade ein Beispiel vor Augen, dass es auch nach 20 Jahren nicht vorbei ist mit den Erinnerungen.
        Ich habe ja gerade mein Auto zu Fast-Schrott gefahren, das ich 2009 gebraucht gekauft hatte. HL, die Initialen von Heiko, hatte ich mir beim Kauf gewünscht, doch für die Nummernkombination 10 Möglichkeiten angegeben. Als das Auto dann mit HL 1996 vor mir stand, kamen mir die Tränen, denn das ist sein Todesjahr.
        Bis jetzt hat Heiko gut als Schutzengel gearbeitet, denn ein paar kritische Situationen gab es schon. Warum er jetzt keine Hand dazwischen halten konnte, als ich auf ein stehendes, abbiegendes Auto auffuhr, weiß ich auch nicht. Vielleicht mit 75 auch schon zu alt als Schutzengel???
        Auf jeden Fall habe ich mir die beiden Nummernschilder vom Käufer geholt, die will ich aufheben.
        Mit Gruß von Clara

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      2. Auch wenn es nicht zu verstehen ist…womöglich hat der Auffahrunfall etwas anderes verhindert. Ich kann sehr gut nachvollziehen wie es dir ging, als du gerade dieses Nummernschild erhalten hast. Und auch ich würde sie aufbewahren. Vielen lieben Dank für das teilen dieser Erinnerung. Sie werden bleiben, die traurigen Momente. Unschön. Aber schön, mehr als schön, dass ein Teil unserer Lieben einfach immer bei uns bleiben wird.
        Liebe Grüße

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  2. das bild ist trostlos und vielleicht soll es das sein.
    ich kenne diese träume von jemandem, der nicht mehr da ist. diesen schmerz immer und immer wieder zu durchleben hat etwas von grausamem masochismus und doch ist man so machtlos dagegen.

    „der trostloseste Monat des Jahres steht bevor“ – ich finde den november übrigens gar nicht trostlos. später habe ich gelesen, dass du ihn dennoch magst, obwohl du ihn als trostlos beschreibst. trostlos ist bei mir immer der februar, ganz ohne grund, einfach, weil die energie der dunklen, grauen, tristen suppe, in denen tag und nacht oft schwer zu unterscheiden ist, nicht mehr gut für mich tragbar ist. der november ist für mich ein seltsamer monat des heimkommens, der vorfreude, auf die weihnachtszeit, den dezember, meinen liebsten monat von allen. wenn man kurz davor ist, dass man zur ruhe kommen darf, weil das jahr fertig ist.

    ach und pathetisch ist es gar nicht. vielleicht klingt das so, für jemanden, der es nicht kennt. für all die anderen ist es vermutlich einfach nur eine beschreibung der realität…

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    1. Danke für deine Worte. Die Beschreibung der Monate kann ich gut verstehen. Vielleicht würde ich den Februar sogar mit dir als unschönsten Monat bezeichnen. Wie du rausgelesen hast, mag ich den November eigentlich ja schon. Man hat noch genug Wärme und Energie von den Sommermonaten gespeichert. Beides lässt im Februar schon sehr nach und Vorrat ist erschöpft.
      Die Beschreibung der Realität….das trifft es ganz gut. Wer das so empfindet, der ahnt, dass es Momentaufnahmen sind und man trotz dieses Gefühls ganz gut durch das Leben gehen kann. Vielleicht sogar besser, als in einem emotionalen Einheitsbrei, der keine oder nur wenige tiefe Gefühle erleben lässt.

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      1. du hast so recht. es gibt tatsächlich nichts schlimmeres als einheitsbrei, zumindest sage ich das als jemand, der auch die hochschaubahn kennt. ich kenne es so, dass es einfach zeitweilig aufwallt und einen umhaut, manchmal dann auch wieder so weit weg ist, dass man einfach aus dankbarkeit glücklich ist, den verlust nicht zu spüren. aber die meiste zeit begleitet es einen wie eine kleine wolke im augenwinkel.

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