Iljana, es brennt

„Iljana, komm raus“, fordert der alte Säufer mit rauer, noch nachtschwerer Stimme. Iljana, die mazedonische Aushilfe des vietnamesischen Schönheitssalons schüttelt lächelnd den Kopf. Sie kennt den Alten seit bald einem Jahr und hat sich daran gewöhnt, dass er morgens vor dem Laden sitzt und nach ihr ruft. Er ist eine treue Seele. Und wie man die meisten treuen Seelen gern hat, so mag man auch ihn. Man hat sich an seine kratzige Stimme und seinen schwankenden Schritt gewöhnt. Nach den ersten Schlucken aus der kleinen Jägermeisterflasche geht er gerader und man versteht ihn besser. Die meisten. Iljana nicht. Sie spricht noch immer kaum Deutsch, braucht es aber auch nicht.

Letztes Jahr stand Iliana an der Kasse des vietnamesischen Backshops. Seit er schließen musste arbeitet sie im vietnamesischen Schönheitssalon. Iljana ist eine treue Seele. Ihr ist es egal, ob sie Semmeln abkassiert, oder Geld für frisch manikürte Fingernägel in die Kasse wirft. Ihre Arbeitgeber versteht sie noch schlechter als den Säufer, weil der ihr wenigstens nur einzelne Worte um die Ohren haut. Der vietnamesische Singsang dagegen gleicht einem nicht zu verstehenden Gemurmel. Auch für mich.

„Iljana“, schreit der Alte, „es brennt!“ Solange es draußen brennt, ist es nicht ihr Problem, sagt Iljana – glaube ich – und füllt meinen Becher mit heißer Milch. Weil die Kaffeemaschine aus dem Backshop noch nicht abgebaut ist, gibt es im Schönheitssalon morgens warme Getränke zu erwerben. Warum auch nicht. Der Säufer hat sich selbst etwas mitgebracht und öffnet im Türrahmen stehend den zweiten Jägermeister. Ich stell mich mit meinem Kaffee neben ihn und trinke draußen, weil es drinnen nicht mehr nach Gebäck sondern nach Lacken riecht. Seine Fingernägel sind gepflegter als meine. Es wundert mich, das einer, der so riecht, so schöne, alte Finger hat.

„Schau, Iljana“, sagt er und meint mich. Ihm ist es egal,mit wem er spricht. So egal, wie ihm der Laden ist, vor dem er sitz. „Schau, Iljana, es brennt. So schön brennt es.“ Ich nicke und rufe nach Iljana. Auf der anderen Straßenseite steht eine Pappel. Ihre gelben Blätter brennen im Sonnenlicht des Herbstmorgens. Der Baum ist wunderschön. Zu schön um ihn nicht anzusehen.

21 Gedanken zu “Iljana, es brennt

      1. Interessant wäre, was Du hier unter „noch“ verstehst. Ist es das, was er in seinem Zustand immerhin noch sieht. Oder ist es im Sinne dessen, was einer wie er vielleicht gerade wegen seines Zustandes noch sieht, was wir schon lange nicht mehr in dieser poetischen Diemension zu sehen in der Lage sind? 🙂

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      2. Beides. Zum einen sein Zustand bezogen auf den starken Alkoholkonsum schon morgens. Andererseits die Vermutung, dass er zu jenen Menschen gehört, die einfach genauer hinsehen. 🙂

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  1. Eine wirklich schöne Geschichte, liebe Mitzi.
    Aber ich wundere mich, was SIE in einem Schönheitssalon zu tun haben, da Sie dort ja nicht arbeiten! Oder?
    Sie als Kundin dort, das wäre ja so, als ob Sebastian Vettel in einer Fahrschule Fahrstunden nehmen würde. 😉

    Gruß Heinrich

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    1. ☺️ Aus nicht nachvollziehbaren Gründen schenkt der Salon morgens Kaffee und Tee aus. Ich vermute man will die Getränkemaschine des Backshop Besitzers noch nutzen, bevor sie abgeholt wird. Die vietnamesischen Geschäftsleute in meiner Straße sind überaus effizient und geschäftstüchtig.

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      1. https://www.amazon.de/gp/aw/d/1521147493/ref=mp_s_a_1_1?__mk_de_DE=ÅMÅZÕÑ&qid=1508441167&sr=8-1&pi=AC_SX236_SY340_QL65&keywords=mitzi+irsaj&dpPl=1&dpID=51vE8lr9YcL&ref=plSrch Mitzi aus dem Vorderhaus, 2. Stock ist der Titel. Wenn der Link nicht funktioniert, müsstest du es darüber auf allen Seiten wie Amazon oder Hugendubel finden. Ich glaube ganz am Anfang hatte oh einen andern Titel geplant. Aber jetzt ist es das Vorderhaus geworden.

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