Alter egal – U-Bahn Gedanken

Obwohl es gestern erst den ganzen Tag geregnet hat, ist es heute schon wieder angenehm heiß. Zu heiß würden viele behaupten; angenehm italienisch warm, sage ich. Obwohl es in München im Sommer recht warm wird, gibt es nur wenige italienische Woche. Solche Wochen zeichnen sich nicht nur durch die Temperatur aus. Vielmehr erinnert sich an diesen Tagen die ganze Stadt, dass sie sich tief im Herzen dem Süden häufig verbundener fühlt als dem Norden. An solchen Tagen gehen die Münchner langsamer, schlendern mehr und bleiben noch lieber für ein Schwätzchen stehen. Die Münchnerinnen tragen schönere Kleider, höhere Schuhe und ein bisschen mehr Rouge auf den Wangen. Sie tun es, weil die Münchner Männer in jenen Tagen ihren Charme zusammen kratzen und häufiger anerkennend lächeln, wenn ein schönes Kleid an ihnen vorbei läuft. Und wenn die Münchnerin ein besonders großes Glück hat, dann trifft sie auf einen Italiener, der das ganze noch ein bisschen besser als der Münchner kann.

Hinter mir, in der Tram, hatte eine ein solches Glück. Ich sehe sie nicht, weil sie und ich, beide in Fahrtrichtung sitzen. Aber ich höre, wie sie sich umständlich entschuldigt, als sie beim Einsteigen wohl mit ihrer Tasche den Sitznachbarn ein wenig anstößt. Auch der entschuldigt sich. Dafür, dass er sie nicht versteht und nur italienisch spricht. Italiano, ein einziges Wort reicht und die Frau hinter mir beginnt zu seufzen. So seufzt man nur, wenn man eine große Sehnsucht in sich trägt und fast hätte auch ich geseufzt. Die beiden Fremden tun mir einen großen Gefallen und beginnen sich zu unterhalten. Wie schön das klingt, sein italienisch, mit dem er ihre ersten zaghaften und holprigen Sätze lobt. Nein, sie würde sehr gut italienisch sprechen, lügt er und erkundigt sich wo sie es gelernt hätte. Sie antwortet auf deutsch, ringt nach Worten und seufzt dann einfach nur. Der Italiener lässt ihr Zeit das Chaos in ihrem Kopf zu ordnen und teilt langsam sprechend mit, dass er aus Venedig stammt. VENEZIA?!? Die Münchnerin beginnt zu quieken. Stammelnd erklärt sie Venedig zu ihrer liebsten italienischen Stadt und vergisst, dass sie eigentlich nun wirklich kein Italienisch spricht. Beherrscht man nur wenige Brocken einer fremden Sprache, ist es von großem Vorteil, diese Tatsache zu vergessen oder zu ignorieren. Denn nur dann, schafft man es mit einem Minimum an Wortschatz ein erstaunlicher Weise recht flüssiges Gespräch zu führen. Und nur weil ich das weiß, halte ich den Mund. Zu gerne hätte ich mich umgedreht und ihr das italienische Wort für Sommer zugeflüstert – da reden die beiden nämlich aneinander vorbei. Ich lasse es, weil die Stimme der Frau so glücklich ist und sich vor Begeisterung einem echten Venezianer gegenüber zu sitzen fast überschlägt. Sie erzählt von ihren vielen Besuchen in seiner Heimatstadt und ich lächle still in mich hinein, weil sie so klingt wie ich bei meinen ersten Besuchen in Italien. Da saß auch ich zwischen Italienern und führte Gespräche obwohl ich überhaupt nicht sprechen konnte.

Die Synagogen in Venedig haben sie besonders beeindruckt. Das sagt sie nicht wirklich, aber sie macht es deutlich indem sie die erste, die sie besucht hat als „bellissima“ beschreibt, die zweite mit einem begeisterten Quieken und Schnauben lautmalerisch umschreibt und die dritte mit einem inbrünstigen „WOAH!“ lobt. Der Italiener versteht. In seiner Stimme hört man die Freude über so viel Begeisterung. Geduldig zählt er weitere Sehenswürdigkeiten auf, die mit unterschiedlicher Intensität verschiedenster Freudensquiekser als bekannt und besucht bestätigt werden. Manchmal klingt die Freude der Frau fast wie ein leichtes Grunzen. Dazwischen das feine Flirten des Mannes. Mehrfach bot er ihr schon an, dass er sie gerne an die schönsten Orte führen würde und bestärkt durch ihr bello, bellisimo erklärt er sie kurzerhand zu einer Frau mit einem besonderen Gespür für die Schönheiten einer Stadt. Wahrscheinlich versteht sie nur die Hälfte, wenn überhaupt, aber sie versteht, dass er ihr gerne zuhört und müht sich weiter auf italienisch ab. Erzählt von ihrer Schwester mit der sie Sylvester in Rom gefeiert hat und verneint glucksend lachend, die Frage nach einem Ehemann. Venedig ist nicht mehr wichtig, jetzt geht es um Familie und die Liebe. Auch da reichen ein Glucksen, ein Seufzen und ein Lachen um Rede und Antwort zu stehen. Als ich aufstehe um auszusteigen, frage ich mich ob die beiden noch einen Kaffee trinken gehen werden.

Sie werden es wohl nicht. Die Frau, die ich anhand ihrer Stimme auf Mitte Dreißig geschätzt habe, ist um die Siebzig und er gerade mal halb so alt. Obwohl, vielleicht tun sie es doch. Nicht flirtend, wie ich ihnen unterstellte, sondern lachend, glucksend und mit großer Freude. Italienischer Charme und Jungmädchen rote Wangen – da ist das Alter doch egal.

 

28 Gedanken zu “Alter egal – U-Bahn Gedanken

  1. Welch ein schöne Impression, liebe Mitzi. Ihr in da im bayerischen Monaco habt etwas beneidenswert Mediterranes, und du verstehst es, das zu vermitteln. Italienisch hat auch bei meinem hedonistischen Pack in Hannover hohen Stellenwert. Heute bestellten zwei Frauen im Marktcafé einmal Suppe 1 und einmal Suppe 2. Der Wirt Vito, ein Sizilianer, sagte spaßeshalber: „Ich verstehe das nicht!“ und zwang sie dazu, von der Speisekarte abzulesen; „zuppa-sole-d’oro“ und „Crema-di- patate-e- porri“, worauf die Frau ganz glücklich ihrer Freundin von ihren rudimentären Italienischkenntnissen und wo sie herstammten erzählte.

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  2. Per amor del cielo! (von Google übersetzt)

    Man hört immer wieder von Bayrischen Männern, die sich in einem Wochenendkurs zum Venezianer ausbilden lassen, sprachlich, kulturell und auch sonst, und die in Münchens Herrenlandschaft mittlerweile auf einen Marktanteil von über 35 % kommen sollen … 🙂

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  3. Wenn ich noch amal eine Sprache richtig lerne, dann Italienisch! (Schon 2 mal angefangen; irgendwie mangelte es zum Weitermachen immer an der konkreten Bekanntschaft am konkreten Projekt, für welches). Che peccato!

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    1. Ich kann dir empfehlen, den Kurs im Land zu machen. Am besten in Gruppen, in denen kaum Deutsche sind. Leider fehlt da meistens die Zeit, aber so lernt man es herrlich schnell und plappert auch nach den Unterrichtsstunden einfach weiter.

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  4. Also hier im Norden arbeiten die Italiener in der Gastronomie, sind dritte Generation und sprechen mit der ortsüblich schweren Zunge. Vermutlich werden sie in den Betriebsferien nach Italien oder in die VHS geschickt, um ein paar Floskeln zu lernen, die gut für das Geschäft sind. Und da werden auch gleich die Tamilen mitgeschickt, die meistens in der Küche beschäftigt sind und je nach Bedarf als Mexikaner oder Italiener eingesetzt werden.

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  5. oh ist das schön! ich sagte es hier irgendwo schon einmal, aber ich muss es hier nochmal sagen. die möglichkeit, mit italienern zu sprechen, obwohl man im grunde nirgendwo sprachliche parallelen hat, ist eine so wunderbare sache an dieser kultur. das kenne ich wirklich von nirgendwo sonst.

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      1. also meiner erfahrung nach anders. ich war schon in allen ländern, aber ich hab das nirgends so erlebt wie in italien. in spanien hatte ich generell nicht das gefühl, das die menschen gern mit einem reden wollten, das hat mich nach meiner langjährigen immerwiederitalienerfahrung auch irgendwie überrascht. die kroaten sind dafür ebenfalls zu meiner überraschung erstaunlich redselig, können aber alle deutsch oder zumindest englisch 🙂

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      2. Ich war vermutlich einfach zu oft in Italien und kann da schlecht mitreden. Nur bei Griechenland….da empfinde ich es fast wie in Italien. Die Herzlichkeit spürte ich in all meinen Urlauben.
        Liebe Grüße

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  6. Hallo Mitzi,

    erstmal ein herzliches Hallo, ich bin sehr froh deinen entzückenden Blog entdeckt zu haben und schmökere mich etwas durch…:)

    Ja, absolut, bei Emotionen und Gefühlen ist das Alter total egal! Da wird aus 70 schnell wieder 18.
    Das ist das schöne!

    LG Torsten

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    1. Hallo Torsten,
      schön, dass es dir hier gefällt. Herzlich willkommen.
      Neugierig bin ich auch gleich mal auf deine Seite gesprungen. Für jemanden, der auf die Frage „was hörst du“ mit betretenem Schweigen antwortet, ist sie recht interessant. Ich schau sicher öfter vorbei.
      LG
      Mitzi

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      1. Hallo Mitzi,
        da freue ich mich sehr und heiße dich herzliche Willkommen! 🙂
        Musik passt ja immer bestens zu einem guten Buch…;)

        Wo ich allerdings mit betretenem Schweigen antworte musst du mir kurz auf die Sprünge helfen…Nicht das das mein (imaginärer) Zwillingsbruder war…:D

        LG Torsten

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  7. Hättest du einen Isländer und eine begeisterte Touristin beobachtet wäre ich ein genauso quickender Haufen gewesen, da bin ich mir ganz sicher. So empfinde ich die Geschichte einfach „nur“ als ein wunderschönes Paradebeispiel, dass Menschen nicht nur ein Herz für „sich allein“ besitzen.

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