Es heißt, man solle sich regelmäßig die Hände waschen, um Keime von sich fern zu halten und Krankheitserregern keine Chance zu geben. Es sei leicht, durch gründliches und regelmäßiges Waschen der Hände ohne eine Erkältung durch den Winter zu kommen. Vielleicht noch ein bisschen Glück, gesundes Essen, keine Krankheitswelle im Büro und ausreichend Bewegung an der Luft. Man muss halt schauen, dass man sein Immunsystem stärkt und sich nicht anstecken lässt. Von Fröhlichkeit und Lachen dagegen, kann man sich ruhig anstecken lassen. Das tut gut und es lässt sich gar nicht vermeiden, dass gute Laune um sich greift, wenn ein paar damit beginnen. Von den Gefahren ansteckender Traurigkeit habe ich dagegen noch nie gelesen. Und das obwohl es sich hierbei um einen besonders heimtückischen und nur schwer behandelbaren Erreger handelt.
Ich konnte mich auf dich legen, dich mit aller Kraft in meine Arme schließen und dir mit meinem ganzem Körper die Luft aus den Lungen pressen – am Ende war es nur ein Hauch von Leben, der bei dir ankam. Das meiste prallte ab. Sinnlos von der Schönheit des Lebens zu sprechen, wenn einer sie zwar sieht, aber sie nicht mehr zu spüren vermag. Deine Traurigkeit war ansteckend. Bei guter Konstitution konnte man sie mit einem Niesen und einem kräftigen Schütteln des Kopfes abschütteln, bevor sie sich einnistete. Angeschlagen, kroch sie einem durch die Poren bis tief in den Magen und Nistete sich dort ein. Keine Beziehung hält auf Dauer zwei traurige Menschen aus. Geteiltes Leid funktioniert nur, wenn einer es – das Leid – ein Stück weit von sich fern hält. Dann kann er beim Tragen helfen. Schluckt er es aber versehentlich hinunter, dann vermehrt es sich nur. An manchen Tagen hielt ich es weit von mir weg. Stand auf und ließ dich mit deiner Traurigkeit und Resignation alleine. Ich ertrage dich heute nicht, sagte ich dann und schloss die Tür hinter mir. Nie ganz, immer nur ein Stückchen. Nie für lange, aber lange genug um mich nicht anstecken zu lassen.
An manchen Tagen, wäre der Rosengarten in seiner Hochsommerlichen Pracht für dich zu schön gewesen. Ich hätte dich nicht neben mir ertragen. Jemand der die Schönheit einer Sache nicht erkennen kann, verdirbt sie nur dem, der Freude daran hat. Heute sitze ich hier ohne dich. Neben mir einer auf der Bank. Er schnieft, das kann ich ihm nicht verbieten. Aber sein trauriges Geschaue ertrage ich nicht. Demonstrativ rückt er mir mit seiner Traurigkeit auf den Leib, wo es andere Bänke gäbe die unbesetzt sind. Er gehört zu den Menschen, die ihre Emotionen so vordergründig zur Schau tragen, bis einer fragt, was den los sei. Würde er nicht darum betteln, endlich beachtet zu werden, würde ich mich womöglich erkundigen oder mit einem Lächeln ein kleines Stück der schlechten Laune oder des Leides in meine Hosentasche stecken. Ich spüre sie schon, seine Traurigkeit, als er den Mund aufmacht. Schnell springe ich auf. Er solle es nicht wagen, mich anzustecken, weise ich ihn zurecht. Wie unverschämt er doch sei, seine Traurigkeit hier so bereitwillig zu verteilen, wo er doch gar nicht wisse, wie es im Moment mit meiner Konstitution aussehen würde. Weil er gar so entsetzt schaut, erklär ich es ihm. Er soll´s ja nicht alleine tragen – das Schwere. Aber ein bisschen aufpassen, wem er es vor die Füße wirft. Das reicht schon.
August
Das Zeilenende schrieb im Februar auf seinem Blog: „Zwölf Monate lang begleite ich ein Motiv. Es springt einmal im Monat vor die Kamera und lässt den Augenblick für die Ewigkeit gefrieren. Am letzten Sonntag im Monat werfe ich einen Blick auf das Bild: Was hat sich verändert, was bleibt gleich?“ und lädt zum mitmachen ein.
Ich schulde einem, der es selbst nicht mehr sehen kann, die Fortsetzung einer Momentaufnahme.
Weiter Teilnehmer sind bei Zeilenende aufgelistet. Alles was ich bisher gesehen habe ist sehens-, lesens- und sogar hörenswert dank eingefügter Klangbilder.
sehr schön auch mit dräuendem Wolkenhimmel!
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Dräunend…..ein schönes Wort, das ich nie benutze. Danke, dass du es mir in Erinnerung gerufen hast.
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dräuen, nicht dräunen, liebe Mitzi 😉
Ich habe das Wort extra für dein Bild aus der Schublade geholt, in der es verstaubt und vergessen herumlag. Ich beguckte es, putzte es ein bisschen und fand es genau richtig.
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Fast hätte ich es verhunzt, das schön rausgeputzte Wort. Jetzt merke ich es mir und denke daran, wenn sich der Himmel wieder ähnlich zeigt. 🙂
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es sind ja nicht nur deine Blicke, es sind vor allen Dingen deine Zeilen, die mir immer wieder unter die Haut gehen!
herzlichen Gruß
Ulli
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Ich danke dir, Ulli.
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Liebe Mitzi,
sehr schön geschrieben.
Aber eines glaube ich Ihnen nicht!
SIE haben diesen Menschen nicht zurecht gewiesen und ihm gesagt, er sei unverschämt. Das hat nur in Ihrem Kopf stattgefunden, sie hätten es gerne gesagt ……. aber nur gedacht.
Gruß Heinrich
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Pst….aber ja, Sie haben Recht, lieber Heinrich 😉
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:-*
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Geteiltes Leid ist doppeltes Leid, das ist, was du hier so schön und klug zu erzählen weißt, liebe Mitzi. Und wüsste man nicht, dass es autobiographisch ist, es wäre traurige Poesie.
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Danke, lieber Jules.
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Ein bisschen gereifter sieht er diesmal aus, der Schornstein im Hintergrund, den jugendlichen Leichtsinn wie abgeworfen … 🙂
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Nun, wir nähern uns dem Herbst 😉
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Deine letzten Worte, die muss ich mir merken, denn ich habe ab und an auch so einen Trauerkloß neben mir sitzen und manchmal ertrage ich es und manchmal nicht !
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Bei allem Mitgefühl und aller Sorge… man muss auf das eigene Seelchen schauen.
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Was für berührende Worte und sehr schöne Bilder.
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Ich danke dir!
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